Großbritannien vor der Wahl Was ein „Brexit“ für die EU bedeutet

Die Parlamentswahl am 7. Mai ist eine wichtige Vorentscheidung für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union. Wirtschaft und Politik in ganz Europa fürchten einen Austritt. Aber wie schlimm wäre er?

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Euro-Skeptiker und Ukip-Chef Nigel Quelle: dpa Picture-Alliance

Valerie schaut auf ihre Fingernägel, dunkellila. Sie rückt die Sicherheitsweste zurecht, neongelb. Und lacht. „Gelb und Lila, Ukip-Farben – schön, nicht wahr?“ Es ist Samstagnachmittag in Margate im Südosten Englands. Die United Kingdom Independence Party (Ukip) hat in eine viktorianische Konzerthalle am Strand geladen. Valerie und ihr Mann Alan bewachen den Eingang.

Jeden mit Einladung lassen sie rein: Paare mit Silberhaar, viele ältere Damen, vereinzelt auch ein paar junge Männer und Frauen. Dann kommt Nigel Farage auf die von roten Vorhängen umrahmte Bühne. Der Zuschauerraum ist abgedunkelt, der Ukip-Chef läuft im grellen Scheinwerferlicht zu großer Form auf. „Willkommen im euroskeptischsten Wahlkreis Großbritanniens“, ruft er aus und: „Wir wollen unser Land zurück!“ Tosender Applaus.

Margate gehört zum Wahlkreis South Thanet, in dem sich Farage am 7. Mai bei den Parlamentswahlen um ein Direktmandat bemüht. Seine Partei wurde zwar bei den Europawahlen im vergangenen Jahr mit 27,5 Prozent stärkste Kraft im Vereinigten Königreich, ist bisher aber nur mit zwei Abgeordneten im Parlament von Westminster vertreten und kommt in aktuellen Umfragen auf 13 Prozent. Wenn in zwei Wochen ein neues Unterhaus gewählt wird, wird sich zeigen, wie viel Farage in den britischen Wählern steckt.

Das sind die wichtigsten Europakritiker
Nigel Farage Quelle: dpa
Frankreich Front National (FN) (70.000 Mitglieder) Marine Le Pen hat die 1972 gegründete Partei 2011 von ihrem Vater übernommen. Stark ist der FN in Südfrankreich, im Elsass sowie in den Regionen Lothringen und Nord-Pas-de-Calais. Er stellt mehrere Bürgermeister und ist mit rund 120 Abgeordneten in zwölf Regionalparlamenten vertreten. Wichtigste Forderung: Raus aus dem Euro und Neugründung Europas als Bündnis souveräner Nationalstaaten. Prognose für die Europawahl: Mit ca. 24 Prozent stärkste Kraft Quelle: REUTERS
Deutschland Alternative für Deutschland (AfD) (17.000 Mitglieder)Bernd Lucke gründete die Partei der Euro-Kritiker im Februar 2013. Der Einzug in den Bundestag wurde im Herbst 2013 nur knapp verpasst. Zuletzt präsentierte sich die ursprüngliche Professorenpartei stark zerstritten.Prognose für die Europawahl: 4 bis 7 Prozent Quelle: AP
Niederlande Partei für die Freiheit (PVV) (1 Mitglied)Geert Wilders ist Kopf und offiziell einziges Mitglied der niederländischen Rechtspartei. Nach der Schlappe bei den Parlamentswahlen 2012 (nur 10,1 Prozent) will er bei den Europawahlen durchstarten. Die Demoskopen halten einen Erfolg für wahrscheinlich. Die PVV weist derzeit die meisten Anhänger auf, die tatsächlich wählen gehen wollen.Prognose für die Europawahl: Stärkste Kraft mit 17 Prozent Quelle: AP
Italien Bewegung 5 Sterne (250.000 Mitglieder)Die Bewegung des Komikers Beppe Grillo mag zerstritten sein. Europa bietet seiner Anti-Establishment-Plattform aber reichlich Angriffsfläche. Grillo kann daher mit 16 Sitzen im Europäischen Parlament rechnen. Im italienischen Parlament stellt seine Fraktion 109 von 630 Abgeordneten. Prognose für die Europawahl: Mehr als 20 Prozent Quelle: REUTERS
Griechenland Syriza (ca. 40.000 Mitglieder)Spitzenmann Alexis Tsipras hofft auf eine Wiederholung von 2009: Das schlechte Abschneiden der konservativen Nea Dimokratia (ND) bei der Europawahl erzwang damals Neuwahlen, die zu einem Regierungswechsel führten. Premierminister Antonis Samaras will Neuwahlen um jeden Preis vermeiden. Im nationalen Parlament stellt Syriza aktuell 71 von 300 Abgeordneten.Prognose für die Europawahl: Stärkste Kraft mit 31,5 Prozent Quelle: AP
Finnland Die wahren Finnen (10 000 Mitglieder)Timo Soini, Chef der 1995 gegründeten Partei, ist vom Einzug seiner Partei ins Europaparlament überzeugt. Die Partei bezeichnet sich als patriotisch und EU-skeptisch. Seit 2011 ist sie mit 39 von 200 Abgeordneten im nationalen Parlament vertreten. Prognose für die Europawahl: Drittstärkste Kraft mit 17,5 Prozent Quelle: dpa Picture-Alliance

