Tauchsieder

BIP BIP Hurra!

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Zins wird seit Jahren manipuliert

Wie stark Europas Volkswirtschaften geschrumpft sind
Portugal: Für die portugiesische Wirtschaft sieht es besonders düster aus. Im vierten Quartal ist sie das fünfte Mal in Folge geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank um 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Volkswirte hatten sogar einen noch stärkeren Rückgang um 1,5 Prozent erwartet. Portugal erhält derzeit Hilfe aus dem europäischen Rettungsfonds EFSF. Das Krisenland hat weitreichende Spar- und Reformmaßnahmen durchgeführt, die laut Volkswirten zunächst das Wirtschaftswachstum belasten. Für 2012 sind die EU-Kommission eine Verschlechterung der Situation. Sie rechnet mit einem Wachstumsrückgang von 3,3 Prozent. Quelle: dpa
Italien: Auch Italien ist laut Regierungskreisen zum Jahresende in eine Rezession gerutscht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im vierten Quartal um 0,7 Prozent zurück. Italien konnte sich zuletzt etwas aus dem Klammergriff der Schuldenkrise befreien und unter der neuen Technokratenregierung von Ministerpräsident Mario Monti wieder Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen. Für 2012 erwartet die EU-Kommission einen Rückgang von 1,3 Prozent. Quelle: dpa
Deutschland: Auch die deutsche Wirtschaft hat zum Ende des vergangenen Jahres einen kleinen Dämpfer erhalten. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging im vierten Quartal 2011 um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal zurück, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Bei einer ersten Schätzung Ende Januar waren die Statistiker von einem Rückgang um etwa ein Viertel Prozent ausgegangen. Positive Impulse für die Wirtschaft kamen im viertel Quartal von den Investitionen: Vor allem Bauinvestitionen waren deutlich höher als im dritten Quartal 2011. Der Außenhandel hatte hingegen zum Jahresende einen negativen Effekt auf die deutsche Wirtschaft. Auch die Ausgaben der Verbraucher waren im Vergleich zum Vorquartal leicht rückläufig, wie die Statistikbehörde mitteilte. Für 2012 sieht die EU-Kommission ein Wachstum von 0,6 Prozent. Quelle: dpa
Belgien:Die belgische Wirtschaft ist 2011 bereits in zwei aufeinander folgenden Quartalen geschrumpft. Das BIP im dritten Quartal fiel um 0,1 Prozent und im letzten Quartal um 0,2 Prozent, wie die Belgische Nationalbank in Brüssel mitteilte. Insgesamt sei die Wirtschaft 2011 aber dank der ersten Jahreshälfte um 1,9 Prozent gewachsen. Quelle: AP
Spanien:Die spanische Wirtschaft ist im letzten Quartal 2011 um 0,3 Prozent geschrumpft . Das Nationale Statistik-Institut (INE) führte den Abschwung vor allem auf einen Einbruch der Inlandsnachfrage zurück, der durch das Wachstum der Exportwirtschaft nicht ausgeglichen werden konnte. Im dritten Quartal 2011 war die spanische Wirtschaft im Quartalsvergleich stagniert. 2012 erwartet die EU-Kommission einen Wirtschaftsrückgang von einem Prozent. Quelle: Reuters
Großbritannien:Großbritanniens Wirtschaft ist im vierten Quartal 2011 etwas stärker als erwartet geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel im Vergleich zum Vorquartal um 0,2 Prozent. Grund seien unter anderem Rückgänge bei der Strom- und Gasproduktion, weil die Menschen wegen der warmen Witterung die Heizung ausgeschaltet hätten. Auch im Produktionssektor und beim Konsum gab es leichte Einbußen, teilte die Nationale Statistikbehörde mit. Am Dienstagabend hatte der Chef der Bank of England, Mervyn King, gewarnt, die britische Wirtschaft stehe vor einem „beschwerlichen, langen und unebenen“ Erholungsweg. Im dritten Quartal war die britische Wirtschaft noch um 0,6 Prozent zum Vorquartal gewachsen. Quelle: Reuters
Frankreich: Eine rühmliche Ausnahme gab es unter den großen EU-Ländern. Die französische Wirtschaft wuchs zwischen Oktober und Dezember überraschend um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Volkswirte hatten zuvor einen Rückgang um 0,2 Prozent erwartet. Quelle: dpa

Wie bitter wahr diese Worte sind, bekommen wir zum Beispiel mit jeder weiteren Maßnahme vor Augen geführt, die angeblich zur Rettung des Euro beiträgt: Politik und EZB haben längst alle ökonomischen Grundregeln über Bord geworfen, um das BIP der Volkswirtschaften in Europa auch nur noch einigermaßen im Gleichgewicht zu halten. Der Preis des Geldes (sprich: der Zins) wird seit Jahren hemmungslos manipuliert, damit die Finanzmarktakteure jubeln können, Banken nicht Konkurs anmelden und Unternehmen weiter investieren - das alles ist kreditaufgeschäumte BIP-BIP-Hurra-Politik der übelsten Sorte, eine Politik, die ihr eigenes Wachstumsdogma in vodooökonomischer Hinsicht desto doktrinärer verfolgt, je mehr sie das Zutrauen zu ihm in ökologischer Hinsicht verliert, ja: eine buchstäblich perverse Politik, die nicht die Mehrung des Wohlstands (das BIP-Wachstum) zum Maßstab ihres Handelns macht, sondern die das BIP mutwillig zur Kennziffer einer Wohlstandsillusion verzerrt, die von keiner Realität mehr gestützt wird. In der vergangenen Dekade ist Deutschland mit den Mitteln des Zinskeynesianismus um durchschnittlich 1,1 Prozent per anno “gewachsen” - auf Kosten von 300 Milliarden Euro Neuverschuldung… - was, bitteschön, soll ein solches BIP-“Wachstum” noch aussagen?

Der unheimliche Siegeszug des BIP als a) statistisches Konstrukt, b) politisches Instrument, c) als die gesamte Wirtschaftswelt (be)herrschende Denkfigur und d) als zinskeynesianische Fortschrittsillusion lässt sich daher trefflich als vierstufige Vernunftregression beschreiben: Vor bald vier Jahrhunderten fingen interessierte Menschen an, die wirtschaftliche Wirklichkeit in Zahlen auszudrücken, erste Daten zu sammeln und auszuwerten, um die religiöse Spekulation zu überwinden und auf empirischer Grundlage das Wissen vom Menschen zu mehren. Schon bald danach machte sich die Politik den Datenschatz als Mittel der Machtausübung zunutze. Im 20. Jahrhundert stieg das BIP-Wachstum zum Dogma sowohl kommunistischer als auch kapitalistischer Systemkonkurrenten auf. Heute schließlich wird das BIP, wie gezeigt, als Ein-Zahl-Religion verheiligt, an dessen Wahrheit wir unbedingt glauben müssen, weil alles an ihr bezweifelbar ist. Aber halt, langsam, zum Mitdenken, noch einmal der Reihe nach:

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