Was ist mit der Wahl einer politischen Protestpartei?
Das ist eine nette Idee, die ich so noch nicht bedacht habe. Grundsätzlich spricht man in der Politik ja von zwei Möglichkeiten, um Krisen zu entgehen: exit oder voice – flüchten oder die Stimme erheben. Mit Blick auf die Schuldenkrise und der Preisblasenbildung können Sie also versuchen, irgendwo hinzugehen, wo eine sehr strenge Geldpolitik gelebt wird. Da gibt es nicht viele Möglichkeiten. Oder sie stehen auf und sagen, ich wähle nicht mehr die Parteien, die uns den Schlamassel eingebrockt haben.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Ist das ein Wahlaufruf für die AfD?
Nein. Ich bin kein Fan der AfD, ich habe sie bisher auch nicht gewählt. Ich stelle lediglich fest, dass es nicht viele politische Alternativen zur Euro-Rettungspolitik auf Bundesebene gibt. Gleichzeitig hat die AfD mit Bernd Lucke jemanden an der Spitze, der weiß, wovon er redet. Er ist ohne Frage ein ernstzunehmender Ökonom. Gleichwohl sehe ich auch, dass die Euro-Kritiker, wie alle neuen Parteien, noch in einer Findungsphase stecken, wo es oftmals drunter und drüber geht und wo auch Querulanten negativ auffallen. Aber zurück zu unserem Gedankenspiel: Wenn ich mit der Geldpolitik in Europa nicht einverstanden bin, kann ich also Protest wählen und hoffen, dass die großen Parteien sich beeindruckt zeigen. Möglicherweise kommt es aber auch zum gegenteiligen Effekt: Die AfD-Wähler werden als für die Volksparteien verloren abgeschrieben und die große Mehrheit verbündet sich gegen eine kleine Minderheit, die so mit ihren Anliegen nicht durchdringt. Dennoch ist es kein schlechter Rat zu sagen: Eine Möglichkeit sein Vermögen zu schützen, ist es, politisch zu denken und politisch zu handeln.
Stimmen zu den Wahlen in Thüringen und Brandenburg
„Wir müssen uns härter und offensiver mit der AfD und ihrem Programm auseinandersetzen.“
„Man kann es einfach nicht mehr abstreiten, die Bürger dürsten nach einer politischen Erneuerung im Lande. Sie dürsten nach dieser Erneuerung, weil sie die Profillosigkeit der Alt-Parteien satt haben.“
„Das ist ein bitteres Ergebnis für die SPD, das müssen wir akzeptieren und tapfer tragen.“
„Rot-Rot hat sich überlebt.“
„Die Durststrecke der FDP ist noch nicht zu Ende.“
„Es ist mehr als billig, die politische Verantwortung zu übernehmen.“
„Die AfD ist eine Herausforderung für alle Parteien. Wir sehen sie nicht als Partner.“
Unabhängig vom politischen Willen: Können wir die Geldmenge überhaupt wieder eindämmen, ohne die Wirtschaft zu schwächen und Länder in die Pleite zu treiben?
Das wird sehr schwer. Egal, wie sie diese Krise lösen werden: Es wird teuer. Scheidet Deutschland aus dem Euro aus, sind die Kredite aus den Rettungspaketen vermutlich futsch und durch die Target-II-Salden stehen weitere Milliardenbelastungen an. Dieser Schritt ist folglich kaum realistisch. Nehmen wir an, die Bundesregierung setzt verstärkt für eine stabile Geldpolitik ein und die EZB würde tatsächlich die Zinsen erhöhen, droht gleich mehreren Ländern die Pleite. Wir müssen also bedächtig vorgehen.
Was ist Ihr Vorschlag?
Punkt eins: Wir müssen zur Eigenverantwortung zurückkehren und allen muss klar sein, es gibt keine Gemeinschaftshaftung und keine Bail-Outs. Punkt zwei: Wir müssen einen Rahmen schaffen für Staats- und Bankenpleiten innerhalb der Euro-Zone. Eine Insolvenz darf kein Tabu mehr sein. Wir könnten uns an den USA orientieren: Da kann ein Bundesstaat ja auch pleite gehen. Das Problem dieser Lösung: Sie haben – analog wieder zu den USA – einen Währungsraum, in dem die Lebensverhältnisse unterschiedlich sind. Dafür gibt es mehr Stabilität.
Oder wir leben das Modell der Solidarität, sprich: Wir springen ein und jeder zahlt für jeden. Das funktioniert aber nur, wenn sie eine gemeinsame Fiskalpolitik haben. Sonst machen sich die einen Länder einen Lenz und bieten kostenlose Kindergartenplätze und Universitäten an, und die anderen zahlen und sparen. Ich halte dieses Modell für unrealistisch, es stößt ja schon innerhalb Deutschlands an seine Grenzen – siehe dazu die Querelen um den deutschen Finanzausgleich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Länder wie Frankreich ihre Budgetpolitik diktieren lassen werden. Deshalb sollten wir alles dafür tun, dass wieder mehr Eigenverantwortung in Europa gelebt wird.