Lira-Verfall Erdogan will die Inflation einfach verbieten

Ein türkischer Käse-Verkäufer in Istanbul. Die Händler ächzen unter der hohen Inflation im Land. Quelle: imago images

Im Kampf gegen die massiven Preissteigerungen in der Türkei greift die Regierung zu eigenwilligen Mitteln: Bei Inflationsbekämpfung à la Erdoğan patrouillieren Polizisten durch Supermärkte und mahnen zu hohe Preise ab.

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Durch türkische Supermärkte patrouilliert neuerdings die Polizei. Nicht um Ladendiebe zu fangen, sondern um vermeintliche Preistreiber zu ermahnen. Wer Waschmittel, Kürbisse oder Kaffee zu hoch einpreist, erhält eine Mahnung. Dafür sind die Beamten mit einer Preisliste ausgestattet, auf der der „faire Preis“ von Zahnpasta und Co. vermerkt ist. Seit Mitte September durchkämmen diese Teams die Supermärkte und Gemischtwarenläden des Landes. Laut des türkischen Handelsministeriums hätten die Beamten über 4000 Geschäfte kontrolliert und 114 wegen zu hohen Preiserhöhungen ermahnt.

So sieht Inflationsbekämpfung à la Erdoğan aus.

Mehr davon verkündete am Dienstag der türkische Wirtschaftsminister und Schwiegersohn Erdoğans, Berat Albayrak. Er sprach von einem „radikalen Krieg gegen die Inflation“, und einer „spekulativen Attacke auf die türkische Lira“. Banken sollen demnach einen zehnprozentigen Abschlag auf Kredite mit hohen Zinsen geben, und große Unternehmen ihren Kunden einen Discount von zehn Prozent gewähren.

Im September erreichte die Inflation mit 24,5 Prozent den höchsten Wert seit 17 Jahren. Nicht nur wirtschaftlich ist das ein Desaster, solche Preissteigerungen haben auch in der inflationserfahrenen Türkei politische Wirkung, und die nächsten Wahlen auf kommunaler Ebene finden im März 2019 statt. Die Regierung also ist nervös.

Die Ursachen der hohen Inflation sind nicht alle, aber zum Teil eben auch hausgemacht. Seit der Zinswende in den USA verlässt Kapital riskante Schwellenländer und kehrt in vermeintlich sichere Häfen wie US-Staatsanleihen zurück. Deswegen geraten die Währungen vieler Emerging Markets seit Monaten teils massiv unter Druck.

In der Türkei kommt erschwerend hinzu, dass der Präsident immer wieder die Unabhängigkeit der Zentralbank in Frage gestellt hat. Mehrmals hatte er angekündigt, in Zukunft die Bank stärker kontrollieren zu wollen. Erdoğan gilt als Gegner hoher Zinsen - in einer bizarren Verdrehung von Ursache und Wirkung hängt er der Theorie an, hohe Zinsen seien nicht Medizin, sondern Ursache hoher Inflation.
So kam die Zinserhöhung der Zentralbank von 17,75 auf 24 Prozent im September auch zu spät. Zuviel Vertrauen war bereits verspielt worden, um Anleger noch davon zu überzeugen, Lira zu kaufen. Auf den Absturz der Lira im Juli und August reagierten die Händler in den folgenden Wochen. In der Folge stiegen die Preise im September massiv an. 

Eine Abwärtsspirale: Der Preis eines VW Passat stieg in vergangenen Monaten von 150.000 auf 250.000 Lira. In der Folgen brachen die Verkäufe im September um 60 Prozent ein. Es hagelt nun schlechte Nachrichten“, sagt Gregor Holek, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management in Wien.

Manche Erwartungen gehen von einer Inflationsrate von bis zu 40 Prozent aus. Das entspräche in etwa dem Wertverlust der türkischen Lira der vergangenen Monate – Kosten, die importierende Unternehmen an die Konsumenten weitergeben müssen. „Obendrein verstärkt ein hoher Ölpreis die Inflation. Alles sieht nach einer harten Landung der türkischen Wirtschaft aus“, so Holek.

Die Krise jetzt mit quasi-politischen Maßnahmen zu bekämpfen, ist ebenso wirkungslos wie typisch für die aktuelle türkische Regierung. „Nötig wäre eine Schock-Zinserhöhung“, sagt Necip Bağoğlu von der Germany Trade&Invest (GTAI) in Istanbul. „Drohungen, Strafen oder Polizeimethoden werden nicht viel bringen, um die Inflation in den Griff zu bekommen.“

Wichtig wäre es, so Bağoğlu, gleichzeitig die Staatsausgaben zu verringern. Im Moment aber verstrickt sich die Türkei in einem Teufelskreis. Als die Lira stabil und die Zinsen niedrig waren, verschuldeten sich viele türkische Unternehmen in US-Dollar und Euro. Aufgrund der Zinswende und der schwachen Lira erhöht sich der Schuldendienst drastisch, und bringt viele Unternehmen an den Rand der Insolvenz. Zwar verkündete der Wirtschaftsminister auch ein Schuldenmoratorium für kleinere Unternehmen für die kommenden sechs Monate. Das entlastet zwar viele Unternehmen, erhöht aber wiederum den Druck auf die Banken. Die Banken stützen marode Unternehmen, und die wiederum müssen vom Staat mitfinanziert werden. Das aber belastet die Haushaltskasse. 

Kurzfristig kann Erdoğan die nationalistische Karte spielen. Dann gibt er ausländischen Mächten, vor allem den USA, die Schuld, die „Türkei ökonomisch zu terrorisieren“. Interne Kritiker gibt es kaum mehr, und so verschlimmern die kurzfristigen Maßnahmen aller Wahrscheinlichkeit nach nur die Misere. Langfristig aber führt kein Weg an einer Rezession vorbei. „Die Türkei muss die bittere Pille schlucken“, sagt Bağoğlu. 

Die Lira reagierte auf die Ankündigungen Albayraks so gut wie nicht. Die nächste Sitzung der Zentralbank findet am 25. Oktober statt.

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