Euro-Krise Die EZB hält Griechenland über Wasser

Mit milliardenschweren Notkrediten sichert EZB-Präsident Mario Draghi die Existenz der maroden griechischen Banken. Er gefährdet so die Stabilität in der Währungsunion.

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Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank Quelle: dpa

Sage noch jemand, Griechenlands neue Machthaber seien unerfahrene diplomatische Tölpel! Zwar mögen sich Athens Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis seit ihrem Amtsantritt vor vier Wochen mit ihren nassforschen Auftritten in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten viele Feinde gemacht haben. Doch als es darum ging, durch richtiges Timing in die Offensive zu kommen, lieferten die beiden diplomatische Präzisionsarbeit ab.

Wie sonst soll man sich erklären, dass die Regierung in Athen ausgerechnet am Mittwochmorgen vergangener Woche erklärte, man werde am nächsten Tag einen Antrag auf Verlängerung der Rettungskredite in Brüssel stellen, um den drohenden Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden. Denn am gleichen Tag trafen sich in Frankfurt die Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB). Wichtigster Tagesordnungspunkt des Notenbankertreffens: die Ausweitung der Notkredite, die die griechische Zentralbank an die Geschäftsbanken des Landes vergibt. Mit diesen Geldleihgeschäften, bekannt unter dem Kürzel ELA (Emergency Liquidity Assistance), hält die griechische Zentralbank die maroden hellenischen Banken künstlich am Leben. Ohne ausreichende ELA-Kredite ständen die Banken vor dem Kollaps – und Griechenland müsste den Euro verlassen.

Kennzahlen der vier griechischen Großbanken

Die Entspannungssignale aus Athen im Schuldenstreit mit seinen Geberländern verfehlten nicht ihre Wirkung. Die Währungshüter um EZB-Chef Mario Draghi beschlossen, den Griechen weitere 3,3 Milliarden Euro Notkredite zu gewähren. Wenige Stunden später trudelte dann der angekündigte Antrag Griechenlands auf eine Verlängerung des Hilfsprogramms in Brüssel ein. In dem an Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem adressierten Brief kündigt Varoufakis in ungewohnt konziliantem Ton an, Athen stehe zu seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern und sei bereit, mit EU-Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds zusammenzuarbeiten, um eine für alle Seiten akzeptable Lösung im Streit um Reformen und Sparmaßnahmen zu finden.

Target-Salden in den Bilanzen der nationalen Notenbanken Quelle: Universität Osnabrück

Mit ihren Notkrediten für marode griechische Banken hat die EZB den reformrenitenten Machthabern in Athen Zeit gekauft. Derweil fördern die Notkredite die Kapitalflucht aus Griechenland und lassen so über das Zahlungsverkehrssystem der Euro-Notenbanken, das Target-System, milliardenschwere Risiken vor allem für die deutschen Steuerzahler entstehen.

Dass Europa den Griechen nachkommt, ist ein schlechtes Zeichen für die Zukunft der Währungsunion. „Jeder Millimeter, den Syriza gewinnt, bedeutet einen ganzen Meter für die Oppositionsparteien in Spanien und Irland“, sagt ein hoher EU-Beamter. In Spanien, wo im Herbst gewählt wird, führt die erst 2014 gegründete Partei Podemos, die sich stark an Syriza orientiert, die Meinungsumfragen an. In Irland, wo im kommenden Jahr Wahlen anstehen, rangieren die Nationalisten von Sinn Féin, einst politischer Arm der Terrororganisation IRA, auf Platz eins vor der Regierungspartei Fine Gael.

Die Frage nach der Zukunft der Währungsunion

Dass die Banken in Griechenland auf Notkredite ihrer eigenen Zentralbank zurückgreifen müssen, statt sich wie die Banken in anderen Ländern über reguläre Geldleihgeschäfte mit Zentralbankgeld zu versorgen, haben sie ihrer eigenen Regierung zu verdanken. Kaum im Amt, erklärte Tsipras das vereinbarte Reformprogramm für beendet. Die Währungshüter der EZB beschlossen daraufhin, griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten für reguläre Geldleihgeschäfte mit den Banken zu akzeptieren.

