Kartellrecht Google erfolglos: EU-Gericht stärkt Vestager im Kampf gegen Big Tech

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hatte 2017 ein Bußgeld von 2,4 Milliarden gegen Google verhängen lassen. Die Rechtmäßigkeit dieser Strafe bestätigte nun das Gericht der EU. Quelle: REUTERS

Das Gericht der EU hat in erster Instanz das Bußgeld gegen Google über 2,4 Milliarden Euro bestätigt. Die Entscheidung macht aber deutlich, dass Europa härtere Instrumente gegen die Übermacht der Tech-Konzerne benötigt.

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Für EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager muss es eine große Genugtuung sein. Das Gericht der EU hat an das Bußgeld von 2,4 Milliarden bestätigt, das Vestager 2017 gegen Google verhängt hatte. Ihre Beamte haben ganz offensichtlich schlüssig argumentiert, als sie dem US-Konzern damals vorwarfen, seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber zu missbrauchen.

Vestager musste von den Luxemburger Richtern auch schon Schlappen einstecken. Im Juli 2020 etwa kassierten die Richter Vestagers Entscheidung, dass Apple 13 Milliarden Euro an Steuern an Irland nachzahlen musste. Damals war die Begründung der Beamten juristisch nicht sauber hergeleitet.

Noch ist nicht das letzte Wort gesprochen, Google kann gegen die Entscheidung aus Luxemburg Berufung einlegen – aber die Chancen in der obersten Instanz einen Sieg davonzutragen, stehen eher schlecht. Für Europas oberste Wettbewerbshüterin ist das Urteil aus Luxemburg auch deswegen wichtig, weil es ihr erster Fall gegen Google ist, mit dem sie eine Blaupause für weitere Attacken basierend auf Kartellrecht schaffen wollte. Konkret ging es darum, dass Google seine eigenen Angebote bei den Suchergebnissen besser platzierte als die Angebote der Konkurrenz. Vestager hat seither weitere Bußgelder gegen Google verhängt: Im Android-Fall eine Rekordstrafe von 4,34 Milliarden Euro, bei dem Fall zu Online-Anzeigen betrug sie 1,49 Milliarden Euro. Auch gegen diese beiden Strafzahlungen wehrt sich Google vor Gericht.

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von Sonja Álvarez

Konkurrenten und Verbraucherschützer begrüßten das Urteil am Mittwoch. Anwalt Thomas Vinje, sprach im Namen des FairSearch-Zusammenschluss, der Unternehmen wie Oracle und TripAdvisor vertritt, von einer „Ohrfeige für Google“. Für Monique Goyens, Vorsitzende der europäischen Verbraucherschutzorganisaton Beuc, bestätigt das Urteil, dass „Google seine marktbeherrschende Stellung nicht dazu missbrauchen kann, Wettbewerber unfair aus dem Weg zu räumen“.

Genau das ist aber passiert – trotz des Urteils. Und bei allem Jubel über die Entscheidung darf das Luxemburger Urteil nicht vergessen machen, dass der Weg über das Kartellrecht ein sehr langsamer ist. Shivaun Raff, CEO der britischen Suchmaschine, die mit ihrer Beschwerde bei der EU-Kommission den ersten Google-Fall angestoßen hatte, wies darauf hin, dass sie vor zwölf Jahren erstmals auf die EU-Kommission zugegangen war. „Das heutige Urteil macht den Schaden für Verbraucher nicht wett, den Google in mehr als einem Jahrzehnt angerichtet hat“, kritisiert Raff.

Gerade weil EU-Wettbewerbsverfahren so lange dauern, hat Vestager im vergangenen Jahr mit dem Digital Markets Act (DMA) ein neues Instrument vorgelegt, dass es möglich machen soll, Digitalkonzerne schneller zu bremsen, wenn sie ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen. „Wir können uns nicht länger in Jahre langen Gerichtsverfahren verlieren, wenn die Ausnutzung der Marktmacht auf der Hand liegt“, sagt der grüne Europa-Abgeordnete Rasmus Andresen und fordert eine schnelle Verabschiedung des DMA.

Wenn es gut läuft, könnte das schon im ersten Halbjahr 2022 so weit sein. Die EU-Mitgliedsstaaten werden sich möglicherweise schon in der kommenden Woche auf eine gemeinsame Position einigen, das Europäische Parlament wird noch etwas länger brauchen, ehe es einen Konsens findet.

„Nur wenn Big-Tech-Unternehmen durch Strafen und Regulierung ökonomisch Konsequenzen spüren, wird sich etwas ändern“, sagt Andresen. Im aktuellen Fall hat sich jenseits der Strafe, die so eben bestätigt wurde, für Google weniger geändert, als der Konkurrenz lieb ist. Foundem-Gründerin Raff beklagt, dass Google die inhaltlichen Auflagen der EU-Kommission seit vier Jahren nicht erfülle, und weiterhin die Konkurrenz behindere. Der neue Auktionsmechanismus sorge immer noch dafür, dass die eigenen Produkte zuoberst angezeigt würden. Die EU-Kommission schaue untätig zu, so Raff. Schon vor drei Jahren bekam Raff dabei Recht von einer jungen Juristin der US-Denkfabrik Open Markets Institute. Lina Khan bestätigte damals die Einschätzung von Raff, dass Google von dem Auktionsmechanismus profitiere. Khan ist mittlerweile oberste Kartellwächterin in den USA und kennt den Fall gut.

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Die Tatsache, dass sich die EU-Kommission in diesem Fall nur wenig darum gekümmert hat, wie gut ihre Auflagen, im Jargon „remedies“ genannt, umgesetzt werden, zeigt, dass auch die EU im Kampf gegen Wettbewerbsmissbrauch von Big Tech noch besser werden kann. Auch wenn sich Europa gerne brüstet, anderen Regionen der Welt dabei voraus zu sein.

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