Im Dauerstreit um den unzuverlässigen Impfstofflieferanten AstraZeneca will die EU-Kommission zu härteren Maßnahmen greifen. Am gestrigen Mittwoch hat die EU-Kommission den Botschaftern der EU-Mitgliedsstaaten ihre Pläne vorgelegt, das schwedisch-juristische Pharmaunternehmen zu verklagen, weil es die vertraglich zugesicherten Impfstoffmengen nicht liefert. Statt 180 Millionen Dosen will AstraZeneca bis Ende Juni nur 70 Millionen Dosen bereit stellen. Am morgigen Freitag werden die EU-Mitgliedsstaaten über das weitere Vorgehen beraten, heißt es in Diplomatenkreisen. „Alle Optionen liegen auf dem Tisch“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Donnerstag.
Die EU-Kommission, zuständig für die gemeinsame Impfstoffbeschaffung in Europa, legt damit eine deutlich härtere Gangart ein. Bisher galt eine juristische Auseinandersetzung in Brüssel als wenig Ziel führend, da sie sich über einen langen Zeitraum ziehen könnte, die Impfdosen aber so schnell wie möglich benötigt würden. In einem Streitschlichtungsverfahren hatte die EU-Kommission bisher versucht, AstraZeneca zu höheren Lieferungen zu bringen. Dies hat aber offenbar nur wenig Wirkung gezeigt.
Die Klage soll den Druck auf AstraZeneca erhöhen, im zweiten Quartal wenigstens 90 Millionen Dosen zu liefern, heißt es aus Diplomatenkreisen. Auf die volle vereinbarte Menge hofft in Brüssel offenbar schon gar niemand mehr.
Mit einer Klage signalisiert die EU-Kommission, dass sie sich nicht alles bieten lassen will. Die Art und Weise, wie AstraZeneca-Chef Pascal Soriot den Vertragsbruch in den vergangenen Monaten klein geredet hat, haben viele in Brüssel als arrogant empfunden. Aus dem Europäischen Parlament kommt seit Langem die Forderung, die Kommission solle den Rechtsweg einschlagen und AstraZeneca vor einem belgischen Gericht verklagen.
Eine Rolle scheint nun aber auch der Zeitpunkt zu spielen. Wenn AstraZeneca im zweiten Quartal mehr Dosen als bisher angekündigt liefern kann, könnten mehr Europäer rechtzeitig vor den Ferien geimpft werden. Die Stimmung in den Mitgliedsländern würde sich verbessern. Das Unternehmen soll einen Teil seiner Produktion umleiten. „AstraZeneca produziert im zweiten Quartal mehr als 70 Millionen Dosen, es geht darum, ohnehin produzierte Dosen in die EU zu liefern“, sagt der Europa-Abgeordnete Peter Liese (CDU), gesundheitspolitische Sprecher der Europäischen Volkspartei.
Thierry Breton, der Impfstoffbeauftragte der EU-Kommission, hatte kürzlich vorgerechnet, dass die EU ihr Impfziel mittlerweile auch ohne die Dosen von AstraZeneca erreichen könnte – aber dann erst im Spätsommer. Wenn Millionen von Europäern rechtzeitig vor dem Urlaub geimpft werden könnten, dann macht das einen erheblichen Unterschied.
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