Drei Jahre Brexit Um Mitternacht jährte sich der real vollzogene Brexit das dritte Mal – Zeit für ein Fazit!

Drei Jahre vollzogener Brexit. Wie geht es der britischen Wirtschaft jetzt? Quelle: imago images

Premier Rishi Sunak preist die Vorzüge des Brexit an, der Internationale Währungsfonds prophezeit dem Land am selben Tag eine schwere Rezession. Wie steht es wirklich um Großbritannien? Zeit für eine Bilanz.

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Hört man in diesen Tagen Großbritanniens Premier Rishi Sunak zu, dann könnte man meinen, dass der Brexit das Land von einer Höchstleistung zur nächsten treibe. Anlässlich des Jahrestages des EU-Austritts, der sich in der Nacht auf Mittwoch bereits zum dritten Mal jährte, pries Sunak die „großen Fortschritte“ an, die das Land dabei gemacht habe, die „durch den Brexit entstandenen Freiheiten nutzbar zu machen“.

Als Beispiele nannte Sunak die „schnellste Verteilung von Impfstoffen in Europa“, Handelsabkommen mit über 70 Ländern und „das Wiedererlangen der Kontrolle“ über die Grenzen. „Wir haben mit Zuversicht einen Weg als unabhängige Nation beschritten“, ließ der Premier in seiner Erklärung wissen, die sein Amtssitz in der Downing Street am Dienstag verbreitete. 

Ist also alles bestens in Brexit-Britannien? 

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hingegen kam am selben Tag zu einem ganz anderen Schluss: In seinem neuen Ausblick warnte die Organisation in Washington davor, dass Großbritannien in diesem Jahr das einzige führende Industrieland sein könnte, in dem das Bruttoinlandsprodukt schrumpft. Für Deutschland etwa erwartet der IWF zwar auch nur ein geringes Wachstum in Höhe von 0,1 Prozent. In Großbritannien soll sich die Wirtschaft jedoch um 0,6 Prozent verkleinern. 

Den Brexit erwähnte der IWF in seinem Ausblick nicht. Stattdessen machte die Organisation die hohe Abhängigkeit des Landes von Gasimporten für ihre düstere Einschätzung verantwortlich, sowie den Umstand, dass die Zahl der Beschäftigten noch immer nicht auf den Stand vor der Pandemie zurückgekehrt sei. Die hohen Zinssätze – die nach Liz Truss‘ chaotischen 44 Tagen auf dem Posten des Premiers im Herbst in die Höhe geschossen sind – hätten zudem die Kosten für Hypotheken in die Höhe getrieben.

Rishi Sunaks angebliche Brexit-Erfolge

Brexit-Unterstützer verweisen überaus gerne auf die schnelle Verteilung der Covid-Impfstoffe, mit der Großbritannien dem europäische Festland um Monate voraus war. Die britische Zulassungsbehörde für Medikamente MHRA genehmigte bereits im Dezember 2020 den Pfizer/Biontech-Impfstoff als erste Zulassungsbehörde weltweit. Daraufhin wurde in Windeseile landesweit losgeimpft. 

Nur: Mit dem Brexit hatte das nichts zu tun. Die Zulassung des Impfstoffs und der Beginn der Impfkampagne erfolgten beide, als Großbritannien noch in der Brexit-Übergangszeit steckte. Das Land war damals weiter Teil des Binnenmarkts der EU und der Zollunion. Großbritannien hätte diesen beschleunigten Alleingang also auch als vollwertiges EU-Mitglied bewältigen können. Der wahre Vorteil gegenüber Ländern wie Deutschland war das zentralisierte staatliche Gesundheitssystem NHS und sein umfassendes Datenregister, über das die Impfkampagne landesweit effizient organisiert werden konnte.




Die mehr als 70 Handelsabkommen, die Sunak ebenfalls als Brexit-Errungenschaft anpries, erweisen sich bei genauerem Hinschauen als regelrechte Mogelpackungen. Denn bei fast allen dieser Abkommen handelt es sich um Kopien von Handelsabkommen der EU, die London – nach Rücksprache mit der Gegenseite – unverändert übernommen hat. Lediglich beim Handelsabkommen mit Japan konnte London einige zusätzliche Vereinbarungen zu Dienstleistungen herausschlagen.

Die mit viel Getöse zelebrierten Abkommen mit Australien und Neuseeland bringen Großbritannien wirtschaftlich so gut wie keine Vorteile (die Regierung spricht von einem zusätzlichen Wachstum von 0,01 bis 0,02 Prozent – über 15 Jahre). Ganz im Gegenteil: Britische Landwirte könnten beispielsweise durch den Import von neuseeländischem Lamm in Bedrängnis geraten, wenn die Barrieren beim Handel wie geplant über 15 Jahre hinweg abgebaut werden.

Auch bei der „Kontrolle der Grenzen“, die Sunak ebenfalls erwähnte, hapert es. Denn noch immer streiten sich London und Brüssel darüber, wie der Sonderstatus Nordirlands langfristig geregelt werden soll. Die Region ist nach dem Brexit als einziger Teil des Vereinigten Königreichs eng an die EU angebunden geblieben – und die dortige Wirtschaft boomt, sehr zum Argwohn der Brexit-Hardliner. Brüssel zeigte sich zuletzt kompromissbereit. Dennoch wird London langfristige Zugeständnisse machen müssen, um das Thema endgültig vom Tisch zu bekommen. 

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