Ökonom Felbermayr „Die Globalisierung ist bei Gütern schon seit zehn Jahren vorbei“

Das Ende der Globalisierung bei den Gütermärkten ist erreicht. Gabriel Felbermayr sieht in Zukunft eine stärkere Verknüpfung bei Dienstleistungen. Quelle: dpa

Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermayr, über das Ende der Globalisierung im Güterhandel, die Rolle des Protektionismus und die Konsequenzen für den Weltfrieden.

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Professor Felbermayr, der Welthandel wächst seit Jahren schwächer als die globale Wirtschaftsleistung, ausländische Direktinvestitionen stagnieren und Firmen verlagern Teile ihrer Produktion zurück ins Heimatland. Ist die Globalisierung zu Ende?
Wir befinden uns in einer Phase der gespaltenen Globalisierung. Was die Gütermärkte betrifft, so hat die Globalisierung schon vor etwa zehn Jahren ihr Ende gefunden. Der Güterhandel im Verhältnis zur Industrieproduktion steigt nicht mehr. Auf der anderen Seite sehen wir eine verstärkte Globalisierung bei den Dienstleistungen. Der grenzüberschreitende Datenverkehr explodiert geradezu. Auch die grenzüberschreitenden Einnahmen aus Patenten und Lizenzen nehmen deutlich zu, ebenso der Reiseverkehr. Großes Wachstumspotenzial sehe ich auch im Bereich von Beratungs- und Gesundheitsdiensten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir manche Dienstleistungen noch nicht einmal vollständig erfassen.

Der Handel mit Dienstleistungen ist häufig an die Sprache gebunden. Hemmt das nicht den Handel?
Dem Sprachproblem wird man mit künstlicher Intelligenz begegnen können, die schon heute mehr und mehr für das Dolmetschen zum Einsatz kommt. Ich gehe davon aus, dass sich in Zukunft ein deutscher Rentner im Prinzip per Internet auch von einem indischen Arzt beraten lassen kann. 

Wie groß ist die Gefahr, dass der um sich greifende Protektionismus vom Warenhandel auf die Dienstleistungen überspringt?
Regierungen können auch bei Dienstleistungen Barrieren errichten, etwa indem sie ausländische Dienstleistungen mit zusätzlichen Steuern belegen oder den inländischen Markt durch Zulassungsbeschränkungen etwa für freie Berufe abschotten. Das kann man nicht ausschließen.

Gabriel Felbermayr geht davon aus, dass sich in Zukunft auch ein deutscher Rentner im Prinzip per Internet von einem indischen Arzt beraten lassen kann. Quelle: dpa

Ist die De-Globalisierung im Warenhandel allein auf den Protektionismus zurück zu führen?
Der wichtigste Grund für die Schwäche des Güterhandels ist nicht der Protektionismus, sondern der weltweite Bedeutungsverlust der Industrie. Schwellenländer wie China und die osteuropäischen Länder haben sich in den vergangenen Jahren rasant industrialisiert. Die Dynamik dieses Aufholprozesses hatte dem Handel mit Investitionsgütern jahrelang eine Sonderkonjunktur beschert. Von der hat auch Deutschland profitiert. Nun ist diese Sonderkonjunktur vorbei. Manche Schwellenländer schicken sich an, ihre Wirtschaft nicht zu industrialisieren, sondern gleich zu einer Dienstleistungsökonomie auszubauen. Auch in den Industrieländern setzt sich der Strukturwandel zu Dienstleistungen fort. Der Anteil der Industrie an der globalen Wertschöpfung sinkt. Das bremst den globalen Güterhandel, der zu 80 bis 85 Prozent aus Industriegütern besteht.

Wenn die De-Globalisierung vorwiegend marktgetrieben ist, dann müssen wir uns doch keine Sorgen machen.
Dort, wo die De-Globalisierung das Ergebnis ökonomischer Einflüsse wie des Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft ist, müssen wir uns in der Tat keine Sorgen machen. Grund zur Sorge besteht hingegen dort, wo die De-Globalisierung das Ergebnis staatlicher Eingriffe und von Protektionismus ist. Studien deuten darauf hin, dass zehn bis 15 Prozent der De-Globalisierung auf das Konto des Protektionismus gehen.

