Post aus Harvard Warum das Coronavirus die De-Globalisierung fördert

Die Folgen von Covid-19 für die Wirtschaft dürften erheblich werden, meint Ökonom Jeffrey Frankel. Quelle: imago images

Harvard-Ökonom Jeffrey Frankel analysiert exklusiv für die WirtschaftsWoche die Folgen der Corona-Epidemie für die Weltwirtschaft. Er glaubt: Die ökonomischen Folgen werden härter sein als bei früheren Epidemien – zumal zugleich die Handelskonflikte weiter schwelen. Ein Gastbeitrag.

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Jeffrey Frankel ist Professor für Kapitalbildung und Wachstum an der Universität Harvard.

Die ökonomischen Auswirkungen des Sars-Virus waren überschaubar. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Wirtschaft im Fall der aktuellen Coronavirus-Seuche ernsthaft Schaden nimmt. China ist nicht so stark gerüstet wie vor 17 Jahren. Noch Anfang des Jahres schien es für die Weltwirtschaft gut auszusehen. Das Wachstum in den USA hatte sich zwar gegenüber 2019 von 2,9 Prozent auf 2,3 Prozent verlangsamt, und weltweit war die Rate von 3,6 auf 2,9 Prozent zurückgegangen. Aber eine Rezession war ausgeblieben. Noch im Januar prognostizierte der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2020 eine globale Wachstumserholung.

Der Ausbruch des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 und der assoziierten Lungenkrankheit Covid-19 haben all dies verändert.

Dabei hatten anfängliche Prognosen über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Covid-19 noch beruhigend geklungen. Ähnliche Epidemien, etwa 2003 der Ausbruch des schweren akuten Atemwegssyndroms (Sars), eines weiteren aus China stammenden Coronavirus, hatten weltweit kaum Schaden angerichtet. Das chinesische BIP-Wachstum litt damals, aber es erholte sich rasch, da die Verbraucher zurückgestellte Ausgaben nachholten und die Unternehmen eiligst ihre Lieferrückstände aufholten und ihre Lager wieder auffüllten.

Nun wird jedoch zunehmend deutlich, dass das neue Coronavirus viel mehr Schaden anrichten dürfte als Sars. Nicht nur hat Covid-19 bereits mehr Todesfälle verursacht als sein Vorgänger; seine wirtschaftlichen Folgen dürften zudem durch ungünstige Umstände verstärkt werden.

Das fängt an mit Chinas zunehmender wirtschaftlicher Anfälligkeit: Die Wirtschaft des Landes ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich langsamer gewachsen als davor. Das war nach jahrzehntelangen zweistelligen Wachstumsraten natürlich zu erwarten, und China hat es geschafft, eine harte Landung zu vermeiden. Doch die chinesischen Banken sitzen auf großen Mengen notleidender Kredite. Diese sind eine Quelle beträchtlicher Risiken.

An der vom Virus verursachten Störung der Wirtschaftsaktivität trägt die beispiellose Quarantäne großer Bevölkerungsgruppen eine Mitschuld. Gut möglich, dass es in diesem Jahr einen steilen Konjunkturabschwung geben wird und das Wachstum deutlich unter die letztjährige offizielle Wachstumsrate von 6,1 Prozent fällt. Während der jüngsten Sitzung der G20-Finanzminister korrigierte der IWF seine Wachstumsprognose für China auf 5,6 Prozent für das laufende Jahr. Das wäre das niedrigste Niveau seit 1990.

Weil die Weltwirtschaft von China abhängiger ist denn je, könnte dadurch das globale Wachstum beträchtlich ausgebremst werden. Im Sars-Jahr 2003 steuerte China lediglich vier Prozent zum globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Heute sind es, unter Berücksichtigung des aktuellen Wechselkurses, 17 Prozent.

Zudem untergraben Störungen in China die Produktionsleistung anderswo, weil in China viele globale Lieferketten zusammenlaufen. Die Rohstoffexporteure – darunter Australien und die meisten Länder Afrikas, Lateinamerikas und des Mittleren Ostens – dürften am stärksten betroffen sein. China ist tendenziell deren größter Kunde. Doch gefährdet sind alle wichtigen Handelspartner.



Die japanische Volkswirtschaft ist im vierten Quartal 2019, bedingt durch eine Erhöhung der Verbrauchssteuer, auf das Jahr gerechnet bereits um 6,3 Prozent geschrumpft. Wenn jetzt noch Verluste aus dem Handel mit China dazukommen, erscheint eine Rezession, also zwei aufeinanderfolgende Quartale mit schrumpfendem BIP, wahrscheinlich.

Auch die produzierende Industrie in Europa könnte beträchtlich leiden. Europa ist abhängiger vom Handel als etwa die USA mit ihrem riesigen Binnenmarkt. Während Deutschland im vergangenen Jahr einer Rezession gerade noch entgangen ist, könnte es 2020 weniger Glück haben, besonders wenn es nicht in gewissem Maße fiskalisch gegensteuert. 

Einige Experten halten trotz des Coronavirus-Ausbruchs an ihrem Wachstumsoptimismus fest, der seine Wurzeln in den jüngsten von der Regierung von US-Präsident Donald Trump geschlossenen Handelsvereinbarungen hat: der „ersten Teileinigung“ mit China und den überarbeiteten Freihandelsabkommen mit Kanada und Mexiko. Zwar sind diese Vereinbarungen deutlich besser ausgefallen als angesichts der von Trump anfänglich formulierten Extrempositionen zu erwarten war. Gleichwohl stellen sie keine Verbesserung gegenüber der Situation vor Trumps Amtsantritt dar. Ihre “Netto-Auswirkungen” dürften negativ sein.

Schaut man sich die „erste Teileinigung“ mit China an, wird deutlich: Nicht nur bleiben hohe Zölle bestehen. Der Deal bleibt zudem wegen des Mangels an Glaubwürdigkeit auf beiden Seiten zerbrechlich. Jedenfalls dürften die Effekte begrenzt sein. China wird möglicherweise nicht imstande sein, sein Versprechen zum Kauf zusätzlicher US-Waren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar zu halten. Und selbst wenn, dürfte dies unter dem Strich kaum zu höheren US-Gesamtexporten führen. 

Viele Anleger hoffen nun einmal mehr auf die Notenbank. Doch sollte die US-Wirtschaft ins Taumeln geraten, hat die Federal Reserve nicht annähernd genug Spielraum, um die Zinsen wie bei früheren Rezessionen um 500 Basispunkte zu senken.

Selbst wenn es kurzfristig nicht zu einer Rezession kommt, könnte Trumps Ansatz in Handelsfragen das Ende einer Ära einläuten: einer Ära, in der der stetig zunehmende internationale Handel weltweit Frieden und Wohlstand unterstützte. Stattdessen könnten die USA und China im Rahmen einer umfassenderen Deglobalisierung ihren Kurs in Richtung wirtschaftliche Abkopplung fortsetzen.

Covid-19 ist nicht der Grund dafür, dass die beiden weltgrößten Volkswirtschaften diesen Kurs eingeschlagen haben. Aber das Virus könnte ihre Reise entlang dieses Weges durchaus beschleunigen.

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