Handel zwischen Großbritannien und EU London gibt sich streitlustig

Großbritanniens Premier Boris Johnson. Quelle: REUTERS

Londons Verhandlungsmandat für die kommenden Gespräche zwischen Großbritannien und der EU kommt in Form einer Drohung: Läuft's nicht so, wie es sich London vorstellt, dann lässt man die Verhandlungen eben platzen.

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Eine große Überraschung gab es nicht, als die britische Regierung am Donnerstag Londons Verhandlungsmandat für die kommenden Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU veröffentlichte. Schließlich haben in den vergangenen Wochen mehrere führende Minister und auch Premier Boris Johnson streitlustige Erklärungen in Richtung Brüssel abgegeben. In den vergangenen Tagen veröffentlichte Johnsons Amtssitz in der Downing Street zudem eine Reihe provokanter Tweets, die keinen Zweifel daran ließen, dass London eine kämpferische Haltung einnehmen würde.

Doch bei der Veröffentlichung des tatsächlichen Mandats setzte die Regierung in London dann doch noch einen drauf. Und zwar in Form einer Drohung: Sollte es bei den Verhandlungen, die kommende Woche beginnen, bis Juni keine „ausreichenden Fortschritte“ geben, dann werde die Regierung erwägen, sich von den Gesprächen abzuwenden und sich ausschließlich darauf vorbereiten, „die Übergangszeit ordnungsgemäß zu beenden“.

Soll heißen: Laufen die Gespräche bis Juni nicht so, wie es sich London vorstellt, dann lässt Großbritannien sie eben platzen. Der Handel zwischen Großbritannien und der EU müsste dann ab dem kommenden Jahr gemäß den Regeln der Welthandelsorganisation WTO erfolgen.

Nähme man diese Drohung ernst, dann müssten beide Seiten versuchen, sich in den kommenden vier Monaten auf zahlreiche Kompromisse zu einigen. Doch das ist durch das britische Verhandlungsmandat schwieriger geworden. Denn die EU besteht derzeit noch darauf, dass sich Großbritannien auch in Zukunft an europäische Standards und Regeln hält – etwa bei den Arbeiterrechten und beim Umweltschutz. Brüssel möchte so verhindern, dass vor den Toren Europas eine riesige deregulierte Steueroase entsteht. Die EU wünscht sich auch, dass der Europäische Gerichtshof auch in Zukunft bei Streitigkeiten zwischen Briten und Kontinentaleuropäern eine Rolle spielen soll.

Doch beides lehnt London ab. Mehr noch: Fischereirechte sollen jedes Jahr neu verhandelt werden und nicht Teil des endgültigen Abkommens sein. Für den Finanzsektor soll es ein Äquivalenzabkommen geben, also eine wechselseitige Anerkennung von Regeln. Dieses Abkommen soll bis zum Sommer stehen. Und Großbritannien wünscht sich eine Freihandelszone für Güter und Agrarprodukte, ohne an EU-Standards gebunden zu sein.

Kabinettsminister Michael Gove, der für die Brexit-Vorbereitungen zuständig ist, erklärte vor dem Unterhaus, Großbritannien werde „am 31. Dezember seine volle wirtschaftliche und politische Unabhängigkeit zurückerlangen.“ London werde „seine Souveränität auch nicht wegverhandeln“, um ein Abkommen zu bekommen.

von Sascha Zastiral

Damit ist der Streit programmiert. Die EU wirft Johnson dabei vor, er habe sein Wort gebrochen. Denn in der politischen Erklärung vom Oktober, die dem Austrittsabkommen beigefügt war, hat London noch versichert, auch in Zukunft weiter den „level playing field“-Regeln der EU zu folgen. Doch diese Erklärung war, im Gegensatz zum Scheidungsabkommen, nicht rechtlich bindend. Und nun möchte London von dieser Passage der politischen Erklärung nicht mehr viel wissen. Das dürfte in Brüssel wohl kaum das Vertrauen in Zusagen Londons verstärken.

Sind die aggressiven Töne aus London nur ein taktisches Manöver? Führende Brexit-Unterstützer und auch Boris Johnson selbst haben in der Vergangenheit häufig erklärt, dass man sich bei Verhandlungen immer die Option offenhalten müsse, die Gespräche im Zweifel auch platzen zu lassen, um ein gutes Ergebnis zu bekommen. Nur kann man eben auch von Brüssel aus verfolgen, was in britischen Medien berichtet wird. Die europäische Seite dürfte diese Theorie daher mitbekommen haben.

Großbritannien verhandelt zudem aus einer betont schwachen Position. Das Land hat die EU vor wenigen Wochen verlassen. Geht nun auch noch Ende des Jahres die Übergangszeit zu Ende, ohne dass ein Handelsabkommen mit der EU steht, dann fällt der britisch-europäische Handel auf die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zurück. Und dann drohen Quoten, Zölle und massive Kontrollen an den Grenzen.

Und auf die ist Großbritannien im Moment noch nicht einmal ansatzweise vorbereitet. Schätzungen der Steuer- und Zollbehörde zufolge könnte sich die Zahl der jährlichen Zollerklärungen von derzeit 55 Millionen auf 200 Millionen fast vervierfachen. Es mangelt an Infrastruktur und an Grenzpersonal. Die britischen Zollbehörden müssten bis Ende des Jahres geschätzt mehr als 50.000 neue Mitarbeiter einstellen, um einen halbwegs reibungslosen Übergang zu gewährleisten.

Eine weitere Drohkulisse, mit der London die EU unter Druck setzen wollte, ist kürzlich mehr oder weniger eingestürzt: Eigentlich wollte London parallel zu den Gesprächen mit der EU auch mit den USA über ein Handelsabkommen verhandeln. Die Botschaft sollte wohl lauten: Schaut her, wenn ihr uns nicht wollt, dann orientiert sich „Global Britain“ eben in Richtung der USA.

Wäre da nicht dieser unberechenbare Mensch im Weißen Haus. Und mit dem hatte Johnson offenbar neulich einen heftigen Streit. Berichten zufolge hat sich Trump so sehr darüber geärgert, dass die Briten Huawei weiter in ihr 5G-Netz lassen möchten, dass er Johnson Verrat vorwarf und den Hörer auf das Telefon knallte. Johnson wollte mit seiner Huawei-Entscheidung wohl demonstrieren, dass sich Großbritannien nicht zum Juniorpartner der USA degradieren lassen würde. Der Plan ging ganz offensichtlich nicht wirklich auf.

Daher dürften die Drohgebärden aus London in Brüssel wohl vorerst für keine schlaflosen Nächte sorgen. Zumal Erklärungen der britischen Regierung häufig vor allem dazu gedacht sind, das einheimische Publik bei Laune zu halten. Schon im vergangenen Jahr gab sich Johnson gegenüber Brüssel extrem angriffslustig. Doch dann gab er in allerletzter Minute nach und ließ sich auf umfangreiche Zugeständnisse ein.

So gesehen erweist sich das kämpferische Verhandlungsmandat in London vielleicht schon bald als Papiertiger.

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