Ökonomen zum BIP Die Autoindustrie zieht die Wirtschaft runter

Container liegen zur Abfertigung am Containerterminal im Hamburger Hafen. Quelle: dpa

Die Autoindustrie sorgt für Schrammen in der deutschen Wachstumseuphorie. Ökonomen erklären das durch einen Sondereffekt - und bremsen dennoch allmählich die Erwartungen.

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Der deutsche Daueraufschwung verliert in seinem neunten Jahr an Tempo. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes im dritten Quartal gegenüber dem zweiten Vierteljahr um 0,2 Prozent. Warum?

„Der Aufschwung wurde im dritten Quartal nur unterbrochen“, schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in seinem Monatsbericht. Ohne die Probleme der Autoindustrie bei der die Umstellung auf den neuen Abgasprüfzyklus WLTP hätte es wieder ein Plus beim BIP gegeben. „Mit zunehmender Auflösung des Zulassungsstaus wird sich der Aufschwung bereits im Jahresschlussquartal fortsetzen“, erklärte das Ministerium. Der neue Abgas-Prüfstandard (WLTP) gilt seit September in der EU. Deutsche Hersteller hatten das Prüfverfahren jedoch nicht rechtzeitig für alle Fahrzeugtypen durchlaufen, sie mussten daher die Produktion drosseln.

Ökonomen stimmen der Bundesregierung zwar grundsätzlich zu. „Die Automobilindustrie zieht wegen WLTP die Produktionsnotbremse und bringt den deutschen Konjunkturzug vorübergehend nicht nur zum Stillstand, er rollt sogar etwas rückwärts“, erläutert KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. „Der Rückgang im dritten Quartal ist ein Ausrutscher und nicht der Beginn einer Rezession“, sagt Andreas Rees von Unicredit. „Mit fundamentalen Problemen hat das aber nichts zu tun, im Gegenteil. Bereits im vierten Quartal wird die deutsche Wirtschaft wieder stark zulegen.“ Rees sieht neben der WLTP-Umstellung noch andere „Sonderfaktoren“, nämlich eine große Volatilität bei Bau und Einzelhandel: „Beide Bereiche sind im dritten Quartal unter ihren Möglichkeiten geblieben, nachdem sie im Frühjahr stark zugelegt haben.“

Etwas verhaltener urteilt Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer: „Aber auch ohne diesen Effekt [WLTP] wäre die deutsche Wirtschaft wegen nachlassender Nachfrage aus China kaum noch gewachsen. Wir revidieren unsere Deutschland-Prognose für 2018 von 1,8 auf 1,5 Prozent.“ Ähnlich Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe: „Abseits dieses Sondereffekts bleibt die Aufschwungsperspektive dennoch gedämpft: Die Kapazitäten sind bereits gut ausgelastet, neue Wachstumsimpulse fehlen, und der globale Handelsstreit drückt auf die Stimmung. Die fetten Wachstumsjahre sind vorbei.“

Sorgen bereiten die internationalen Handelskonflikte. Die Streitigkeiten zwischen den USA und China drücken bereits das Wachstum der wichtigen chinesischen Volkswirtschaft. Deutsche Exporteure, Autobauer und andere Investoren müssen sich auf magerere Zeiten im Reich der Mitte einstellen. China ist ein wichtiger Markt für Waren „Made in Germany“. Hinzu kommen die Unwägbarkeiten des Brexits sowie die Schuldenpolitik des Eurolandes Italien, die zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen könnte. Vor allem die von den USA angeheizten Handelskonflikte schlagen offenbar zunehmend durch. „Die Abkühlung der Exporte im dritten Quartal war fast greifbar“, beschrieb der Präsident des Außenhandelsverbandes (BGA), Holger Bingmann, jüngst die Lage. Aus Sicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) drohen der Weltwirtschaft wegen der aggressiven Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump deutlich trübere Zeiten.

Droht jetzt eine Rezession?

Nach gängiger Definition ist von einer Rezession die Rede, wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge sinkt. Mit einem derartigen Einbruch rechnen Ökonomen jedoch nicht. Schon im vierten Quartal dürfte der deutsche Konjunkturzug wieder Fahrt aufnehmen, „jedoch ohne das hohe Tempo der jüngeren Vergangenheit so bald wieder zu erreichen“, sagt Zeuner voraus. Stefan Kooths, Leiter des Prognosezentrums des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), verweist auf die nach wie vor gut gefüllten Auftragsbücher der Unternehmen. „Für das Schlussquartal rechnen wir daher mit einem deutlichen Wiederanziehen der Wirtschaftsleistung.“ Auch die „Wirtschaftsweisen“ sehen keine „akute Gefahr“ einer Rezession.

Was stützt die Konjunktur?

Die Konsumlust der Verbraucher hält nach Einschätzung von Ökonomen die deutsche Wirtschaft am Laufen. „Die Stimmung der Konsumenten ist nicht zuletzt wegen des exzellenten Arbeitsmarktes und deutlicher Lohnzuwächse weiterhin auf sehr hohem Niveau“, argumentieren Ökonomen der Deutschen Bank. Zwar schwächelte der Privatkonsum im dritten Quartal. BayernLB-Experte Stefan Kipar führt dies aber auf die Probleme in der Autoindustrie zurück. „Die verminderte Auslieferung von Automobilen hat statistisch auch zu der Eintrübung des privaten Konsums geführt.“ Kaufwillige Kunden hätten teilweise nicht die Möglichkeit gehabt, ihr Wunschauto zu bekommen und den Kauf verschoben.

Grundsätzlich scheinen die Deutschen weiter in Konsumlaune zu sein. „Offenbar unbeeindruckt von externen Risiken wie Handelskonflikt und Brexit sind die Konsumenten bereit, ihr Geld auszugeben“, heißt es in der jüngsten Konsumklimastudie des Nürnberger Marktforschers GfK. Denn Sparen sei angesichts extrem niedriger Zinsen nach wie vor keine attraktive Alternative.

Fazit: Das hohe Tempo des Boomjahres 2017 wird Europas größte Volkswirtschaft wohl nicht halten können. „Wirtschaftsweise“, Wirtschaftsforschungsinstitute, internationale Organisationen sowie die Bundesregierung selbst senkten zuletzt ihre Konjunkturprognosen für dieses und das kommende Jahr auf teilweise deutlich unter zwei Prozent. 2017 war die deutsche Wirtschaft noch um 2,2 Prozent gewachsen. „Unserer Einschätzung nach wird es weiterhin beim Aufschwung bleiben, aber mit vermindertem Wachstumstempo“, sagte Christoph M. Schmidt, Chef des Beratergremiums der Bundesregierung, jüngst. Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank Gruppe argumentiert, die aktuelle Konjunkturschwäche passe in das übliche Muster von Phasen steigender und fallender Wachstumsraten. „Um es einmal positiv auszudrücken: Ab und an eine kalte Dusche verhindert eine Überhitzung und macht einen Aufschwung länger haltbar.“

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