Konjunktur „Die Bundesregierung wappnet sich kaum für die nächste Rezession“

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Immobilienmarkt und Aktienmarkt

Wie groß ist die Gefahr gefährlicher Blasen am Immobilien- und Aktienmarkt?
Je langlebiger die Wirtschaftsgüter, desto gravierender die Gefahr von Preisverzerrungen, und nichts ist langlebiger als Immobilien. Die deutsche Kreditwirtschaft reagiert auf die Niedrigzinsphase auch dadurch, dass sie die Fristentransformation erhöht. In dem Maße, wie sich private Bauherren langfristige Finanzierungen zu Niedrigzins-Konditionen sichern, steigen die Risiken im Bankensektor, sobald die Refinanzierungskosten steigen. Bislang hat der Immobilienboom noch keine merkliche Ausdehnung der Bauwirtschaft zur Folge gehabt – hier reizt man bislang offenbar lieber die Kapazitäten bis zur Grenze aus, als massiv in neue Kapazitäten zu investieren. Darin liegt ein gewisser Schutz, weil sich somit die Produktionsstrukturen bislang nicht so sehr auf einen Wirtschaftsbereich ausgerichtet haben, als es etwa in Spanien zu Zeiten des dortigen Immobilienbooms der Fall war.

Und wie sieht es mit dem Aktienmarkt aus, kann ein Crash dort die Wirtschaft in die Krise treiben?
Bewertungskorrekturen am Aktienmarkt schlagen typischerweise nicht so stark auf die deutsche Konjunktur durch, da die hiermit verbundenen Vermögenseffekte vergleichsweise gering sind. Die deutschen Sparer machen um den Aktienmarkt ja bislang einen großen Bogen. Inwiefern es durch die günstigen Finanzierungsbedingungen auf den Kapitalmärkten zu Fehlallokation kommt, indem Unternehmen auf Geschäftsfelder setzen, die nur in Niedrigzinsphasen funktionieren, ist schwer abzuschätzen. Die grundsätzliche Gefahr besteht jedenfalls.

Wie beurteilen Sie den wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung vor dem Hintergrund der guten Konjunktur?
Die neue Bundesregierung nimmt den warmen Rückenwind mit, wappnet sich aber kaum für den eiskalten Gegenwind der nächsten Rezession. Ein Boom ist eine gesamtwirtschaftliche Fehlentwicklung und nicht etwa ein Ausweis erfolgreicher Wirtschaftspolitik. Das wird oft vergessen. Stabilitätspolitik ist dann besonders wirksam, wenn sie den Übertreibungen im Boom entgegenwirkt, umso weniger muss dann in der nachfolgenden Rezession aufgeräumt werden. Die leicht prozyklische Haushaltspolitik – die schwarze Null im Bundeshaushalt ist wenig ambitioniert – geht in die falsche Richtung. So, wie die Finanzpolitik angelegt ist, wird gegen Ende der Legislaturperiode noch einmal auf die Tube gedrückt – hier lässt wohl die Lehre vom politischen Konjunkturzyklus grüßen. Neue Prioritäten bilden sich im Wesentlichen über Mehrausgaben ab – tatsächlich lassen sich diese aber auch über Umschichtungen im Budget, also durch Minderausgaben an anderer Stelle, erreichen. Davon ist leider viel zu wenig die Rede, obwohl dies gerade in Zeiten des Booms besonders geboten wäre.

In den nächsten Jahren werden die Babyboomer vermehrt in Rente gehen…
…was die Verteilungskonflikte zwischen den Generationen verschärfen wird. Es ist daher problematisch, die Ansprüche an den Wohlfahrtsstaat zu erweitern. Vielmehr müsste dieser gerade jetzt so umgebaut werden, dass die politisch gewünschte Einkommensabsicherung besser mit marktwirtschaftlichen Leistungsanreizen verzahnt wird. Einfach nur höhere Mindestniveaus festzulegen – sei es beim ALG II oder bei der Grundrente – verschiebt die Anreizprobleme nur in andere Einkommensbereiche und zwar ohne das System „gerechter“ zu machen. Wer zum Beispiel reguläre Rentenleistungen am Markt erarbeitet hat, die jemand anderes dank Grundrente mit nur 35 Beitragsjahren erhält, wird sich kaum gerecht behandelt fühlen. Daher wäre es gerade auch für die Akzeptanz des Wohlfahrtsstaates von Belang, dass sich individuelle Leistungen auch im Nettoeinkommen spürbar niederschlagen.

Übertreiben Sie da nicht etwas? Höhere Sozialleistungen werden die Wirtschaftsdynamik sicherlich nicht zum Erliegen bringen.
Seien Sie da mal nicht zu optimistisch. Mit der Wirtschaft verhält es sich wie mit dem Riesen Gulliver. Auf die bestehenden Regulierungen werden fortwährend neue draufgesattelt – mal ist es der Mindestlohn, mal die Mietpreisbremse, mal ein Gehaltstransparenzgesetz – immer mit der Begründung, jede einzelne dieser Regulierungen würde doch kaum die wirtschaftliche Dynamik zum Erliegen bringen. Abgesehen davon, dass der bürokratische Ballast der Nachweispflichten oftmals schwerer wiegt als der Eingriff in die freie Preisbildung als solche, wird dabei regelmäßig übersehen, dass es die Summe der vielen Einzelregulierungen ist, die am Ende entscheidet. So wie Gulliver auch nicht von einem einzelnen Faden am Boden gehalten wurde, sondern von einem ganzen Geflecht. Strukturreformen können kurzfristig mit Anpassungslasten für die unmittelbar Betroffenen verbunden sein. Aber wann, wenn nicht in Zeiten des Booms, wären solche im Gesamtinteresse nützlichen Eingriffe zumutbar?

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