EZB-Direktorin Isabel Schnabel klang ein wenig wie Mario Draghi. Der hatte als Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) im Juli 2012 die Eurokrise fast im Alleingang abmoderiert: Die EZB sei bereit, im Rahmen ihres Mandats, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. „Und glauben Sie mir, es wird genug sein.“ Schnabel sprach jetzt davon, dass die Zentralbank über ein „Anti-Fragmentierungswerkzeug“ verfüge. Und es „kennt keine Grenzen“. Das klingt deutlich technischer, ist aber nicht weniger wichtig – und problematisch.
Der Reihe nach: Derzeit droht ein Comeback der Eurokrise. Nicht ohne Grund versammelte der EZB-Notenbankrat sich am Mittwoch zu einer Sondersitzung. Nachdem die EZB erst die Inflation unterschätzt hatte, scheint sie nun von den massiv steigenden Anleiherenditen einiger Eurostaaten überrascht zu werden, allen voran Italien. Erstmals seit 2014 war die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zuletzt wieder über vier Prozent gesprungen. Der Renditeabstand zwischen weniger und stärker verschuldeten Euro-Ländern hatte sich jüngst deutlich ausgeweitet.
Es ist ein deutliches Warnsignal: Noch bevor die EZB ihren Leitzins das erste Mal erhöht hat – das wird erst im Juli erwartet –, muss sie schon weitere Eingriffe planen, damit ihr die Eurozone nicht um die Ohren fliegt. Die kommenden Monate werden für die EZB ein zäher geldpolitischer Kampf werden, mit massiven Fehlanreizen für die Euro-Länder – eine Umkehr zu mehr Haushaltsdisziplin wird es so kaum geben.
Offiziell wollte die EZB bei ihrer Sondersitzung „die aktuellen Marktbedingungen erörtern“. Doch schon die kurzfristig anberaumte Sitzung zeigt: Es brennt schon wieder, die Lage ist ernst. Die EZB muss aus ihrer ultralockeren Geldpolitik aussteigen, um die ausufernde Inflation einzudämmen. Auch durch den bereits eingeleiteten Schwenk zu höheren Zinsen der US-Notenbank Fed steigt der Handlungsdruck in Frankfurt; in den USA steht am Mittwochabend unserer Zeit die nächste Zinserhöhung an.
Gleichzeitig aber will die EZB es nicht hinnehmen, wenn Länder wie Italien nun in Schieflage geraten. Der Konsolidierungsdruck in solchen Ländern, hin zu einem ausgeglicheneren Haushalt, wird damit schon genommen, bevor er so richtig aufkommt. Zu groß ist die Angst, dass die Entwicklung aus dem Ruder läuft. Etwas zugespitzt: Die EZB muss die Zinsen dringend erhöhen, die Anleihenrenditen aber dürfen nicht steigen. Whatever it takes!
Das geht kaum. Oder doch? Schon vergangene Woche hatte die EZB darauf hingewiesen, dass sie freiwerdende Mittel aus ihrem mittlerweile gestoppten Pandemie-Anleiheankaufprogramm PEPP „jederzeit flexibel über den Zeitverlauf, die Anlageklassen und die Länder hinweg“ einsetzen könne, wenn es „im Zusammenhang mit der Pandemie zu einer neuerlichen Marktfragmentierung kommt“. Doch der Kreativität scheinen derzeit kaum Grenzen gesetzt zu sein. Selbst eine Begrenzung der Renditeabstände zwischen verschiedenen Euro-Ländern wurde am Finanzmarkt als Option diskutiert. Das liefe wohl auf massive Stützungskäufe etwa italienischer Staatsanleihen hinaus. Der Zweck heiligt die Mittel, mal wieder.
Verbale Interventionen jedenfalls werden wohl nicht reichen, mögen sie noch so grenzenlos sein.
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