
Die gute Nachricht für die Freien Demokraten: Man muss wieder Gründe haben, um sie nicht zu wählen. Das ist ein Fortschritt. Vor zwei Jahren gab es noch nichts, was für die Liberalen sprach. Die FDP predigte auf die Deutschen herab und vermieste ihnen ein Land, das berühmt ist für Ordnung, Fleiß und made in Germany. Sie sprach sich gegen den Mindestlohn und die Quote aus, gegen den Sozialstaat und seine Bürokratie, gegen Minderleister und grüne Bevormunder, gegen leistungslose Einkommen und natürlich auch gegen die Verfolgung von Steuerflüchtlingen.
Die Freiheit, die die FDP damals meinte, war ein Reservat der Stolzen und Starken, einbildungskräftig bedroht durch Trägheit, Neid und falsches Mitgefühl – und die FDP selbst eine Art Auffanglager für Privilegierte, die meinten, sich vor aufwendig simulierten Nachstellungen des organisierten Gutmenschentums in Sicherheit bringen zu müssen. Am 22. September 2013 flog die FDP aus dem Bundestag. Halbiertes Personal in der Parteizentrale. Verachtung der Medien. Sturz in die Bedeutungslosigkeit. „Es war eine Zäsur“, sagt Parteichef Christian Lindner. „Eine Katastrophe“, sagt Geschäftsführer Marco Buschmann. „Unsere Stunde null“, sagt Vorstand Wolfgang Kubicki.
Ergebnisse der FDP bei Bundestagswahlen
1949 startet die FDP mit 11,9 Prozent der Wählerstimmen.
Quelle: Statista/Bundeswahlleiter 2015
Immer noch fast 10 Prozent der Wähler können sich für die Liberalen begeistern: 9,5 Prozent.
1957 bekam die FDP einen Stimmenanteil von 7,7 Prozent.
12,8 Prozent der Wähler stimmen für die FDP. Das ist das zweitbeste Wahlergebnis für die Partei auf Bundesebene überhaupt.
Das gleiche Ergebnis wie 12 Jahre zuvor: 9,5 Prozent der Stimmen entfallen auf die Freien Demokraten.
Acht Jahre nach dem zweitbesten Wahlergebnis auf Bundesebene fährt die FDP das zweitschlechteste ein: Nur 5,8 Prozent der Wähler stimmen für die Liberalen.
Die FDP kommt auf einen Stimmenanteil von 8,5 Prozent.
Die FDP bekommt 7,9 Prozent der Stimmen.
Fünfmal knackte die FDP (Stand: 2015) bei Bundestagswahlen bisher die 10-Prozent-Marke: 1949, 1961, 1980 (10,6 Prozent) und 2009.
1983 bekommt die FDP 7 Prozent der Stimmen.
Die Liberalen bekommen 9,1 Prozent der Stimmen.
11,7 Prozent der Wählerstimmen gehen an die Freien Demokraten.
Die FDP kommt auf 6,9 Prozent der Stimmen.
Leichte Verluste: 6,2 Prozent der Wähler stimmen für die Liberalen.
Immerhin 7,4 Prozent der Wählerstimmen kann die FDP holen.
Die FDP schnellt hoch auf 9,8 Prozent.
Die Bundestagswahl 2009: Vorläufiger Höhepunkt der FDP. 14,6 Prozent der Wähler stimmen für sie.
Nach dem Höhe- der Tiefpunkt: Die FDP stürzt ab, schafft die Fünf-Prozent-Hürde nicht (4,8 Prozent) - zum ersten Mal seit 1949 sitzen die Liberalen nicht im Bundestag.
Nun aber, nach zwei langen Jahren in der Diaspora, fühlt sich die FDP zurück im politischen Spiel, ein bisschen jedenfalls. Sie hat bei kleinen Landtagswahlen in Hamburg und Bremen Achtungserfolge erzielt, wird von Demoskopen auf rund fünf Prozent taxiert und zuweilen auch wieder von den Medien bedacht, mit einer Mischung aus Anteilnahme und Interesse. Sie hat juvenile Frische, mit Lindner, 36, Buschmann, 38, Katja Suding, 39 und Lencke Steiner, 30, an der Spitze, sie schlägt beim Wähler neuerdings in Neonfarben auf, pink, yellow and skyblue, und klopft Sprüche, wie sie sich Creative Directors in Berlin-Mitte beim Anblick des Sichtbetons in ihren Agentur-Lofts ausdenken: „Die Zukunft hat die Farbe, die du ihr gibst.“
Am besten, man stellt sich die alte FDP nach Lindners Relaunch wie eine Industriebrache vor, die eine (selbst)ironische Kulisse abgibt für das Start-up der „Freien Demokraten“: auferstanden aus Ruinen, mit Gründergeist, Kreativitätslust und Hemdsärmeligkeit. „Wir sind so frei wie nie zuvor“, sagt Lindner, dreitagebartlässig und nichtkrawattiert, immer auf Roadshow, um Investoren einzusammeln, die an sein neues Produkt glauben. Es ist eine gewagte Wette auf die Zukunft. Die ersten Testergebnisse sind vielversprechend. Aber werden die „Freien Demokraten“ 2017 schon marktreif sein?
