Protest der Gelbwesten Milliarden sollen Frankreich den sozialen Frieden bringen

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„Meine einzige Sorge sind Sie“

Konkret soll der monatliche Mindestlohn von heute knapp 1500 Euro brutto ab Januar um 100 Euro erhöht werden. Das allerdings nicht zulasten der Unternehmen. Vielmehr handelt es sich um eine staatliche Prämie für Geringverdiener. Außerdem sollen Überstunden von Steuern und Abgaben befreit werden. Allein diese Maßnahme, die bereits unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit geringem Erfolg für die Arbeitnehmer getestet worden war, wird nach Schätzung von Ökonomen die Staatskasse nächstes Jahr mit rund 4 Milliarden Euro belasten.

Rentner, die weniger als 2000 Euro monatlich zur Verfügung haben, sollen von der auf alle Einkommensarten anfallenden Sozialsteuer CSG ausgenommen werden. Auch dies ist ein kostspieliges Friedensangebot. Noch zu Beginn des Jahres war die CSG um 1,7 Prozent auf 9,2 Prozent erhöht wurden, und nur Rentner mit weniger als 1300 Euro Altersruhegeld waren ausgenommen. Macron hatte damals geltend gemacht, er wolle Arbeitnehmer entlasten, gut situierte Rentner könnten dazu einen Beitrag leisten. Das hatte ihm bei den älteren Bürgern viele Sympathien gekostet. An Unternehmen, die es sich leisten können, appellierte der Präsident zudem, ihren Mitarbeitern eine von Abgaben befreite Jahresendprämie auszuzahlen.

Der Staatssekretär im Ministerium für öffentliche Ausgaben, Olivier Dussopt, bezifferte die Kosten für die von Macron gemachten Ankündigungen am Montagabend im Wirtschaftssender BFMTV auf 8 bis 10 Milliarden Euro. Zusammen mit den bereits vergangene Woche ausgesetzten Ökosteuern auf Diesel und Benzin, die ab Januar rund 4 Milliarden Euro in die Staatskassen gespült hätten, lässt sich Macron sein Friedensangebot an die aufgebrachten Bürger also zwischen 12 und 14 Milliarden Euro kosten. Ob und wie sie gegenfinanziert werden können, ist unklar.

Die Absicht ist klar: Der Präsident will die Protestbewegung der „Gilet Jaunes“ von der bisher überwältigenden Zustimmung der Bevölkerung kappen. Trotz der gewaltsamen Ausschreitungen der vergangenen Wochenenden hielten zuletzt immer noch mehr als zwei Drittel der Franzosen deren Aufruhr für gerechtfertigt. Der Staatschef rief die Bürger zur Ruhe und zum Dialog auf. „Es kann sein, dass ich den Eindruck erweckte, andere Prioritäten zu habe, einige von Ihnen verletzt habe durch meine Worte,“ spielte er auf seine bisher vor allem wirtschaftsfreundlichen Reformen an und auf manche abfällige Bemerkung gegenüber Arbeitslosen. „Meine einzige Sorge sind Sie,“ betonte er.

Bei vielen Demonstranten, die auch gestern noch im ganzen Land an Brücken und Kreisverkehren ihren Forderungen nach besseren Lebensbedingungen Nachdruck verliehen, stieß er damit allerdings auf taube Ohren. Ihnen gehen die Ankündigungen nicht weit genug. „Wir wollen 1500 Euro Mindestlohn netto. Der Aufschlag von 100 Euro ist brutto, da bleibt doch nicht viel,“ ärgerte sich in einer Live-Schalte des französischen Radiosenders France Info die Demonstrantin Eliane in der Kleinstadt Pineuilh östlich von Bordeaux. Die Großverdiener würden nicht belangt. Alexandre Chantry, einer der Organisatoren der Proteste im nordfranzösischen Lille, ließ keinen Zweifel: „Das ist großes Geschwätz,“ kanzelte der 27-Jährige die Rede des Präsidenten ab. „Das ist nicht genug. Die Bewegung wird weitermachen, und wir werden ohne Sie weitermachen, Herr Macron.“

Unterstützung bekommen die „Gilets Jaunes“ von den Oppositionsparteien, die mit dem politischen Newcomer Macron des Jahres 2017 noch immer eine Rechnung offen haben. Sie lassen kein gutes Haar an seiner Rede. Vor allem Jean-Luc Mélenchon, Anführer der linksgerichteten „Unbeugsamen“ von La France Insoumise, und Marine Le Pen vom Rassemblement National (ehemals Front National) würden ihn zu gerne über die Proteste stürzen sehen. Die radikale Gewerkschaft CGT hat für Freitag zu einem Tag des Ausstands aufgerufen. Am Samstag wollen die Demonstranten mit den gelben Warnwesten dann wieder nach Paris und in andere Großstädte ziehen. „Akt V“ nennen sie die nächste Folge der Proteste, wie in einem Theaterstück. Wann der letzte Vorhang fällt, und wer als Held von der Bühne gehen wird, ist offen.

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