Chipmangel Die Misere der Autobauer ist hausgemacht

Quelle: Bloomberg

EU-Binnenmarktkommissar Breton will mit deutscher Rückendeckung die Chipfertigung in Europa ankurbeln und spricht mit Konzernen wie Intel. Das Projekt wird Milliarden Euro kosten – und wenig bringen, wie Experten befürchten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

An diesem Freitag empfängt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel einen alten Bekannten, Intel CEO Pat Gelsinger. Die beiden sind sich erstmals begegnet, als Breton noch den französischen IT-Dienstleistungs-Konzern Atos leitete.
Die Interessen des Franzosen und des US-Amerikaners weisen eine deutliche Schnittmenge auf.

Breton will eine Halbleiterfabrik in der EU hochziehen, die von anderen Unternehmen entworfene, möglichst innovative Chips fertigen soll. „Bis 2030 soll mindestens 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion in Europa stattfinden“, gibt Breton als Zielmarke vor. Er hat dafür die Rückendeckung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Intel-Chef Gelsinger möchte eine solche Fabrik gerne in Europa bauen, dafür aber möglichst viele Subventionen erhalten – was er natürlich nicht offen sagt.

Das Treffen findet zu einem besonderen Zeitpunkt statt. Auf der einen Seite leidet die Industrie, allen voran die Autoindustrie, unter Chipmangel wie nie zuvor. Auf der anderen Seite stehen in der EU 750 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern für den Wiederaufbau nach der Pandemie zur Verfügung.



Das beflügelt die Phantasie von Politikern wie Breton, die an die staatliche Lenkung der Wirtschaft glauben. Und lädt Konzernlenker wie Gelsinger ein, Milliardenbeträge an staatlichen Hilfen zu kassieren. In der Branche wird längst gelästert, der US-Konzern Intel betrachte Subventionen als eine seiner wichtigsten Einnahmequellen.

Auf der Suche nach einem neuen Standort reist Gelsinger gerade durch Europa, am Donnerstag war er in Deutschland. Globalfoundries würde gerne seinen Standort in Dresden abstoßen, heißt es in Branchenkreisen. Intel hält sich bedeckt. Offensiv dient sich Gelsinger dagegen der EU als Partner an. Die EU brauche „die konstruktive Mitarbeit von führenden Halbleiterherstellern“, das sei „der einzige Weg zu gewinnen“.

Der Mangel an Computerchips stürzt die Autoindustrie in eine Krise. An ausreichend Nachschub dürfte es mindestens noch bis nächstes Jahr fehlen. Autohersteller und Zulieferer suchen verzweifelt Wege aus der Misere.
von Andreas Macho, Annina Reimann, Martin Seiwert, Silke Wettach

Breton will möglichst noch bis zum Sommer unterschiedliche Akteure in einer europäischen Halbleiterallianz zusammenbringen, großzügig subventioniert aus den nationalen Wiederaufbauprogrammen. Auch das befürwortet Altmaier, wie er am Donnerstag nach einem Gespräch mit Breton betonte.

Aber kann die Autoindustrie wirklich auf eine baldige Lösung ihrer Probleme hoffen, wenn das europäische Projekt seinen Lauf nimmt? Mitnichten. „Die Politik kann den Lieferengpass der Automobilindustrie kurzfristig nicht beseitigen“, sagt Halbleiterexperte Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung. Der Mangel ist selbst verschuldet, weil die Branche mit einer langfristig niedrigeren Nachfrage rechnete und das den Chipherstellern so kommuniziert hat. Die haben in der Zwischenzeit aber längst andere, zuverlässigere Abnehmer gefunden. Dazu zählen Konsumgüterhersteller, die in Zeiten von Homeoffice in der Pandemie eine verstärke Nachfrage verzeichnet haben.

Insider beschreiben, dass die Autohersteller im vergangenen Jahr abrupt Order strichen und offenbar nicht einmal davor zurückschreckten, Verträge zu brechen. Das Vertrauen, das sie kaputt gemacht haben, lässt sich so schnell nicht wieder aufbauen.

Wenn EU-Kommissar Breton nun aber glaubt, die Produktion nach Europa holen zu können, dann droht das gleich aus mehreren Gründen zu misslingen. Bei einem Hersteller wie Intel ist es längst nicht gesagt, dass er die Fremdherstellung beherrschen wird – und dass Kunden umschwenken werden, die bisher bei den großen innovativen Fremdherstellern Samsung und TSMC geordert haben. Die Auslastung einer Chipfertigung ist aber von Bedeutung. Analysten gehen davon aus, dass Marktführer Samsung und TSMC bei den besonders innovativen Chips eine Auslastung von 95 bis 100 Prozent in diesem Jahr haben werden, weil sie sich freie Kapazität schlicht nicht leisten können.

Gleichzeitig ist es extrem kostspielig, eine Fremdherstellung von Halbleitern in Europa hochzuziehen. Der Bau einer Fertigungsstätte kostet schätzungsweise 20 Milliarden Dollar, im Jahr kommt eine Milliarde Dollar an Betriebskosten hinzu, der Energiebedarf ist groß.

Das interessiert WiWo-Leser heute besonders

Geldanlage Das Russland-Risiko: Diese deutschen Aktien leiden besonders unter dem Ukraine-Krieg

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine belastet die Börsen. Welche deutschen Aktien besonders betroffen sind, zeigt unsere Analyse.

Krisenversicherung Warum Anleger spätestens jetzt Gold kaufen sollten

Der Krieg in der Ukraine und die Abkopplung Russlands von der Weltwirtschaft sind extreme Inflationsbeschleuniger. Mit Gold wollen Anleger sich davor schützen – und einer neuerlichen Euro-Krise entgehen.

Flüssigerdgas Diese LNG-Aktien bieten die besten Rendite-Chancen

Mit verflüssigtem Erdgas aus den USA und Katar will die Bundesregierung die Abhängigkeit von Gaslieferungen aus Russland mindern. Über Nacht wird das nicht klappen. Doch LNG-Aktien bieten nun gute Chancen.

 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Für den Experten Kleinhans ist der Aufbau einer Fertigung in Europa die teuerste Manier gegenzusteuern: „Breton versucht Windmühlen zu bauen, ohne dass es Kornfelder gibt.“ Wenn Europa sich Milliarden an öffentlichen und privaten Investitionen sparen wolle, dann sollte die EU lieber das Design von Halbleitern in Europa fördern. Davon gebe es in Europa bisher viel zu wenige, so Kleinhans. „Wenn Europa seine Designfähigkeiten wieder gestärkt hat, wird die Region besser darüber nachdenken können, wie man am besten in die Herstellung von Chips investiert.“

Mehr zum Thema: Der Mangel an Computerchips stürzt die Autoindustrie in eine Krise. An ausreichend Nachschub dürfte es mindestens noch bis nächstes Jahr fehlen. Autohersteller und Zulieferer suchen verzweifelt Wege aus der Misere.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%