
Der 19. April ist in Warschau noch immer ein besonderer Tag, auch nach all den Jahrzehnten. Man sieht das an den gelben Ansteckern aus Pappe, die die Menschen in der polnischen Hauptstadt am Dienstag am Revers tragen. Offiziell ist das eine Osterglocke, aber jeder Betrachter mit einigermaßen Sinn für Geschichte denkt sofort an den Judenstern. So ist das gewollt.
Am Dienstag war es genau 73 Jahre her, dass im Ghetto von Warschau der ebenso verzweifelte wie aussichtslose Aufstand der jüdischen Bewohner gegen die deutschen Besatzungstruppen begann. Nach nicht einmal einem Monat war im Frühling 1943 alles vorbei. Von der halben Million Juden, die von den Nazis im Ghetto eingepfercht wurden, überlebten nur die wenigsten.
Zur Erinnerung an einen der deutsch-polnischen Schicksalstage war am Dienstag auch Frank-Walter Steinmeier in Warschau zu Besuch. Auch der SPD-Politiker trug am Denkmal der Ghettokämpfer eine der gelben Papierblumen. Der Bundesaußenminister war aber auch wegen anderer Jubiläen nach Warschau gekommen.
2016 ist ein großes deutsch-polnisches Jubiläumsjahr: Der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag wird 25, genauso wie das deutsch-polnische Jugendwerk und das Weimarer Dreieck - die besondere Partnerschaft, die Deutschland, Frankreich und Polen seit 1991 miteinander verbindet. Nach großen Feiern steht im Moment allerdings niemandem der Sinn.
Seit dem Amtsantritt der nationalkonservativen Regierung ist das Verhältnis zwischen Berlin und Warschau so schlecht wie lange nicht mehr. Bei offiziellen Terminen - wie jetzt oder zuletzt im März beim Antrittsbesuch von Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Berlin - betonen beide Seiten zwar immer die große Bedeutung der deutsch-polnische Freundschaft. Aber kaum hat man sich wieder getrennt, ist davon nicht mehr viel übrig. Die Polen, die blocken Freundschaftsgesten ab.
Wissenswertes über Polen
Nicht selten kommt es in Polen vor, dass zum gemeinsamen Abendessen auch mal ein Wodka serviert wird. Aber keine Sorge, wer als Ausländer nicht gerne starken Alkohol trinken möchte, kann auch zu einem Bier greifen. Das gibt es in Polen in allen Varianten und Geschmacksrichtungen, zum Beispiel gemixt mit süßem Sirup.
Nicht nur die. In dem osteuropäischen Land gibt es EU-weit die meisten verschiedenen Pflanzen- und Tierarten, die aus anderen Teilen Europas zum Teil schon lange verdrängt wurden. Nicht nur der Braunbär und der Wolf sagen sich hier gute Nacht, sondern auch der Luchs, der Elch, der Biber und das Wisent.
Auch wenn es langsam aus der Mode kommt: Der Handkuss ist in Polen eine weit verbreitete Begrüßung für die Damen. Selbst eingefleischte Vertreter der Emanzipation werden bei dieser altmodischen Geste nicht protestieren, sondern den Handkuss in bester Manier graziös und mit der Handinnenseite zum Boden entgegennehmen.
Kaum eine Sprache ist so kompliziert wie die polnische. Allein die Aussprache des Worts "czesc" (hallo) birgt so seine Tücken. Wer fröhlich seine Arbeitskollegen grüßen will, könnte bei falscher Aussprache Verwirrung hervorrufen. Denn anders ausgesprochen bedeutet das Wort "sechs". Kein Wunder, dass Polen ausländische Besucher gerne aufziehen.
In Polen steppt der Bär und der Hund wird verrückt. "Wscikle pies", der verrückte Hund, nennt sich ein beliebter Shot in Polen. Er besteht aus Vodka, Himbeersirup und - tatsächlich - Tabasco. Da spielt nicht nur der Gaumen erst einmal verrückt, sondern schnell auch der Kopf.