Die räumliche Distanz von Ländern bremst normalerweise den Handel zwischen ihnen. War die Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte eine widernatürliche Entwicklung?
Wachsende geografische Distanz geht in der Regel mit höheren Transportkosten einher. Die Unternehmen haben das in der Vergangenheit aber in Kauf genommen, weil die Lohnkostenersparnis durch die Produktion im Ausland die Transportkosten mehr als wett gemacht hat. Seit einigen Jahren dreht sich das Kalkül. China ist nicht mehr so billig wie vor 20 Jahren, die Lohnkosten sind seither kräftig gestiegen…

…was westliche Unternehmen zum Anlass nehmen könnten, die Produktion etwa nach Vietnam zu verlagern. Die Globalisierung ginge dann in die nächste Runde.
So einfach ist das nicht. Länder wie Vietnam sind zwar billiger als China, aber ihr Binnenmarkt ist viel kleiner. China konnte mit einem einheitlichen institutionellen Rahmen aufwarten. Wollten westliche Unternehmen eine ähnlich hohe Nachfrage in anderen asiatischen Ländern erschließen, müssten sie sich mit unterschiedlichen Regulierungsstandards in den einzelnen Ländern herumschlagen. 

Welche Rolle spielt der technologische Wandel für die De-Globalisierung?
Der technische Fortschritt, etwa bei 3D-Druckern, erlaubt es den Industrieländern, die Produktionsverfahren aus den Schwellenländern zurück in die Heimat zu verlagern. Die Turnschuhe kommen in Zukunft dann aus 3D-Druckern in Deutschland statt aus arbeitsintensiver Produktion in China. Der schwindende Lohnkostenvorteil Chinas und die sinkenden Preise für 3D-Drucker beschleunigen diese Entwicklung.

Die Basarökonomie ist also passe und wir produzieren wieder mehr im Inland?
Schauen Sie sich die deutschen Exporteure an. Die greifen wieder vermehrt auf heimische Vorleistungen zurück. Seit 2011 nimmt der heimische Wertschöpfungsanteil an den Exporten zu. Noch ausgeprägter ist diese Entwicklung in China. Das Land hat in den vergangenen Jahren technologisch stark aufgeholt und kann jetzt importierte Vorleistungen durch heimische Güter ersetzen. Wir erleben eine weltweite Regionalisierung der Wertschöpfungsketten.

Die Globalisierung hat die Inflation in der Vergangenheit niedrig gehalten. Müssen wir jetzt mit einer Rückkehr der Inflation rechnen?
Die preisdämpfenden Wirkungen der niedrigen Lohnkosten in China für die Weltwirtschaft verlieren in der Tat an Kraft. Aber das heißt nicht, dass die Inflation deshalb zurückkommt. Der Turnschuh aus dem 3D-Drucker in Deutschland muss nicht teurer sein als der importierte Turnschuh aus Asien. Im Gegenteil. Er kann, vor allem unter Berücksichtigung der Qualität, sogar günstiger sein. Denn die 3D-Drucker werden immer billiger. Wir haben den Einfluss des technologischen Fortschritts auf die Inflation lange unterschätzt. Dass Smartphones, Laptops und andere technische Geräte billiger geworden sind, ist nicht etwa auf gesunkene Lohnkosten in den Schwellenländern, sondern auf technologische Verbesserungen zurückzuführen. Es ist nicht absehbar, dass diese in Zukunft ausbleiben.

Wie wirkt sich die Regionalisierung von Produktion und Handel auf das Wachstum der Wirtschaft aus?
Solange die Regionalisierung auf veränderte Faktorpreisrelationen und technologische Entwicklungen zurückzuführen ist, belastet sie das Wachstum nicht, sondern stärkt es durch eine verbesserte Ressourcenallokation. Wachstumsdämpfend wirkt sie hingegen, wenn sie das erzwungene Ergebnis politischer Interventionen ist. 

Handel schafft Frieden, heißt es. Steigt mit der De-Globalisierung das politische und militärische Konfliktpotenzial in der Welt?
Mitentscheidend für die friedensstiftende Wirkung ist der Grad gegenseitiger ökonomischer Abhängigkeit. Die Rückbildung der Arbeitsteilung reduziert die gegenseitige Abhängigkeit und könnte daher konfliktfördernd wirken. Andererseits gilt es zu bedenken, dass auch eine sehr große Offenheit eines Landes das Konfliktpotenzial erhöht. Wenn ein Land beispielsweise sehr offen ist und ein wichtiges Gut aus zehn Lieferländern bezieht, kann es sich einen militärischen Konflikt mit einem dieser Länder leisten. Denn es kann weiterhin auf die Waren aus den anderen neun Ländern zurückgreifen.

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