Vorschlag zum Brexit Johnsons Plan ist schon so gut wie gescheitert

Großbritanniens Premier Boris Johnson. Quelle: REUTERS

Der britische Premier unterbreitet der EU seinen mit Spannung erwarteten Plan für Nordirland. Wer auf einen Durchbruch gehofft hat, dürfte enttäuscht werden.

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Großbritanniens Premier Boris Johnson hat der EU einen Fünfpunkte-Plan vorgelegt, der den festgefahrenen Brexit-Prozess in letzter Minute wieder in Gang bringen soll. Den Nordirland-„Backstop“ aus Theresa Mays gescheitertem Brexit-Deal, an dem sich vor allem die Brexit-Hardliner gestört haben, möchte Johnson komplett entfernen. Dennoch soll das gesamte Vereinigte Königreich nach dem Brexit die Zollunion verlassen – inklusive Nordirland.

Den eigentlichen Vorschlag veröffentlichte Downing Street nicht. Über den soll allenfalls hinter verschlossenen Türen mit der EU verhandelt werden. Stattdessen veröffentliche Johnsons Amtssitz am Mittwochnachmittag sein vierseitiges Schreiben an den scheidenden EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude-Juncker.

Die Überschrift: „Ein fairer und vernünftiger Kompromiss: Die Vorschläge des Vereinigten Königreichs für ein neues Protokoll zu Irland/ Nordirland“. Schon der Titel lässt erahnen, welche Rhetorik Johnson einschlagen wird, falls die EU den Vorschlag ablehnen sollte. Es bleibe „nur sehr wenig Zeit“, um ein neues Austrittsabkommen auszuhandeln, heißt es dann. „Diese Regierung möchte einen Deal, und ich bin mir sicher, dass wir ihn alle möchten.“ Sollte das nicht gelingen, würde das ein „Scheitern der Staatskunst“ darstellen, an dem alle Beteiligten schuld wären.

Dann geht es schnell zur Sache: Johnson schreibt, sein Vorschlag entferne den Nordirland-Backstop aus dem Brexit-Deal, den Theresa May mit Brüssel ausgehandelt hat. Johnson geht noch einen Schritt weiter, indem er schreibt, der Backstop sei als „Brücke“ gedacht gewesen hin zu einer langfristigen Regelung, bei der Großbritannien in Zollfragen und in rechtlichen Belangen eng an die EU angebunden geblieben wäre. Doch „diese zukünftige Beziehung ist nicht das Ziel der gegenwärtigen Regierung“, schreibt er dann. Er wünsche sich zwar ein Freihandelsabkommen mit der EU. Ansonsten werde das Land aber „in regulatorischen Belangen und bei der Handelspolitik“ eigene Wege gehen.

Das klang wie eine offene Kampfansage. Denn in Brüssel befürchtet man, dass Großbritannien versuchen könnte, sich nach dem Brexit beispielsweise durch die Senkung von Standards einen Vorteil zu verschaffen. Einige führende Mitglieder von Johnsons Regierung sprechen sich auch offen dafür aus, Großbritannien dann in eine Art Steueroase zu verwandeln.

Anschließend zählt Johnson die fünf Bereiche auf, die sein Vorschlag angeblich berücksichtige:

  • Alle zukünftigen Lösungen müssten mit dem Karfreitagsabkommen aus dem Jahr 1998 vereinbar sein, das den blutigen Nordirland-Konflikt beendet hat.
  • Die Zusammenarbeit zwischen Dublin und London solle fortgesetzt werden, und das sowohl beim Karfreitagsabkommen als auch bei allen Abkommen, die dem EU-Beitritt beider Staaten vorausgingen.
  • Es soll eine Irland-weite Regulierungszone für Waren geben, aber Nordirland soll die Zollunion verlassen.
  • Die nordirische Regionalregierung und das Regionalparlament müssten um ihre Zustimmung zu allen Regelungen gebeten werden, die Nordirland beträfen.

All das könne ohne die Einführung einer harten Grenze umgesetzt werden, schreibt Johnson weiter. Risiken für den Binnenmarkt könnten durch Maßnahmen auf beiden Seiten der Grenze gemindert werden. Die dann notwendigen Zollabfertigungen könnten dezentral und elektronisch durchgeführt werden.

Hierbei greift Johnson offenbar auf den vor wenigen Wochen veröffentlichten Plan eines Brexit-freundlichen Thinktanks zurück, den die Tory-Abgeordneten Greg Hands und Nicky Morgan ausgearbeitet haben. Die beiden schlagen unter anderem vor, Hygienetests an Lebensmitteln und Nutztieren durch mobile Inspektionsteams abseits der Grenze durchführen zu lassen. Sonderwirtschaftszonen sollen dabei helfen, Transportverzögerungen zu vermeiden. Zollabfertigungen sollen mittels neuer Programme für registrierte und „vertrauenswürdige“ Händler minimiert werden.

Als Johnson vor wenigen Wochen begann, Morgans und Hands“ Plan als mögliche Lösung für das Problem mit dem Nordirland-Backstop anzupreisen, stieß er damit umgehend auf Kritik. Der nordirische Industrieverband bezeichnet Teile des Berichts zwar als „hilfreich“, die „unerprobten“ Regelungen würden jedoch Barrieren schaffen und drohten, Unternehmen zu beschädigen. Der nordirische Einzelhandelsverband beklagte, die nötigen Kontrolleure würden die Kosten in den Versorgungsketten „unerträglich“ erhöhen. Der Spediteurverband bezeichnete die Vorschläge als „unrealistisch“. Einige Kritiker wandten ein, dass die Vorschläge zahlreiche kleinere Unternehmen in den Ruin treiben könnten.

Vor allem aber würde Johnsons aktueller Vorschlag dazu führen, dass die EU-Außengrenze ausgerechnet zu einer Region offen bleiben würde, die in der Vergangenheit schon einmal eine Schmuggler-Hochburg war. Der Umstand, dass Nordirland nach der Übergangszeit auch noch die Zollunion verlassen würde, dürfte Johnsons Vorschlag für Brüssel gänzlich inakzeptabel machen. Schließlich wäre damit die Integrität des Binnenmarkts in Gefahr.

Dennoch blieb es in Brüssel nach der Veröffentlichung von Johnsons Schreiben auffällig ruhig. Denn führende EU-Vertreter achten Berichten zufolge penibel darauf, nicht als Diejenigen wahrgenommen zu werden, die den Brexit-Prozess scheitern lassen haben.

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