Was droht Griechenland und seinen Banken?

Das betrifft Papiere im Wert von rund zwölf Milliarden Euro. Erschwerend kommt hinzu, dass die EZB ab März auch keine von der Regierung garantierten Bankanleihen mehr als Sicherheit für reguläre Geldleihgeschäfte zulässt. Im Gegenzug erlaubte sie aber der griechischen Notenbank, die Geldhäuser des Landes durch Notkredite mit Zentralbankgeld zu versorgen.

Dabei sind die Notkredite eigentlich ein Fremdkörper in der gemeinsamen Geldpolitik. „Ökonomisch betrachtet handelt es sich um ein Allmende-Problem – die übermäßige Nutzung gemeinschaftlicher Ressourcen“, sagt Frank Westermann, Professor an der Universität in Osnabrück. Will heißen: Jede Notenbank kann so Zentralbankgeld aus dem Nichts schöpfen.

Tatsächlich dürfen die nationalen Zentralbanken bis zu einem bestimmten Umfang in Eigenregie ELA-Kredite vergeben – vorausgesetzt, die Banken leiden nur unter vorübergehenden Liquiditätsengpässen, sind aber im Grunde genommen solvent. Dabei geben sie sich meist mit Sicherheiten zufrieden, die die EZB wegen mangelnder Qualität bei normalen Geldleihgeschäften nicht akzeptiert. Dafür müssen die Institute dann aber einen höheren Zins zahlen. In Bankenkreisen heißt es, die griechischen Institute müssten derzeit 1,55 Prozent Zinsen für ELA-Kredite berappen, 1,5 Prozentpunkte mehr als für reguläre Geldleihgeschäfte bei der EZB. Die Risiken aus den Geldleihgeschäften liegen offiziell bei den nationalen Zentralbanken.

Kredite des Euro-Systems an die Banken in der Euro-Zone Quelle: EZB

Da ELA-Kredite kein Element der einheitlichen Geldpolitik sind, bleibt die EZB bei der Entscheidung über ELA zunächst außen vor. Beläuft sich der Notkredit für eine Bank oder eine Bankengruppe auf weniger als 500 Millionen Euro, informiert die nationale Zentralbank die EZB lediglich im Nachhinein über den Kredit. Übersteigt der Kredit die Schwelle von 500 Millionen Euro, muss die nationale Zentralbank die EZB im Vorfeld informieren. Überschreitet der Kredit die Marke von zwei Milliarden Euro, prüft die EZB, ob das Leihgeschäft mit den Aufgaben des Euro-Systems vereinbar ist. Auf Antrag der nationalen Zentralbank kann die EZB in diesem Fall eine Obergrenze für ELA festlegen. Diese liegt im Falle Griechenlands derzeit bei 68,3 Milliarden Euro. Im Gegenzug verzichtet sie darauf, den einzelnen ELA-Krediten zu widersprechen, solange diese sich im vereinbarten Rahmen bewegen. So erhalten die nationalen Zentralbanken eine Art Freibrief, Notkredite ohne Einzelfallprüfung durch die EZB an die Banken zu vergeben.

Stoppen kann die EZB die Kredite nur mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder im Zentralbankrat. Derzeit sind von den insgesamt 25 Mitgliedern des Rats nur 21 stimmberechtigt. Für einen Stopp der ELA-Kredite wären daher 14 Stimmen nötig. Zwar waren in der Sitzung am vergangenen Mittwoch die Notenbanker Griechenlands, Zyperns und Irlands, die bisher von ELA-Krediten profitierten, wegen der Rotation nicht stimmberechtigt.

