Reise des Kanzlers Deutsche Wirtschaft sucht neuen Anlauf in Südamerika

Bundeskanzler Olaf Scholz trifft Regierungschefs in Südamerika. Quelle: dpa

Olaf Scholz reist nach Argentinien, Chile und Brasilien. Die deutschen Unternehmen wollen bei der grünen Reindustrialisierung der Mercosur-Staaten mitverdienen.

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Bundeskanzler Olaf Scholz und 14 Vertreter deutscher Unternehmen sind am frühen Samstagmorgen nach Lateinamerika aufgebrochen. Erste Station der viertägigen Reise ist Argentinien, dann folgen Chile und Brasilien. Die politischen Themen gelten zum einen dem gegenseitigen Kennenlernen der Regierungschefs. Scholz wird in Chile den Präsidenten Gabriel Boric treffen, in Argentinien Alberto Angel Fernandez und in Brasilien Luiz Inacio Lula da Silva.

Mit den drei Staatschefs möchte Scholz einen „gemeinsame Blick auf die internationale Ordnung werfen“, wie es aus Regierungskreisen in Berlin heißt. Dahinter verbirgt sich das Bemühen Deutschlands, angesichts der wachsenden geopolitischen Polarisierung neue Partner zu suchen beziehungsweise große Länder zu umgarnen, um die hohe Abhängigkeit von China zumindest zu relativieren. Da Russland und China sich erkennbar nicht mehr auf eine multipolare, regelbasierte internationale Ordnung einlassen wollen, muss der Westen das Bündnis mit anderen, einflussreichen Ländern suchen, die sich zu den Regeln der Uno bekennen, heißt es in Berlin.

Wichtig ist Scholz auch, vorhandene Meinungsunterschiede über den Ukrainekrieg und die Rolle Russlands auszuräumen. Hintergrund ist die Tatsache, dass auch Lateinamerika stark unter den ökonomischen Folgen des Krieges leidet; das betrifft steigende Energiepreise und Kosten für Lebensmittel. Argentinien bezieht noch viele Agrargüter aus Russland, allen voran Dünger. An die westlichen Wirtschaftssanktionen fühlt sich Südamerika nicht gebunden.

Deutschland will die Transformation der Wirtschaft mit grünem Wasserstoff schaffen. Einer der wichtigsten Produzenten ist Australien. Statt auf Kohle setzt der fünfte Kontinent künftig auf Sonne und Wind.
von Daniel Goffart

Schlüsselrolle Energie und Lithium

Der wichtigste Punkt der Kanzlereise gilt jedoch der Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen – insbesondere beim Bezug von wichtigen Rohstoffen wie Seltenen Erden und bei den Energiequellen. Bei den Gesprächen in Chile wird es beispielsweise um den Stand der „Taskforce Wasserstoff“ gehen, die beide Länder 2021 im Rahmen einer binationalen Energiepartnerschaft gegründet haben.

Chile könnte den deutschen Importbedarf an grünem Wasserstoff in den nächsten Jahren locker abdecken. Sowohl in Chile als auch in Argentinien ist ferner das Lithium von Bedeutung, das „weiße Gold“ der Energiewende. Der Autokonzern BMW beispielsweise fördert es seit zwei Jahren aus einem Salzsee in Argentinien.  

Wichtig ist jedoch, dass nicht nur die Lieferung strategischer Rohstoffe nach Deutschland vereinbart wird. Die Staaten fordern ein integrales Angebot, also die Begleitung der Rohstoffexploration durch Investitionen, Technologie und Wissenschaft sowie eine Verarbeitung und Vermarktung im Herkunftsland selbst.

Bedeutung Deutschlands sinkt

In Brasilien, aus deutscher Sicht das wichtigste Land Lateinamerikas, will Scholz den wieder gewählten Präsidenten Lula da Silva vor allem beim Klimaschutz unterstützen. Nachdem sein Amtsvorgänger Jair Bolsonaro in diesem Gebiet jede Anstrengung unterlassen hat, müsse der Klimaschutz jetzt umso stärker vorangebracht werden, heißt es in Berlin – schließlich sei das Land die grüne Lunge des Kontinents. Dazu zählt nicht nur die Unterstützung Lulas bei seinem Wunsch, die Weltklimakonferenz 2025 im Amazonasgebiet abzuhalten, sondern auch Hilfe bei der geplanten grünen Reindustrialisierung Brasiliens – hier will die deutsche Wirtschaft mitverdienen und Technologie anbieten.

Allerdings muss man bei der Betrachtung der Bedeutung Deutschlands in Lateinamerika auch realistisch sein. Immer wenn ein deutscher Regierungschef in die Region fliegt, werden die Beziehungen routinemäßig in höchsten Tönen gelobt. Schaut man jedoch auf die nackten Zahlen, dann besteht wenig Grund zum amtsüblichen Optimismus. Deutschlands Anteil am brasilianischen Import beispielsweise ist in den vergangenen 20 Jahren um fast die Hälfte auf 5,1 Prozent geschrumpft. Auch in anderen Ländern stellt die Entwicklung keinen Grund zum Jubel dar. Während die Strahlkraft des ehemaligen Exportweltmeisters nachlässt, hat China die Lücke gefüllt. Mit einem Anteil von fast 23 Prozent ist das Reich der Mitte mittlerweile größter Lieferant Brasiliens und auch als Abnehmer brasilianischer Waren die klare Nummer 1.

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Günter Maihold, Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kann deshalb Schlagworten wie „Lateinamerika-Offensive“ wenig abgewinnen. In seiner aktuellen Analyse zum Verhältnis EU-Südamerika kommt der SWP-Experte denn auch zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die lange Zeit bestehende Grundlage bröckelt. Schuld daran ist auch die Tatsache, dass China bei Geschäften in Lateinamerika wenige Bedingungen stellt. „Es wird nicht bei jedem Projekt auf Demokratie, Rechtsstaat, Umweltschutz und entsprechende Untersuchungen Wert gelegt“, sagt Maihold.

Umso wichtiger wird deshalb die Ratifizierung des Mercosur-Abkommens. Das Handelsabkommen liegt derzeit auf Eis, weil einige EU-Staaten Nachverhandlungen verlangt haben. Der Verband der deutschen Maschinenbauer VDMA forderte Scholz deshalb auf, das „Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten nach jahrelangem Stillstand jetzt endlich umzusetzen – die Zeit drängt“.

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