Spionage gegen Gülen-Anhänger Ruf nach harten Konsequenzen gegen Erdogan-Agenten

In Deutschland lebende Türken sollen vom türkischen Geheimdienst ausspioniert worden seien. Das ruft auch den Bundesanwalt auf den Plan, deutsche Politiker sind empört. Ein Abgeordneter fordert, die Agenten auszuweisen.

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Die Bespitzelung mutmaßlicher Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan durch den türkischen Geheimdienst in Deutschland sorgt in Berlin für Empörung. Quelle: Reuters

Berlin In der Affäre um eine Bespitzelung mutmaßlicher Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan durch den türkischen Geheimdienst in Deutschland wird der Ruf nach harten Konsequenzen laut. „Lassen sich die Agenten ausfindig machen, muss ihnen der Prozess gemacht werden. Sollten die Personen Diplomatenpässe haben, muss man ihnen die Akkreditierung entziehen und sie ausweisen“, sagte der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags, Patrick Sensburg (CDU), dem Handelsblatt. „Der türkische Staat hat in Deutschland keine Hoheitsrechte. Das Vorgehen des türkischen Geheimdienstes ist illegal.“

Die Bundesregierung reagierte empört auf die mutmaßliche Ausforschung. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) stellte klar: „Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet. Das gilt für jeden ausländischen Staat und auch für jeden Nachrichtendienst.“ Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte eine gründliche Untersuchung: „Sollte es so gewesen sein, das vermag ich aber jetzt weder zu bestätigen noch zu dementieren, wäre es in der Tat ein schwerwiegender Vorgang.“

Inzwischen ermittelt die Bundesanwaltschaft gegen den türkischen Geheimdienst MIT. Hintergrund sind Hinweise, dass türkische Agenten möglicherweise in großem Umfang angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland ausspioniert haben. Der deutsche Verfassungsschutz geht dem nach. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sagte am Dienstag, die Untersuchungen ihrer Behörde richteten sich gegen unbekannte MIT-Angehörige. Es gehe dabei um den Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit.

Die türkische Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Offenbar in der Hoffnung auf Unterstützung hatte der MIT dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Februar eine Liste mit mehr als 300 Namen überreicht. Stattdessen warnten deutsche Sicherheitsbehörden die Betroffenen.


„Ausspähung können wir unter keinen Gesichtspunkten dulden“

Sensburg äußerte die Einschätzung, dass in den besagten Fällen „nicht Terroristen, sondern Regimegegner ins Visier genommen wurden, also eine politische Überwachung stattfindet“. Es sei „völlig inakzeptabel“, dass Ankara damit die politischen Konflikte in der Türkei nach Deutschland trage.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. „Die systematische Ausspähung von weit über 300 mutmaßlichen Anhängern der Gülen-Bewegung in Deutschland ist ein starkes Indiz für inländische, nachrichtendienstliche Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT, die wir unter keinen Gesichtspunkten dulden können“, sagte Bosbach dem Handelsblatt. „Da die Gülen-Bewegung in Deutschland nicht als extremistisch und erst recht nicht als terroristisch eingestuft wird, dürfen und werden deutsche Sicherheitsbehörden der Türkei auch keine Amtshilfe bei deren Überwachung leisten.“ Es sei vielmehr „richtig, dass unsere Behörden nunmehr zügig die Opfer dieser Bespitzelung über drohende Gefahren, etwa bei Reisen in die Türkei, warnen.“

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) machte konkrete Angaben zu der Liste: Die Akten enthielten einen „bunten Reigen von Informationen“, darunter offenbar Fotos aus Personaldokumenten und Videoaufzeichnungen. Betroffen seien Mitglieder der Gülen-Bewegung oder Menschen, die der MIT zu der Gruppierung zähle.

Über die Aktivitäten des Geheimdienstes hatte zuerst das Recherchenetzwerk von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR hatte berichtet. Danach habe die Auswertung der an BND-Chef Bruno Kahl übergebenen MIT-Liste ergeben, dass etliche Fotos offenbar heimlich - etwa durch Überwachungskameras - aufgenommen worden seien. Die Medienrecherchen waren unter anderem Anlass für die neuen Ermittlungen des Generalbundesanwaltes. Die Karlsruher Behörde ermittelte bereits, weil Geistliche des türkischen Islamverbandes Ditib Gülen-Anhänger in Deutschland ausspioniert haben sollen. Die Vereinigung weist dies zurück.


„Das hat eine neue Qualität“

De Maizière sagte: „Das kann nicht die Zukunft des deutsch-türkischen Verhältnisses sein.“ Man habe der Türkei schon mehrfach gesagt, dass so etwas nicht gehe. „Unabhängig davon, wie man zu der Gülen-Bewegung steht, hier gilt deutsches Recht, und hier werden nicht Bürger, die hier wohnen, von ausländischen Staaten ausspioniert.“

Auch sein niedersächsischer Kollege Pistorius beklagte: „Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Intensität und Rücksichtslosigkeit auch auf fremden Staatsgebiet dort lebende Menschen ausgeforscht werden.“ Dies sei unerträglich und inakzeptabel. Es sei „eine fast schon paranoid zu nennende Verschwörungsangst, die sich da breitmacht, alle Gülen-Anhänger zu Terroristen und zu Staatsfeinden zu erklären, ohne dass es dafür auch nur den geringsten Anhaltspunkt gibt“.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann kritisierte: „Das hat eine neue Qualität.“ Die Bundesregierung dürfe nicht zulassen, dass unbescholtene Bürger bespitzelt würden. „Der türkische Geheimdienst hat insoweit in Deutschland nichts zu suchen.“

BND-Chef Kahl hatte zuletzt Zweifel geäußert, dass die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch in der Türkei im vergangenen Jahr steckt. Der Verfassungsschutz sieht das genauso: Bislang sei die Regierung in Ankara jeglichen Beweis für ihre Vorwürfe gegen die Anhänger der Gülen-Bewegung schuldig geblieben, sagte der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen.

Dessen ungeachtet plädiert der CDU-Politiker Sensburg dafür, auf den politischen Dialog zu setzen. Die Türkei sei ein wichtiger Handelspartner für Deutschland. „Das sollten wir nicht einfach über Bord werfen.“

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