Athens Maschinerie zur rechtswidrigen Finanzierung des Staatshaushalts

Doch den Kritikern um Bundesbank-Chef Jens Weidmann gelang es nicht, eine Mehrheit gegen die Ausweitung der Notkredite auf die Beine zu stellen. Zu Recht hatte Weidmann davor gewarnt, die Griechen könnten die ELA-Kredite missbrauchen, um damit in verbotener Weise ihren Staatshaushalt zu finanzieren. Tatsächlich will die Regierung in Athen sich in den nächsten Monaten durch die Ausgabe kurzlaufender Papiere frisches Geld besorgen. Die von der Troika dafür festgelegte Obergrenze von 15 Milliarden Euro hat Athen bereits ausgeschöpft.

Bruttoinlandsprodukt und Staatsschulden Griechenlands Quelle: EU-Kommission, Statistikamt Griechenland

Sollte die EZB dieses Limit anheben, könnten die Banken des Landes mit den ELA-Krediten der Notenbank diese Staatsanleihen kaufen und dann als Sicherheit für neue ELA-Kredite einreichen, mit denen dann neue Staatsanleihen gekauft werden. Die Maschinerie zur rechtswidrigen Finanzierung des Staatshaushalts über die Notenpresse wäre perfekt.

Derzeit benötigen die griechischen Banken die ELA-Kredite jedoch für andere Zwecke. Aus Angst vor einem Ausscheiden des Landes aus der Euro-Zone räumen die Griechen ihre Bankkonten. Täglich heben sie dreistellige Millionenbeträge ab. Die Ratingagentur Moodys schätzt, dass die Banken allein im Dezember und Januar Einlagen im Wert von 15 Milliarden Euro aufgelöst haben. Nach Berechnungen von Ökonom Westermann hatten die griechischen Haushalte 2010, zu Beginn der Krise, noch rund 200 Milliarden Euro auf ihren Konten. Seither haben sie 65 Milliarden Euro abgezogen. Das Geld horten sie daheim in bar, oder sie bringen es bei ausländischen Banken in Sicherheit.

Um sich Bargeld zu beschaffen und die Überweisungen über das grenzüberschreitende Target-Zahlungsverkehrssystem der Euro-Zone abzuwickeln, benötigen die griechischen Banken Zentralbankgeld – durch ELA-Kredite. „Die griechische Notenbank ersetzt insofern die Depositen der Kunden in den Bankbilanzen durch Zentralbankkredite“, erklärt Westermann.

Ein großer Teil der Fluchtgelder fließt nach Deutschland. Darauf deutet der Target-Saldo der Deutschen Bundesbank hin. Im Januar sprang er um 55 Milliarden auf rund 515 Milliarden Euro in die Höhe. Ein Anstieg von fast zwölf Prozent. Nicht einmal während der Hochphase der Euro-Krise hatte es einen solch dramatischen Zuwachs gegeben. Das Problem: Die Forderungen, die die Bundesbank auf diesem Wege gegenüber der EZB aufbaut, sind durch keinerlei Sicherheiten gedeckt. Scheidet Griechenland aus der Euro-Zone aus, drohen der Bundesbank und damit den deutschen Steuerzahlern milliardenschwere Verluste.

Forderungen ausländischer Banken gegenüber Griechenland Quelle: BIS, Commerzbank

Dazu kommt, dass die EZB ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt, da die begünstigten Banken in Griechenland alles andere als solvent sind. Ratingagenturen zufolge schlummern in den Bilanzen der hellenischen Institute notleidende Kredite in Milliardenhöhe, für die diese keine ausreichenden Wertberichtigungen gebildet haben und die zum Teil den Wert ihres Eigenkapitals übersteigen.

