Reform Die große Katastrophe der Rente mit 63

Andrea Nahles’ Reformpläne vernichten die Erfolge am Arbeitsmarkt, weil sie Frühverrentung wieder attraktiver machen. Somit reißt die Rente mit 63 Lücken in die Belegschaft vieler Unternehmen.

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Die Pläne zur Rentenreform von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gefährden die positiven Effekte der letzten Jahre auf dem Arbeitsmarkt. Quelle: dpa

Dass die Welle anrollt, hatte Hans-Jürgen Credé gewusst. Aber dass diese Welle so heftig über sein Unternehmen kommt, das konnte er nicht ahnen. 500 Ruheständler in den nächsten zehn Jahren, darauf war der Personalvorstand der Dresdner Verkehrsbetriebe durchaus eingestellt. Dann aber kam die große Koalition. Deren Pläne für eine abschlagsfreie Rente mit 63 sollen nun großzügiger ausfallen. 700, vielleicht sogar 800 Mitarbeiter könnten nun allein bei Credé in Dresden davon profitieren. „Die Rentenreform“, sagt er, „führt dazu, dass sich künftig unsere Personalsituation ändern wird.“ Die Zahl 800 würde den Exodus von nahezu der Hälfte der Belegschaft bedeuten. „Das wird eine gewaltige Herausforderung.“

Diese Lage verdankt Credé der neuen Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD). Im Eiltempo hatten ihre Beamten über Weihnachten und Neujahr den Gesetzentwurf geschrieben. Die zentralen Wahlkampfschlager – CDU-Mütterrente auf der einen, SPD-Rente mit 63 auf der anderen Seite – sollen schließlich schon Mitte des Jahres in Kraft treten.

Nun wird deutlich: Das erste große Reformvorhaben der großen Koalition hat fatale Nebenwirkungen. Die milliardenteure Aufstockung der Mütterrenten verzehrt die Rücklagen der Rentenkasse. Und die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren droht einen äußerst mühsam gefundenen Konsens der vergangenen Jahre ohne Not einzureißen – den nämlich, dass längere Lebenszeit längere Arbeitszeit nach sich ziehen muss, wenn die Alterung der Gesellschaft das Rentensystem nicht vollends sprengen soll.

Die geplante Rente mit 63 (die langsam zur Altersgrenze von 65 aufwächst) führt sogar dazu, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften gerade sehr ähnliche Sorgen plagen: Viele Unternehmer fürchten, dass ihre erfahrenen, lang gedienten Facharbeiter den Betrieben dann sofort den Rücken kehren werden, statt noch weiter zu malochen. Um sie zu halten, werden intensivere Anstrengungen und mehr Geld nötig sein.

Der DGB wiederum warnt vor einem Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten. Betriebe, die Personal abbauen müssen, könnten ihren Beschäftigten jenseits der 60 zukünftig wieder goldene Brücken bauen: Erst Kündigung, dann zwei Jahre Arbeitslosengeld (Alg I), versüßt mit Firmenzuschlägen, schon wäre die Rente mit 63 ohne Abschläge möglich.

Nahles’ Entwurf macht es möglich. Phasen ohne Job, in denen Arbeitslosengeld I ausgezahlt wurde, sollen nämlich als Beitragszeiten angerechnet werden. Bliebe es bei dieser Regelung, würde die Ministerin gewaltige Erfolge der vergangenen Jahre infrage stellen, mal eben so. Die schrittweise Einführung der Rente mit 67 trägt sehr viel dazu bei, dass Ältere länger im Berufsleben bleiben – und damit als Einzahler die Rentenkasse massiv entlasten. Heute arbeiten mehr als doppelt so viele Menschen zwischen 60 und 65 als noch vor zehn Jahren.

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