Wahlaufrufe von Unternehmen „Haltung kann ein Wettbewerbsvorteil sein“

Ein Flugzeug der Lufthansa mit der Beklebung

Werbekampagnen mit politischer Haltung haben vor den Europa-Wahlen Hochkonjunktur. Stefan Wübbe von der Werbeagentur Kolle Rebbe erklärt, warum Lufthansa und andere zunehmend etwas tun. Und wo Risiken lauern.

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WirtschaftsWoche: In diesen Tagen sieht man im Netz, in Zeitungen und auf Plakaten verschiedene Anzeigen von Unternehmen, die zur Teilnahme an den Europa-Wahlen aufrufen. Ist die Nachfrage nach solchen Kampagnen gestiegen in den vergangenen Jahren?
Stefan Wübbe: Das ist auffallend, ja. Das hat es bisher so nicht gegeben. Im Gegensatz zu Wahlkampf-Kampagnen, rufen sie allerdings nur generell auf, zur Wahl zu gehen. Also ohne konkret für eine Partei zu werben. Das nimmt ihnen die Gefahr einer PR-Bombe.

Sie betreuen mit Ihrer Agentur Kolle Rebbe die Kampagne „Say yes to Europe“ für die Lufthansa. Was war die Vorgabe von Lufthansa und was ist Ihre kreative Idee dahinter?
Lufthansa wollte keine reine Lufthansa-Kampagne, sondern nur als Unterstützer der Initiative „Say yes to Europe“ auftreten. Dabei geht es darum, dass Briefwahlunterlagen zur Eintrittskarte werden für Orte, in die man sonst nicht reinkommt. Zum Beispiel in die Spieler-Kabine des BVB, auf die Bühne der Elbphilharmonie oder in die Flugsimulatoren-Halle von Lufthansa.

In Tageszeitungen ist aber auch eine Anzeige der Lufthansa zu sehen mit einem Flugzeug, auf dem „Say yes to Europe“ steht. Und unten in der Ecke der Anzeige steht: „Say yes to the world“.
Ja, das ist der internationale Marken-Claim. Lufthansa spürt, dass er die heutige Gefühlslage der Menschen sehr gut trifft. Dass in Zeiten, in der überall symbolische Mauern hochgezogen werden, eine Marke eine Haltung entgegensetzen sollte. Lufthansa lebt natürlich von einem freien Europa ohne Grenzen. Der Erfolg hat uns als Agentur ermutigt, die Idee „Say yes to Europe“ zu entwickeln. Lufthansa selbst kam dann auf die Idee, den Claim auch auf einem Flugzeug anzubringen. Auf den „Fanhansa“-Siegerflieger zur Fußball-WM 2014 gab es ja bereits ein sehr positives Feedback.

Warum machen Konzerne solche politischen Haltungskampagnen? Geht es um das Image der bei den Kunden oder ist das vielleicht auch so eine Art vertrauensbildende Maßnahme für Unternehmen, die von politischem Goodwill abhängig sind?
Da könnten drei Dinge eine Rolle spielen. Bei vielen Unternehmen ist der eigene wirtschaftliche Erfolg von bestimmten politischen Rahmenbedingungen abhängig. Da scheint es heute fast eine unternehmerische Pflicht zu sein, sich dafür einzusetzen. Offene Grenzen, niedrige Handelsbarrieren, kulturelle Vielfalt sind für viele, vor allem exportierende Unternehmen, eben sehr wichtig. Das zweite Argument: Für viele Mitarbeiter und Bewerber ist das Wertesystem und gesellschaftliche Engagement eines Arbeitgebers wichtig geworden. Mittlerweile wünscht sich übrigens jeder Dritte Deutsche von Unternehmen eine politische Haltung. Gerade für jüngere Menschen ist das extrem wichtig, wie auch eine Studie von Deloitte über die Millennials zeigt. Drittens wollen wohl auch viele Kunden eine gewisse Identifikation mit einem Unternehmen. Haltung kann also auch verkaufen oder sogar einen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Oft sind es auch bestimmte, einzelne Unternehmer, die solche Initiativen besonders vorantreiben. Wir haben etwa eine Haltungskampagne für den Online-Modehändler About You gemacht. Der Inhaber Tarek Müller ist sehr politisch engagiert und trägt das auch in die Firma rein.

Die berühmte Formel von Milton Friedman - The business of business is business - hat also ausgedient?
So generell kann man das nicht sagen. Wir haben rund 40 Kunden. Die wenigsten davon kommunizieren eine politische Haltung nach außen. Ich glaube auch nicht, dass jedes Unternehmen das tun muss. 

Scheuen Mittelständler eher davor zurück?
Es gab zum Beispiel den Fall des Uhrenherstellers Nomos-Glashütte. In deren Region war bei den Bundestagswahlen 2017 die AfD die stärkste Partei. Das Unternehmen hat das zum Anlass genommen, sich in einem offenen Brief von jeglichem Rassismus zu distanzieren – und unausgesprochen von der AfD. Da gab es ein großes positives Echo – es birgt aber eben auch Gefahren. Tendenziell trauen sich so etwas wohl eher große Firmen. Besonders bekannt wurde Nikes Kampagne um den Football-Star Colin Kaepernik. Donald Trump tweetete polternd dagegen, Menschen boykottierten die Marke, der Aktienkurs sank. Unternehmen müssen sich mögliche negative Folgen solcher Kampagnen bewusst machen. Es gibt den Satz „Haltung heißt Spaltung“, dem kann man aber auch den Satz „Haltung heißt Erhaltung“, nämlich der Wirtschaftsfähigkeit eines Unternehmens, entgegenstellen.

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