Dass die Ratingagenturen die Banken dennoch nicht als insolvent bewerten, liegt kurioserweise allein daran, dass die EZB sie mit ELA-Krediten flüssig hält. Die EZB ihrerseits kann darauf verweisen, dass die Ratingagenturen die Banken als solvent einstufen – und so ihre ELA-Kreditvergabe rechtfertigen. Ein intellektueller Zirkelschluss, dem die ökonomische Basis fehlt. Denn platzen die Kredite, wird das ganze Ausmaß der bilanztechnischen Luftnummer offenbar. Die Verluste zehren das Eigenkapital der Banken auf, die Institute sind pleite. Durch die Vergabe von ELA-Krediten verschleppt die EZB den nötigen Konkurs der griechischen Banken. „Das Zombie-Banken-System, das auf diese Weise entsteht, birgt langfristig schwerwiegendere Probleme als die kurzfristigen Turbulenzen, die jede Abwicklung mit sich bringt“, urteilt Westermann.

Die Vorteile eines Grexits

Schlittern die Banken später doch in die unvermeidliche Pleite, dürften sie kaum mehr in der Lage sein, ihre ELA-Kredite zurückzuzahlen. Die griechische Zentralbank müsste ihre Forderungen abschreiben. Überschreiten die Verluste ihr Eigenkapital, stellt sich die Frage nach der Rekapitalisierung der griechischen Notenbank. Zuständig dafür wäre in erster Linie der Staat. Doch weil dieser damit finanziell überfordert sein dürfte, müssten dann wohl doch die Steuerzahler der übrigen Euro-Länder zur Kasse gebeten werden, etwa über den Euro-Rettungsschirm ESM. Die Verluste aus den ELA-Krediten der Griechen würden somit in der gesamten Euro-Zone sozialisiert.

Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner ifo Instituts, fordert daher, die ELA-Kredite auf 42 Milliarden Euro zu begrenzen. „Griechenlands Notenbank kann nur für maximal 42 Milliarden Euro haften, das ist die Summe aus ihrem Eigenkapital und der ihr gehörenden Geldmenge,in dem Sinne, dass ihr die Zinsen aus den damit ermöglichten Krediten zustehen“, sagt Sinn.

Was aber wären die Folgen, drehte die EZB den Griechen den Kredithahn zu?

Ohne Zugang zu Zentralbankgeld müsste Athen rasch Kapitalverkehrskontrollen einführen. Die Geschäftsbanken müssten dann die Barabhebungen und Überweisungen ihrer Kunden ins Ausland einschränken. Massenproteste aufgebrachter Bürger dürften die Regierung in Athen gewaltig unter Druck setzen. Lenken die Machthaber daraufhin immer noch nicht ein, steht der griechische Finanzsektor vor dem Kollaps. Der griechischen Notenbank bliebe dann nichts anderes übrig, als rasch eine eigene Währung zu drucken, um den Bankensektor liquide zu halten.

Griechenlands Mitgliedschaft in der Euro-Zone wäre beendet. Für seine Bürger würde sich die Krise dann jedoch erst einmal verschärfen. Die neue Währung würde abwerten. Die Importe und die Tilgung der auf Euro lautenden Altschulden – so die überhaupt stattfindet – würden sich massiv verteuern. Unternehmen müssten reihenweise Konkurs anmelden, die Arbeitslosigkeit stiege. Die Notenbank würde zur Finanzierung des Staatshaushalts eingespannt, Inflation wäre die Folge.

Irgendwann aber könnte die Regierung in Athen auch diese Krise in den Griff bekommen. „Auf lange Sicht könnte die griechische Wirtschaft von einem Ausstieg aus der Währungsunion durchaus profitieren, schließlich würde sich ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutlich verbessern“, schreiben die Ökonomen der Commerzbank in einer aktuellen Analyse. Auch der Rest der Euro-Zone dürfte von einem Austritt der Griechen profitieren. Zwar wäre das Gros der Hilfsgelder in diesem Fall wohl verloren. Das aber dürfte auch dann der Fall sein, wenn die Griechen im Euro bleiben. Der Grexit hätte jedoch einen großen Vorteil: Er disziplinierte all die Länder, die ebenso wie Griechenland den Reformkurs lieber heute als morgen beenden würden. Die Chance, dass aus der Währungsunion doch noch ein Stabilitätsclub wird, stiege.

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