




Für den britischen Wirtschaftswissenschaftler Lionel Robbins war akademische Bescheidenheit noch eine Zier. Ökonomen, schrieb Robbins in seinem 1932 erschienenen Essay on the Nature and Significance of Economic Science sollen das Verhalten von Menschen angesichts knapper Güter erforschen und modellieren, nicht mehr und nicht weniger - nicht versuchen, die Welt in Zahlen auszudrücken und erst recht nicht meinen, aus Zahlen seien politische Empfehlungen abzuleiten. “Wir können Wohlstand nicht messen wie den Vitamin- und Kaloriengehalt von Nahrungsmitteln”, so Robbins; die Berechnung von Fortschritt, Wachstum und Produktion sei immer nur “ein relatives Konzept”.
80 Jahre später gehört Robbins’ Erkenntnis zum Standardvokabular einer Kapitalismuskritik, die angesichts zunehmend knapper Ressourcen mahnt, dem Materialismus zu entsagen, den “Wachstumswahn” zu überwinden und ein wirtschaftliches Denken hinter sich zu lassen, das um die Steigerung des Bruttosozialprodukts kreist. Popularisiert von Ökonomen wie Joseph Stiglitz und Amartya Sen, sind mittlerweile eine Fülle alternativer Indikatoren in Umlauf, die Wohlstand, Wachstum und Fortschritt nicht nur auf der Basis von Marktpreisen ermitteln, sondern auch andere Faktoren - darunter ökologische (“Nachhaltigkeit”), soziale (Gleichheit), finanzielle (Verschuldung), gesellschaftliche (Durchlässigkeit) wie individualpsychologische (Befindlichkeit) - berücksichtigen.
Wie sinnvoll oder nicht solche Indizes auch sein mögen - ihnen gemein ist die Einschätzung, dass “die Macht der einen Zahl” überwunden werden muss, über deren Entstehung und Verbreitung der Potsdamer Ökonom Philipp Lepenies soeben ein kleines, feines Buch veröffentlicht hat: Wie kam es, dass das BIP zu einer Zentralkategorie des politischen Denkens aufstieg? Wer verfiel auf die Idee, die ungeheure Komplexität der Welt in einer aggregierten Summe auszudrücken? Wann wurde der “bedeutungslose Haufen” von Zahlen (Joseph Schumpeter) zu einem Instrument der politischen Machtausübung? Und wie stark normiert das BIP heute unsere Wirtschaftswelt, die es nur in sich auszudrücken vorgibt?
Für den ehemaligen französischen Ministerpräsidenten Nikolas Sarkozy ist die Antwort klar: Die Politik, die einst den Siegeszug des BIP als Instrument des Regierens protegiert hat, hat sich längst zu seinem Sklaven degradiert: “Wir haben es zugelassen, dass unsere statistische Darstellung von Wohlstand mit Wohlstand an sich gleichgesetzt wurde und unsere Darstellung der Realität mit der Realität an sich…. Wir haben einen Kult um Zahlen kreiert, der uns nun gefangen hält.”