Steiler Aufstieg und tiefer Fall: Selten in der deutschen Wirtschaft hat ein Arbeitsdirektor eine solch schillernde Karriere hingelegt wie Peter Hartz. Mit innovativen Tarifmodellen bewahrte er Volkswagen vor Massenentlassungen, bevor ihn die Verwicklung in die VW-Affäre den Job kostete. Sein Name aber bleibt vor allem mit einer Reform verbunden: Hartz IV. An diesem Dienstag wird Hartz 75 Jahre alt. Wegen der Hartz-Gesetze gingen Hunderttausende auf die Straße, die SPD schlitterte in eine schwere parteiinterne Krise. Der Name „Hartz“ steht inzwischen im Duden, 2009 wählte eine Jury das Verb „hartzen“ zum Jugendwort des Jahres - für „rumhängen oder arbeitslos sein“. Hartz selbst sagte 2014 der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“: „Hieße ich zum Beispiel Leutheusser-Schnarrenberger, hätten Kommission und Gesetze einen anderen Namen bekommen.“
Im Sommer 2002 legte Hartz als Leiter einer Experten-Kommission der rot-grünen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) einen Katalog von Vorschlägen für eine „arbeitsmarktpolitische Radikalkur“ vor. Diese wurden in vier Reformgesetze gegossen - von denen das letzte unter dem Namen „Hartz IV“ bekannt wurde. Innerhalb von drei Jahren lasse sich die Arbeitslosigkeit halbieren, das war die Botschaft von Hartz. Als er seine Reformen damals vorschlug, gab es 3,8 Millionen Arbeitslose - heute sind es 2,66 Millionen. Nach wie vor sind die Reformen aber umstritten.
Hartz selbst meint im Rückblick: „Die Arbeitsmarktreformen waren unterm Strich insgesamt ein Erfolg. Hätten die Politiker die Vorschläge der Fachleute alle umgesetzt, wären sie noch besser geworden.“ Dies sei der Preis der parlamentarischen Demokratie, sagte er der dpa. „Große Gesetze werden nie so verabschiedet, wie sie ins Parlament eingebracht werden.“ Die Kommission wollte etwa einen Hartz-IV-Regelsatz von 511 Euro - die Politik entschied sich damals für das Niveau der Sozialhilfe, der Regelsatz landete bei 345 Euro.
Die Hartz-Reformen
Die von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzte Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von Peter Hartz legte im August 2002 das Hartz-Konzept vor.
Die Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes wurden vier Maßnahmen eingeteilt: Hartz I bis IV.
Das Erste Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat am 1. Januar 2003 in Kraft.
Ziel waren die Erleichterungen von neuen Formen der Arbeit und die Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die Arbeitsagenturen. Hierfür wurden unter anderem Bildungsgutscheine verteilt. Zudem wurde ein Unterhaltsgeld, gezahlt durch die Arbeitsagentur eingeführt und die Einstellung von Zeitarbeitern erleichtert.
Auch die Zumutbarkeitsregelung wurde aufgeweicht. So mussten Arbeitslose ohne familiäre Bindung fortan ab dem vierten Monat der Arbeitslosigkeit bundesweit für Jobs zur Verfügung stehen.
Der Druck auf die Arbeitslosen wurde weiter erhöht, etwa durch eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe und einer Meldepflicht für Arbeitslose. Demnach müssen sich Arbeitnehmer bereits mit Erhalt der Kündigung arbeitssuchend melden. Wer dagegen verstößt, muss mit einer Absenkung des Arbeitslosengelds rechnen.
Das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat ebenfalls am 1. Januar 2003 in Kraft.
Hierbei ging es hauptsächlich um die Regelung der geringfügigen Beschäftigung – der sogenannten Mini- und Midijobs. Weitere Aspekte, die mit Hartz II entstanden, waren die Ich-AGs und die Einrichtung von Jobcentern.
Mit der Hartz-II-Reform wurde die Geringfügigkeitsschwelle für Mini-Jobs von 325 Euro auf 400 Euro im Monat erhöht (aktuell liegt sie bei 450 Euro). Innerhalb dieser Grenze fallen für den Arbeitnehmer keine Steuern an, er zahlt auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Midijobs (Einkommen von 400 Euro bis 800 Euro) gibt es ansteigende Arbeitnehmerbeträge zur Sozialversicherung; Arbeitgeber zahlen den vollen Beitragssatz.
Im wesentlichen Teilen war das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ab Januar 2004 gültig.
Mit Hartz III wurde das Arbeitsamt zur „Agentur für Arbeit“ umstrukturiert. Ein Kernpunkt dabei war die Einführung von Zielvereinbarung, die die einzelnen Agenturen erfüllen mussten. Wie diese Ziele erreicht wurden, blieb weitestgehend den einzelnen Agenturen überlassen.