Nur noch 40 Prozent der Briten sind für die EU

Farage würde am liebsten sofort raus aus der EU, der amtierende Ministerpräsident David Cameron hat für den Fall einer absoluten Mehrheit ein Referendum bis spätestens 2017 über eben diese Frage, den „Brexit“, angekündigt. Ein solches Referendum hat es 1975 schon einmal gegeben. Damals stimmten die Briten mit großer Mehrheit für Europa, diesmal könnte es anders ausgehen. Nach aktuellen Meinungsumfragen sind derzeit nur noch 40 Prozent der Briten für eine Fortsetzung der Mitgliedschaft, 39 Prozent für einen Austritt.

Die Angst davor geht schon jetzt um, in der britischen Wirtschaft, in der Brüsseler Bürokratie und auch in Deutschland. Doch wäre ein Brexit wirklich der Anfang vom Ende der EU, am Ende schlimmer noch als ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone? Bangen hier nur ein paar Unternehmen um ihren Markt auf dem Festland und eine Handvoll Bürokraten um ihre Jobs? Wäre ein solcher Schritt nicht ein schwerer Schlag gegen die britische Wirtschaft – oder vielleicht doch volkswirtschaftlich durchaus verkraftbar?

Was der Brexit für Europa bedeuten würde

Diese Fragen treiben derzeit allerdings nur wenige Inselbewohner um, stattdessen streiten sich die Parteien um Steuer- und Gesundheitspolitik. Anders als die Konservativen lehnt die Labour-Partei unter ihrem jetzigen Spitzenkandidaten Ed Miliband ein EU-Referendum ab. Bei einem Sieg der Linken wäre also der Verbleib in der EU gesichert.

Die Meinungsumfragen deuten seit Monaten darauf hin, dass weder Labour noch die Konservativen eine eigene Mehrheit erreichen. Labour leidet vor allem unter dem Aufschwung der schottischen Unabhängigkeitspartei, die in Schottland fast alle Mandate gewinnen könnte. Cameron und seinen Tories macht Ukip zu schaffen. Die Tories stehen relativ alleine da, sollte es mit dem bisherigen liberaldemokratischen Koalitionspartner nicht mehr reichen, was alle Umfragen vorhersagen.

Ukip dagegen könnte schon mit ein paar Mandaten die konservative Mehrheit ruinieren. Dann könnte sie sich gemeinsam mit der nordirischen Unionspartei als Mehrheitsbeschaffer anbieten. Dafür nennt Farage vor allem eine Bedingung: ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft schon in diesem Jahr.

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