Neuauflage des Abkommens? Lindner hat Recht: Wir brauchen TTIP 2.0

Für die USA und Deutschland würde ein intensivierter Handelsaustausch mehr Wohlstand bedeuten. Quelle: Imago

Finanzminister Lindner schlägt eine Reanimation des Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA vor. Eine gute Idee. Auch mit Blick auf China und die mögliche Eskalation geopolitischer Konflikte. Ein Kommentar.

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Der Vorstoß kam überraschend: Bundesfinanzminister Christian Lindner will dem gescheiterten Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA neues Leben einhauchen und regt an, die Gespräche wieder aufzunehmen. Das Abkommen war 2016 nach einer von NGOs und Globalisierungskritikern perfekt orchestrierten Protestwelle auf Eis gelegt worden. In Europa herrschte damals die Sorge, Umwelt- und Sozialstandards in der EU könnten unterlaufen werden. In den USA beendete 2017 die Wahl von Donald Trump jegliche Freihandelsaktivitäten.

Doch das war vor dem Krieg, vor dem geopolitischen Zerfall der Welt in rivalisierende Blöcke und vor dem neuen Eisernen Vorhang in Europa. In diesen Zeiten macht es auch in der Wirtschaftspolitik Sinn, manche Dinge neu zu denken. Deshalb verdient Lindner (obgleich thematisch nicht wirklich zuständig) für seinen Vorstoß Unterstützung.

Im Grunde genommen ist jede Handelsbarriere zwischen Europa und Amerika absurd. Die USA sind Deutschlands wichtigster Handelspartner. 2021 haben wir Güter und Dienstleistungen im Wert von 122 Milliarden Euro nach Übersee verkauft und Waren für knapp 68 Milliarden Euro von dort bezogen. In beide Richtungen gibt es noch Luft nach oben, Wohlstands- und Jobgewinne inklusive.

TTIP 2.0 wäre nicht nur ein politisches Signal und eine Frischzellenkur für den aus der Mode gekommenen Freihandel. Es wäre auch eine passende Antwort auf die 2020 beschlossene größte Freihandelszone der Welt: Die „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) vereint 15 Staaten aus Asien und Ozeanien mit einem Welthandelsanteil von 30 Prozent – die Schwergewichte China, Japan und Südkorea inklusive. Bislang hatte der Westen dem nicht viel entgegenzusetzen vermocht.

Sicher: Man darf bezüglich der Realisierungschancen nicht naiv sein. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hat den Vorstoß von Kabinettskollege Lindner postwendend abgelehnt. Und die Wahrscheinlichkeit, dass US-Präsident Joe Biden vor Freude über Lindners Vorstoß durch das Weiße Haus tanzt, ist ebenfalls gering. Biden denkt nicht weniger protektionistisch als sein Vorgänger Donald Trump, er verpackt es nur weniger primitiv.

Richtig ist aber auch: Die demokratische Welt ist in diesen Wochen auf eindrucksvolle Weise zusammengerückt. Daher könnte zumindest ein TTIP light funktionieren: Man klammert, wo nötig, ungelöste Streitfragen aus, schafft aber schon mal einen Großteil der Zölle ab.

Für beide Wirtschaftsblöcke würde ein auf diese Weise intensivierter Handelsaustausch nicht nur mehr Wohlstand bedeuten. Niemand kann vorhersagen, wie sich das Verhältnis des Westens zu China entwickeln wird. Ein Szenario, in dem sich Peking offen und militärisch an die Seite Russlands stellt und notwendigerweise neue Sanktionskaskaden folgen, ist nicht völlig auszuschließen. Eine Renaissance von TTIP könnte dann wie ein ökonomischer Schutzpanzer für die deutsche Wirtschaft und ihre Belegschaften wirken.

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