In Polen gibt es weniger Auto als im Westen. Um jedoch in allen größeren Städten gigantische Staus zu verursachen, reichen sie aber allemal. Deshalb sollte man für Fahrten in polnischen Innenstädten lieber viel Zeit mitbringen. Das Problem wird dadurch noch verstärkt, dass jeder Lkw, der zwischen Ost- und Westeuropa verkehrt, durch Polen fährt.
Papst Johannes Paul II ist der wohl berühmteste Pole. Der Begründer der modernen Astronomie, Nikolaus Kopernikus, ist jedem ein Begriff, genauso wie die Chemikerin Marie Curie, die das radioaktive Element Radium entdeckte. Auch kulturell kann Polen mit Berühmtheiten aufwarten: der romantische Komponist Frédéric Chopin, der Science-Fiction Autor Stanislaw Lem, sowie der Regisseur und Oscar-Preisträger Roman Polanski stammen aus Polen.
So äußerte sich Ex-Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski - als Vorsitzender der Regierungspartei PiS eigentlicher starker Mann in Polen - pünktlich zu Steinmeiers Besuch überhaupt nicht freundlich. In einem Interview wies er alle Kritik zurück, dass die neue Regierung den Einfluss von Medien und Justiz beschneiden wolle. Stattdessen sprach er von Hinweisen, dass in Deutschland gerade die Demokratie „liquidiert“ worden sei.
Als Beispiel nannte er den Bundestag, wo „die Abgeordneten ohne Zustimmung der Vorgesetzten gar nichts machen können“. Steinmeier, der zwischen seinen Zeiten als Außenminister vier Jahre lang SPD-Fraktionschef war, darf sich damit durchaus angesprochen fühlen. Der Außenminister wies dies am Dienstag höflich, aber bestimmt zurück. Für die Behauptung, im Bundestag herrsche eine Diktatur, gebe es „keine Grundlage“.
Weiterer Missklang: Ausgerechnet in dem Moment, da die Deutschen für Ende August die 25-Jahr-Feiern des Weimarer Dreiecks planen, bezeichnete Außenminister Witold Waszczykowski das Gesprächsformat als „überholt“. Am Dienstag wollte er das aber nicht mehr so verstanden wissen. Vielmehr gehe es darum, sich noch öfter zu sehen. „Unser einziger Wunsch ist, dass das Dreieck öfter zusammentritt.“
Waszczykowski gilt vielen in Warschau aber schon als Außenminister auf Abruf. Nach dem Steinmeier-Besuch dürfte er in der Gunst Kaczynskis nicht gestiegen sein. Die Deutschland-Kritik des PiS-Vorsitzenden tat er mit der Bemerkung ab, dies sei die Äußerung eines „Parteifunktionärs“ gewesen. In der Regierung gebe es niemanden, der diese Meinung vertrete.
Steinmeier hielt sich bei seinen öffentlichen Auftritten mit Kritik ziemlich zurück. Allenfalls in Nebensätzen war zu hören, was man in Berlin von der gegenwärtigen Führung in Warschau hält. Zum Beispiel, als Steinmeier an Verfassungsgrundsätze wie Gewaltenteilung erinnerte. Oder betonte, dass die Freundschaft von den Völkern geprägt werde, nicht von den Regierungen. Einen Satz wie „Regierungen kommen und Regierungen gehen“ sagt der Außenminister im Umgang mit Freunden normalerweise nicht.
Zum Abschluss des fünfeinhalbstündigen Kurzbesuchs verzichtete der Außenminister dann ganz auf Worte. Am Denkmal für die Opfer des Ghettos legte Steinmeier nur still einen Kranz nieder. Der Ort ist dadurch bekannt, dass der damalige Bundeskanzler Willy Brandt (ebenfalls SPD) 1970 dort niederkniete. Steinmeier blieb stehen.