Die Geschichte des BIP beginnt mit William Petty im Zeitalter der Aufklärung. Der britische Ökonom ist im 17. Jahrhundert ganz zeitgemäß der Auffassung, dass sich das Los der Menschheit mit Induktion und Empirie verbessern lasse, weshalb er “Observations” anstellt, die ihm schließlich das Verfassen einer “Political Arithmetick” erlauben. Darin stellt Petty Beobachtungen und Daten - etwa über Einkommen und Ressourcen - zusammen, die es dem Monarchen erleichtern sollen, seine Untertanen in peace and plenty zu erhalten. Kurzum, die Erhebung wirtschaftlicher Daten dient von Anfang an “der Kunst des Regierens”, dem “Ruhm des Regenten” und “dem Vorteil der Menschheit” - politischen Zwecken. Mal liefert Petty mit seinen - sehr annahmebasierten - Statistiken die Grundlage zur Verbreiterung der Steuerbasis (und zur Entlastung seiner selbst als Grundbesitzer), mal den nationalpsychologisch damals wichtigen Nachweis, dass England es mit Frankreich jederzeit aufnehmen kann. Auf diese Weise schuf schon Petty “kein Abbild der Realität” mehr, schreibt Philipp Lepenies, sondern eine “eigene Realität”.
Es ist bekannt, dass Adam Smith ein Jahrhundert nach William Petty der Auffassung zuneigt, universal opulence und general plenty ließen sich dank der unsichtbaren Hand des Marktes besser befördern als durch die ordnende Hand des Monarchen, weshalb seine Berechnungen des annual produce auch keiner politischen Interpretation dienen, sondern allein seinen theoretischen Interessen. Daran freilich, dass die Wirtschaft den Zweck habe, den “Wohlstand der Nationen” zu befördern, lässt Smith keinen Zweifel. Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass das Ausbleiben des Wohlstands für weite Teile der Bevölkerung - für Smith noch eine gottgewollte Unabänderlichkeit - die Denker des 19. Jahrhunderts dazu bewegt, die Ökonomie erneut in die politische Pflicht zu nehmen: Alfred Marshall und Cecil Pigou zum Beispiel geht es darum, praktische Beiträge zur Lösung der “sozialen Frage” zu leisten. Entsprechend interessiert sind die beiden Ökonomen an einer monetären Evaluierung der Wirtschaft - und daran, dabei vor allem die Einkommen und den Konsum in den Blick zu nehmen. An der Erhöhung der Gütermenge (Bruttosozialprodukt) sind sie nur in instrumenteller Hinsicht interessiert, das heißt: nur deshalb, weil sie der Steigerung des Volkseinkommens dient.
Die Entscheidung zugunsten des BIP als entscheidendem Parameter der Wohlstandsmessung fällt erst in den zwanzig Krisenjahren von 1930 und 1950 - die wichtigen Stichworte lauten: New Deal, Zweiter Weltkrieg, Marshallplan. Es ist hier nicht der Platz, die ökonomische Fachdiskussion jener Jahre vor allem in England und den USA (Colin Clark, Simon Kuznets, John Maynard Keynes) nachzuzeichnen - eine Diskussion, die um die Systematisierung der Berechnung des Wohlstandswachstums kreiste. Von allgemeinerer Bedeutung ist, dass die Politik die Einwände, die vor allem Simon Kuznets gegen eine forcierte Interpretation der verbesserten Datenlage erhebt, seine Warnungen, dass jede aggregierte Summe nur am Markt erzielte Leistungen messe und eine gründliche Analyse der Wirtschaft (Familienarbeit, informeller Sektor…) keinesfalls ersetzen könne, zunehmend gerne überhört.