Umstrittene Reformen in Polen Wie Jarosław Kaczyński den Rechtsstaat abschafft

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Was Polen und Ungarn gemeinsam haben

„Kaczyńskis eigentliches Ziel ist eine Verfassungsänderung. Er will eine zentralistische Staatsorganisation mit einem starken Präsidenten an der Spitze, der sehr umfangreiche Kompetenzen erhält“, sagt Ziemer. Zwar regiert die Partei „Recht und Gerechtigkeit“ mit absoluter Mehrheit im Parlament. Für eine derartige Verfassungsänderung reicht die Mehrheit aber nicht aus.

Dieter Bingen geht davon, dass Kaczyńskis Plan mindestens zwei Phasen haben wird. „In der ersten Phase, die wir aktuell erleben, baut er das politische System um, um die Macht für seine Partei auf längere Zeit zu sichern. In der bald folgenden zweiten Phase wird er die Mehrheit in der Gesellschaft mit einem sozial fürsorglichen Staat für seine Sache zu gewinnen suchen“, sagt der Politikwissenschaftler.

Wie geht es mit der polnischen Wirtschaft weiter?

Die PiS hatte bereits im Wahlkampf eine Reihe von sozialpolitischen Wohltaten angekündigt. Die Regierung will nun unter anderem das Kindergeld, Renten und den Mindestlohn erhöhen. „Die Wirtschaftskraft ist in Polen sehr ungleich verteilt. Es gibt große Einkommensunterschiede zwischen arm und reich“, sagt Ziemer.

Der Osten sei zudem deutlich schwächer als der Westen. „Die sozialen Wohltaten sollen mit höheren Steuern für Banken und Supermärkte bezahlt werden. Ob diese Rechnung aufgeht, ist offen.“ Polen will zwar in absehbarer Zeit nicht der Eurozone beitreten. Eine höhere Verschuldung dürfte aber auf mittlere Sicht die Gestaltungsspielräume der Regierung einschränken.

Wie hoch die Folgekosten aus dem derzeitigen Imageschaden sind, lässt sich bislang zwar nicht abschätzen, wie Bingen erklärt. „Im Augenblick baut sich in Deutschland, Westeuropa und in Nordamerika aber das Bild Polens als eines unverständlichen und reaktionären osteuropäischen Landes auf, obwohl das überhaupt nicht der bunten gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht und Polen in Mitteleuropa liegt. Das schadet dem Wirtschaftsstandort Polen“, sagt der Chef des Deutschen Polen-Instituts.

Geht Polen nun den ungarischen Weg?

Ungarns nationalkonservativer Ministerpräsident Viktor Orbán gilt vielen nationalkonservativen Kräften in Osteuropa als Vorbild. Zuletzt kündigte er an, Sanktionen der Europäischen Union gegen Polen nicht mittragen zu wollen. Orbán sieht sich als Speerspitze der Nationalkonservativen.

Aus Sicht von Bingen gibt es Gemeinsamkeiten in den Fällen Ungarn und Polen. „Den früheren Ostblockstaaten fehlt eine jahrzehntelang erprobte demokratische politische Kultur“, analysiert der Politikwissenschaftler. Viele der Gesellschaften hätten Defizite beim Aushandeln von Kompromissen. Zudem gibt es viele Verlierer der politischen und wirtschaftlichen Transformation nach 1989. „Ein Teil der Bevölkerung, vor allem die gut ausgebildete junge Generation, leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und fühlt sich abgehängt.“ Ähnlich wie in Spanien oder Griechenland gibt es also auch in Polen eine junge Generation, die keine Perspektive im Lande sieht.

Der große Unterschied zwischen Polen und Ungarn liegt für Klaus Ziemer aber im Widerstand der Bevölkerung. „Die Ungarn sind bis heute nicht in der Art auf die Straße gegangen, wie die Polen nach drei Wochen unter der neuen Regierung“, sagt Ziemer. Die Zivilgesellschaft sei in Polen viel stärker ausgeprägt. Sie wird entscheiden, wie lange sie die Pläne Kaczyńskis unterstützt.

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