Die Probe aufs Exempel macht die FDP im März 2016, bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Dreimal Landtag wäre das Versprechen auf einen Durchmarsch. Zweimal Landtag ein wackliger Meilenstein. Einmal Landtag die Rückkehr auf Los. Anders gesagt: Frank Sitta, 37, muss es richten. Der Eventmanager aus Sangerhausen ist seit Ende April Landesvorsitzender und seit Ende August Spitzenkandidat der Freien Demokraten in Sachsen-Anhalt, ein Politiker, wie er derzeit hoch im Kurs steht bei den Lindner-Liberalen – man kann auch sagen: die rustikale Antwort Ostdeutschlands auf Lencke Steiner, die parteipolitische Novizin, die die FDP im Mai in die Bremische Bürgerschaft führte.
Landtagswahlergebnisse der FDP seit 2013
Die Landtagswahl in Niedersachsen im Januar 2013 wurde als einer der letzten Stimmungstests vor der Bundestagswahl im September angesehen. Bewährt hat sich die Wahl als Stimmungsbarometer für die FDP jedoch nicht: Sie holte in Niedersachsen 9,9 Prozent der Stimmen - bei der Bundestagswahl kam sie nicht über die Fünf-Prozent-Hürde.
Quelle: Statista 2015/Landeswahlleiter(in) (diverse)/Wikipedia
Eine Woche vor der Wahl, bei der die FDP aus dem Bundestag flog, kündigte sich das Debakel in Bayern schon an: Hier holten die Liberalen nur 3,3 Prozent.
Gleicher Tag, unterschiedliche Wahlergebnisse: Während die Bundes-FDP ihre Sachen packen musste, schafften es die Freien Demokraten in Hessen, fünf Prozent der Wähler für sich zu gewinnen.
Knapp ein Jahr nach der Bundestagswahl bekommt die FDP in Sachsen die nächste Ohrfeige: Sie bekommt 3,8 Prozent der Wählerstimmen - weniger als die rechtsextreme NDP (4,9 Prozent).
Vorläufiger Tiefpunkt der FDP: Die Landtagswahl in Brandenburg. 1,5 Prozent der Stimmen holten die Liberalen dort nur.
2,5 Prozent der Wähler entschieden sich 2014 in Thüringen für die Freien Demokraten.
Ein großer Sprung: Bei der Hamburg-Wahl holte die FDP 7,4 Prozent der Stimmen.
Auch bei der zweiten Landtagswahl 2015 in Bremen konnte die FDP sich freuen: 6,6 Prozent stimmten für die Liberalen.
Mag sein, dass Frank Sittas Kenntnis der landespolitischen Zusammenhänge seiner Aufbruchsbereitschaft noch ein wenig nachwachsen muss. Fürs Erste zählt, dass er den Schwenk weg von der Westerwelle-Rösler-FDP glaubhaft verkörpert. Und so mobilisiert Sitta – Stiefel, Jeans, kariertes Hemd – mehr als 200 Freunde, Bekannte und Interessierte für einen „Start-up-Dialog“ auf dem Gelände einer ehemaligen Salzfabrik in Halle: gestapelte Umzugskartons mit dem Parteislogan „German Mut“, wummernde Lounge-Musik, ein Hashtag-Screen fürs getwitterte Sofort-Feedback – und Christian Lindner als Special Guest: „So was hätten wir vor einem Jahr noch nicht auf die Beine gestellt bekommen.“
„So was“ stellt sich im Verlauf des Abends als ein Hybrid aus Keynote, Gesprächsrunde und Motivationstraining heraus – als Einübung in mentalen Positivismus: Es geht voran, weil es vorangeht. Die eingeladenen App-Unternehmer sind keck, formlos, nonchalant. Sie wissen zu berichten, dass Scheitern ein Ansporn ist. Einer hat sich seine Zweifel abtrainiert, ein anderer sein Ding durchgezogen. Für Lindner ist der Entrepreneur die „Hefe im Teig der Gesellschaft“. Und Sitta zitiert Abraham Lincoln: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ So in etwa wird er also aussehen, der Wahlkampf der Freien Demokraten in Sachsen-Anhalt. Frank Sitta möchte die „Stimme der Optimisten“ sein, „Mutbürger statt Wutbürger“, jederzeit „to be for something“. Niemand muss sich mit irgendwas abfinden, sagt Sitta, auch Sachsen-Anhalt nicht. Das Land sei nicht Schlusslicht, weil es Schlusslicht sei, sondern weil es aufgehört habe, an sich zu glauben: „Was du dir nicht vorstellen kannst, das kannst du auch nicht erreichen.“