
Die Email an die Rolls-Royce-Mitarbeiter im südenglischen Goodwood war unmissverständlich: “Die BMW Group ist der Ansicht, dass es für Großbritannien besser ist, Mitglied der EU zu sein als draußen“, schrieb Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvös wörtlich. Und es folgte die versteckte Warnung vor den Folgen eines Austritts (Brexit): „unsere Belegschaft könnte davon betroffen sein“. Aber auch die rund 8000 Mitarbeiter der übrigen fünf BMW-Firmen erhielten Post von ihrem Arbeitgeber, darunter auch die Mini-Belegschaft, die in der Nähe von Oxford den erfolgreichen Kultflitzer produziert.
In einem BBC-Interview am Mittwochmorgen legte dann sogar BMW-Vorstand Ian Robertson nach. Er bemüht sich dort, die Argumente der Brexit-Befürworter zu entkräften, die behaupten, ein Austritt werde nicht so schmerzhaft sein, da die übrigen EU-Länder Großbritannien nach dem Abschied ein großzügiges Freihandelsabkommen einräumen dürften: Die große Ungewissheit, die in der zweijährigen Übergangsphase auf ein Nein-Votum folgen würde, wäre auf jeden Fall schlecht fürs Geschäft, warnte er.
Der BMW-Vorstand, der selbst Brite ist, gehört zu den rund 200 Unterzeichnern eines offenen Briefs verschiedener hochkarätiger Geschäftsleute, der noch in dieser Woche in den britischen Medien veröffentlicht und dort für die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs werben soll.





Der Vorstoß von BMW ist ein mutiger und richtiger Schritt. Er birgt allerdings auch Risiken, weil Aktivisten der Nein-Kampagnen ihn als Einmischung in die Souveränität Großbritanniens kritisieren werden.
Der britische Premierminister David Cameron hatte die Unternehmen zwar aufgerufen, die Vorteile einer EU-Mitgliedschaft für Großbritannien zu erklären, doch die Gegner argumentieren, im Falle eines Austritts seien auch erhebliche Vorteile zu erwarten. Anders als im Vorfeld des schottischen Referendums im September 2014, wo die Industrie lange zögerte, bevor sie Flagge zeigte, wagen sich nun zunehmend Großkonzerne aus der Deckung. Denn schon am 23. Juni wird über die Zukunft Großbritanniens in der EU entschieden.
Eine Intervention in die innenpolitischen Angelegenheiten eines anderen Landes ist für ausländische Konzerne jedoch eine heikle Gradwanderung. Sie wollen sich nicht dem Vorwurf der politischen Einflussnahme aussetzen. Auch könnte sich die Stellungnahme eines Unternehmens als Eigentor erweisen, wenn der Eindruck entstehen sollte, die Wirtschaftselite versuche einseitig ihre Interessen durchzusetzen. Davor hatte auch BDI-Chef Markus Kerber vor einigen Wochen in London bei einer Diskussion gewarnt.
Die schwierige Beziehung der Briten zu Europa
Die Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union waren nie einfach. Der konservative britische Premierminister David Cameron will bei einer Wiederwahl 2017 ein Referendum über den Verbleib in der EU ansetzen - und vorher das Verhältnis des Königreichs zu Brüssel neu verhandeln. Geprägt von tiefem Misstrauen gegenüber Europa setzte Großbritannien in der Vergangenheit wiederholt Sonderregeln durch - und steht traditionell mit einem Fuß außerhalb der EU.
Da Großbritannien zwar viel in den EU-Haushalt einzahlte, aber kaum von den milliardenschweren Agrarhilfen profitierte, forderte die britische Premierministerin Margaret Thatcher 1979: „I want my money back!“ („Ich will mein Geld zurück!“) Die „Eiserne Lady“ setzte dann 1984 eine Rabatt-Regelung für ihr Land durch, nach der Großbritannien 66 Prozent seines Nettobeitrags an die EU zurückerhält. Der Rabatt besteht bis heute, obwohl er immer wieder den Unmut anderer EU-Länder erregt, da sie nun den britischen Anteil mittragen müssen. Doch abgeschafft werden kann die Regel nur, wenn London zustimmt.