Die Verwaltung auf Landesebene wurde abgeschafft. Stattdessen wurden sogenannte Job-Center geschaffen, die als zentrale Anlaufstelle für Arbeitslose dienen sollten. Zuvor mussten sie sich beim Sozialamt und beim Arbeitsamt melden.
Mit den Jobcentern wurden auch die Fallmanager eingeführt, die sich um die Langzeitarbeitslose kümmern sollen.
Die tiefgreifendste der vier Reformen, das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz IV – trat wesentlich im Januar 2005 in Kraft.
Mit Hartz IV wurde die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu Arbeitslosengeld II zusammengeführt. Die Arbeitslosenhilfe wurde komplett abgeschafft; die Sozialhilfe beziehen nur noch nicht erwerbsfähige Arbeitslose. Für die Verwaltung des Arbeitslosengelds II ist die Agentur für Arbeit zuständig.
Das bisherige Arbeitslosengeld – also die Leistung, die Arbeitslose durch ihre vormaligen Einzahlungen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung erwarben – hieß ab 2005 Arbeitslosengeld I. Wer arbeitslos ist und zuvor mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält 60 Prozent seiner vorherigen Lohns (mit Kind: 67 Prozent). Es kann in der Regel nur für ein Jahr bezogen werden. Nach Ablauf des Arbeitslosengelds I, wird das vom bisherigen Lohn unabhängige Arbeitslosengeld II gezahlt. Ab dem Januar 2015 beträgt der Regelbedarf für einen Alleinstehenden 399 Euro – kann je nach Vermögen aber deutlich geringer ausfallen.
Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit - für Hartz ist es ein Lebensthema. Geboren wird er am 9. August 1941 im saarländischen St. Ingbert als Sohn eines Drahtziehers und Hüttenarbeiters. „Das war ein typischer Arbeiterhaushalt“, erzählte Hartz 2013 der „Süddeutschen Zeitung“. „Wir drei Buben mussten in der Landwirtschaft mitarbeiten. Heute sagt man Kinderarbeit dazu.“ Später dann wird der Vater krank. „Er wurde dann überall herumgeschubst. Na ja. Ich wollte die Dinge anders machen.“ Dazu bekommt er in seiner Karriere mehrfach Gelegenheit. Zunächst macht Hartz nach der mittleren Reife eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Er wird Mitglied der IG Metall und der SPD, holt auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nach und studiert Betriebswirtschaftslehre. Ab 1976 arbeitet er als Arbeitsdirektor in der saarländischen Stahlindustrie, ab 1979 bei den Dillinger Hüttenwerken. Es sind die Zeiten der großen Branchenkrise.
Hartz schafft es mit innovativen Modellen und guten Kontakten in die Politik, den Personalabbau ohne Entlassungen zu bewerkstelligen. Heute meint er: „Ein Erfolg war sicherlich, dass ich in meinen 29 Jahren als Personalchef in der Stahl- und Automobilindustrie es immer wieder schaffte, bei großen Strukturreformen und Wettbewerbsmaßnahmen betriebsbedingte Kündigungen mit ausschließen zu können.“
1993 holt ihn der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch als Personalvorstand zum Wolfsburger Autobauer, der sich in einer schweren Krise befindet. Volkswagen produziert zu teuer, es droht die Entlassung von bis zu 30 000 Beschäftigten. Hartz erfindet die Vier-Tage-Woche, eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich - aber kein VW-Mitarbeiter landet auf der Straße. Mit dem Tarifmodell „5000 x 5000“ schafft er Langzeitarbeitslosen eine Perspektive.
Hartz gilt als Modernisierer und geschickter Mittler zwischen Management und Arbeitnehmervertreten, als Arbeitsmarktreformer ist er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Dann aber bringt ihn seine Verwicklung in die VW-Affäre zu Fall. 2005 tritt er zurück, eine Ära bei Volkswagen endet jäh. 2007 wird er wegen Untreue und Begünstigung von Betriebsräten zu einer Bewährungs- und Geldstrafe verurteilt.
„Im Rückblick würde ich in meinem Stab einen Juristen beschäftigen, der alle meine Entscheidungen darauf hin abklopfen müsste, ob sie nicht gegen geltendes Recht verstoßen“, sagt Hartz heute. „Vieles wäre mir erspart geblieben.“ Seinen Geburtstag feiert er zu Hause im Saarland mit seiner Familie. Er ist noch immer aktiv: Mit der Stiftung SHS hat Hartz unterschiedliche Projekte auf den Weg gebracht. „Das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit ist lösbar“, glaubt er. „Drei bis vier Tage in der Woche arbeite ich mit an den Lösungen.“