Werner Plumpe „1931 waren die Menschen völlig hoffnungslos“

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Hätte keynesianische, antizyklische Wirtschaftspolitik geholfen?

Dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, der bis 1932 Reichskanzler war, wird oft eine Schuld an der langen Fortdauer der Krise in Deutschland zugesprochen. Ist das berechtigt?
Vor Brüning regierte bis zum März 1930 eine große Koalition aus SPD, Zentrumspartei und liberalen Parteien. Brüning kam also erst ins Amt, als die Krise bereits ausgebrochen war. Er fand eine negative Handelsbilanz vor, eine starke Verschuldung, die deutsche Position im Goldstandard – er hatte also keine Möglichkeit, über Wechselkurse zu reagieren. Ihm blieb nichts anderes übrig, als auf eine konsequente Politik der inneren Abwertung zu setzen.

Wirtschaftshistoriker bemängelten, dass Brüning stattdessen eine keynesianische, antizyklische Wirtschaftspolitik hätte betreiben sollen.
Das geht an den Realitäten der damaligen Zeit vorbei. Der deutsche Staat war kaum noch in der Lage, sich Kredite zu verschaffen. Auch eine Verschuldung bei der Reichsbank war durch die internationale Kontrolle der Reichsbank ausgeschlossen. Brüning hätte vielleicht eine kreativere Finanzpolitik betreiben können, aber auch das wäre keine wirkliche Alternative gewesen zur Politik der inneren Abwertung mit ihren sozialen Folgen – den sinkenden Löhnen und der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung. Was im Nachhinein oft vergessen wird: Brünings Kurs war durchaus erfolgreich.

Erfolgreich?
Seine Strategie ist erst gescheitert, als 1931 infolge der Finanzkrise der internationale Handel völlig zusammenbrach und die Staaten sich hinter protektionistischen Maßnahmen verbarrikadierten. Erst ab da führte die innere Abwertung nicht mehr dazu, die internationale Konkurrenzfähigkeit Deutschlands zu verbessern. Aber selbst zu jener Zeit konnte Brüning noch einen Erfolg verzeichnen: Er hatte erreicht, dass 1932 die Reparationszahlungen eingestellt werden konnten. Diesen Erfolg konnte er allerdings nicht mehr genießen, weil der Reichspräsident von Hindenburg ihn vorher entlassen hatte.

Was brachte die Staaten damals zu den protektionistischen Maßnahmen, die die Krise noch weiter verschärften?
Die demokratischen Staaten mussten sich auf die eigene Handlungsfähigkeit besinnen. Das war in den USA unter Theodore Roosevelt so, aber auch in Großbritannien, als es 1931 den Goldstandard aufgab und Zollmauern hochzog. Das ist eines der großen Dilemmata von Demokratien: Die Bürger erwarten von ihren Regierungen, dass sie ihre wirtschaftliche und soziale Situation ernst nehmen und im Zweifelsfall intervenieren. Wenn die Regierung sich aber an Regeln gebunden hat, die nicht direkt im nationalen Interesse sind, sondern die Funktionsfähigkeit institutioneller Bestimmungen absichern – etwa durch den Goldstandard oder einer gemeinsamen Währung – schränkt das die nationalen Regierungen ein. Das toleriert die Bevölkerung bei Wahlen nicht immer. Der zunehmende Protektionismus war eine Folge davon, dass die jeweiligen Regierungen nur auf diese Weise Handlungsfähigkeit beweisen konnten. Das stellt auch für unsere Gegenwart eine wichtige Lehre dar.

Inwiefern? Lassen sich die protektionistischen Maßnahmen der USA, Chinas, aber auch Europas in der Gegenwart mit der Lage damals vergleichen?
Die Situation heute ist eine andere. Die internationalen Wirtschaftsverflechtungen sind viel tiefer und das Volumen des internationalen Handels viel größer als damals. Damit sind wir von der so genannten Beggar-thy-Neighbor-Politik der Weltwirtschaftskrise ein Stück weit entfernt. Aber die Tendenz, die wir heute erleben, ist die gleiche. In den USA glaubt ein relevanter Teil der Wählerbevölkerung, dass die nationalen Interessen uneingeschränkten Vorrang haben sollten vor einer imaginierten oder wirklichen Weltwirtschaft oder globalen Gemeinschaft. Auch wenn es beim Brexit weniger um Handelspolitik geht, ist das Anliegen auch hier die Behauptung der vermeintlichen nationalen Souveränität. Auch heute gilt: Gerade in schwierigen Zeiten drängt die Bevölkerung ihre Regierung dazu, Handlungsfähigkeit zu beweisen – auch auf Kosten von internationalen Bindungen.

Seit der Krise 2007/2008 haben Politiker allerorts ihre wirtschaftlichen Maßnahmen damit gerechtfertigt, dass sie die richtigen Lehren aus der Weltwirtschaftskrise ab 1929 gezogen hätten. Hatten die Krisen überhaupt eine Ähnlichkeit?
Ich glaube, da ist sehr viel, was die Krisen voneinander unterscheidet. Der wichtigste Unterschied sind automatische Stabilisatoren. In weiten Teilen der Welt haben wir heute ausgebaute sozial- und wohlfahrtsstaatliche Strukturen, die eine Verelendung der Bevölkerung, wie wir sie ab 1929 erlebten, verhindern. Die Bedeutung der Arbeitslosenversicherungen kann man gar nicht überschätzen, wenn man die Krisenverläufe miteinander vergleicht. Was die getroffenen Maßnahmen anbetrifft, bin ich nicht so optimistisch.

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Warum?
Wir haben uns in einem Status quo eingerichtet, in dem alle Elemente einer künftigen Krise enthalten sind. Die staatlichen Maßnahmen haben die strukturellen Probleme nicht gelöst, sondern nur verschoben. Die Verschuldung des privaten und des öffentlichen Sektors ist weiterhin hoch. Die europäischen Staaten und Banken haben weiter Finanzprobleme. Für ein abschließendes Urteil ist es noch zu früh. Vielleicht kann man Donald Trumps Politik als den Versuch deuten, den Wirtschaftsstandort USA zu stärken und dort eine neue Ära einzuleiten. Ob das gelingen wird, ist schwer vorherzusagen. Die Globalisierungseuphorie vor der großen Finanzkrise ist jedenfalls vorüber.

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