Wer von Deutschland nach Frankreich, Österreich oder in die Niederlande reist, muss dafür seinen Pass nicht vorzeigen. Großbritannien-Urlauber sollten den Pass jedoch dabei haben: Die Briten haben sich nicht dem Schengen-Abkommen angeschlossen, das den EU-Bürgern Reisefreiheit von Italien bis Norwegen und von Portugal bis Polen garantiert.
Seit der EU-Vertrag von Lissabon im Jahr 2009 in Kraft getreten ist, kann Großbritannien wählen, an welchen Gesetzen im Bereich Inneres und Justiz es sich beteiligt. Zudem erwirkte die britische Regierung den Ausstieg aus 130 Gesetzen aus der Zeit vor dem Lissabon-Vertrag. Im Dezember 2014 stieg London dann bei rund 30 Regelungen wieder ein, darunter beim Europäischen Haftbefehl. Diese „Rosinenpickerei“ nervt im Rest der EU viele.
In der Verteidigungspolitik setzt Großbritannien auf die Nato. Als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im März für den Aufbau einer europäischen Armee warb, kam das „No“ aus London postwendend. „Verteidigung ist eine nationale, keine EU-Angelegenheit“, sagte ein Regierungssprecher. Obgleich Großbritannien Ende der 1990er Jahre den Widerstand gegen die Gründung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) aufgab, wacht es darüber, dass die Europäer hier nicht zu weit gehen. So hat London verhindert, dass es ein Militärhauptquartier in Brüssel gibt. EU-Einsätze wie etwa in Mali werden deshalb dezentral aus den Mitgliedstaaten geleitet.
Auch in der Euro-Krise ist die an ihrer Pfund-Währung festhaltende britische Insel ein gutes Stück weiter von der Kern-EU weggedriftet. Mit Sorge wurden in London die mühseligen Arbeiten zur Euro-Rettung beobachtet, zudem fürchtete die britische Regierung Folgen für den Finanzstandort London durch strengere Banken-Regulierung oder eine Finanztransaktionssteuer. Für Empörung in der EU sorgte, dass sich Großbritannien dem Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin nicht anschloss.
Kein Wunder also, dass man sich bei BMW um Sachlichkeit und nüchterne Argumente bemühte. Natürlich sei es ganz allein Sache der Briten, wie sie am 23. Juni abstimmten. „Die britischen Wähler entscheiden im Juni über einen Verbleib in der EU… Aber es ist wichtig, dass alle Rolls-Royce-Mitarbeiter die Haltung der Muttergesellschaft verstehen“, hieß es in der Email. Ein freier Handel sei für internationale Unternehmen von großer Bedeutung: mehr als die Hälfte aller Minis und praktisch alle Motoren und Komponenten, die die BMW Gruppe in Großbritannien herstelle, würden in die EU exportiert.
Gleichzeitig würden umgekehrt mehr als 150.000 neue Autos und mehrere hunderttausend Autoteile eingeführt. Ein Brexit könne zu höheren Zöllen und damit zu höheren Kosten für BMW führen. Bisher habe der Konzern auch davon profitiert, dass Arbeitskräfte sich frei zwischen Großbritannien und Deutschland bewegen können.
In Goodwood, wo Rolls Royce seine Luxuskarossen produziert, arbeiten nach Angaben von Müller-Ötvös 30 verschiedene Nationalitäten. Das ist nicht weiter erstaunlich: Die deutschen Autobauer auf der Insel bemängeln seit Jahren, dass sie vor Ort nicht die nötigen Fachkräfte finden können und Techniker und Ingenieure aus anderen Teilen Europas holen müssen.
Die BMW Gruppe allein beschäftigt in Großbritannien rund 8000 Mitarbeiter in ihren Autofabriken und weitere 11.000 Angestellte im Vertrieb. Schließt man die Zulieferer ein, so hängen rund 46.000 Jobs im Vereinigten Königreich von BMW ab, seit dem Jahr 2000 investierte der deutsche Konzern rund 1,76 Milliarden Pfund auf der Insel.