CES 2021 Wie sehr KI Ihr Leben durchdringt, ist Ihnen gar nicht klar

Heimlicher KI-Helfer: Der neue Staubsaugerroboter JetBot 90 AI+ soll erkennen können, ob es sich bei Hindernissen im Raum um Schmutz handelt oder um empfindliches Mobiliar. 

Die Elektronikmesse CES demonstriert, wie schnell und unmerklich smarte Algorithmen das alltägliche Leben erobern. Ein Blick auf die spannendsten Neuheiten der Messe.

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Mit leisem Surren bewegt sich der Moorebot Scout über den Boden des Wohnzimmers, patrouilliert mal durch den Flur, mal durch die Küche, weicht Stuhlbeinen und der Katze aus, umfährt den Blumentopf und meldet dem Besitzer anschließend aufs Smartphone, dass daheim alles in Ordnung ist. Der autonome Überwachungsroboter ist kaum größer als eine ausgewachsene Schildkröte, aber gespickt mit Sensorik und einer hochauflösenden Kamera, um die Umgebung zu erkennen und vor allem: zu verstehen. Denn der rollende Winzling lernt dank smarter Algorithmen seine Umgebung auf den Kontrollfahrten immer besser kennen. Er navigiert auf optimierten Wegen zum Ziel und warnt, falls sich plötzlich etwas anderes als die vertraute Katze in der Wohnung bewegt.

Der elektronische Winzling, der in diesen Tagen auf der US-amerikanischen Elektronikmesse CES für Aufsehen sorgt, ist exemplarisch für einen der wichtigsten Technologietrends der Messe: die künstliche Intelligenz. Ob bei Heimrobotern oder vernetzten Staubsaugern, Fernsehern oder Zahnbürsten, in Armaturenbrettern oder Fitnessuhren – es gibt kaum eine Neuheit, in der die Hersteller nicht an irgendeiner Stelle lernfähige Software verbaut haben.

Das ist natürlich auch dem Marketing geschuldet: Denn künstliche Intelligenz (KI), wie die selbst lernenden Algorithmen auch genannt werden, ist eines der heißesten Schlagwörter in der IT und Unterhaltungselektronik. Und doch steckt weit mehr hinter dem Trend. Das zeigt sich in diesen Tagen bei den Webcasts, Videokonferenzen und Onlinediskussionen der CES, die coronabedingt erstmals nicht in Las Vegas stattfindet, sondern nur virtuell als Neuheiten-Show im Netz.

„Vor ein paar Jahren war künstliche Intelligenz nur ein Thema für Forschungsprojekte oder Anwendungen in Unternehmen, um mit mathematischen Modellen große Datenbestände zu analysieren“, sagt etwa Ken Guo in einer Diskussionsrunde am zweiten Messetag. Guo ist Chef und Gründer des auf KI-Entwicklung für Unternehmen spezialisierten Dienstleisters Hive aus Kalifornien. „Inzwischen aber sind KI-Chips und Algorithmen so kompakt und leistungsfähig, dass sie – zumindest in vereinfachter Form – selbst in Alltagsprodukten nutzbar werden.“ 

Das Umfeld zu erkennen, Bildinhalte zu interpretieren, Klängen oder Sprache zu verstehen oder die Interpretation von Nutzerverhalten, als das seien Anwendungen, die auf lernfähiger Software basierten, zählt der Hive-Chef auf. Vor wenigen Jahren noch hätten sie die Prozessorleistung von Großrechnern erfordert, sagt Guo. „Heute hingegen können Produktentwickler die entsprechenden Funktionen mithilfe trainierter Chips für wenig Geld selbst in Alltagsprodukte integrieren.“

Smarter Chip fürs persönliche Training 

Ein Beispiel dafür liefert der Elektronikspezialist Bosch, dessen Technologiechef Michael Bolle auf der CES unter anderem einen neuen Mikroprozesssor der Bosch-Tochter Sensortec für persönliche Fitnessgeräte vorstellt. Der Chip kann nicht bloß unterschiedlichste Trainingsbemühungen seines Nutzers erkennen und erfassen, sondern auch individuelle Workout-Pläne erstellen – und das ohne dabei auf eine Software-Plattform im Netz zugreifen zu müssen. „Wir haben die komplette Trainingsintelligenz in den Chip gepackt“, betont Bolle stolz, „sodass der Nutzer seine persönlichen Informationen mit niemandem im Netz teilen muss.“ In welchen Fitnesstrackern oder Trainingsuhren der sportliche Chip demnächst verbaut wird, verriet Bolle bei der CES-Web-Konferenz allerdings noch nicht.

von Stefan Hajek, Andreas Menn, Thomas Kuhn, Michael Kroker

Aus Sicht von Bridget Karlin, der globalen Technologiechefin des IT-Konzerns IBM, sind Anwendungen, wie sie der neue Bosch-Chip ermöglicht, ein perfektes Beispiel, wie smarte Algorithmen heute schon den Alltag durchdringen. Die Technologie sei inzwischen in unterschiedlichsten Anwendungen integriert – von Empfehlungslogiken beim Einkauf im Netz, über die automatisierte Kreditvergabe bei Banken bis hin zur Bilderkennung beim teilautonomen Fahren. Die Menschen bekämen gar nicht mehr mit, wo KI alles schon im Verborgenen wirke, so die IT-Expertin: „Bei der künstlichen Intelligenz nehmen wir heute allenfalls die Spitze des Eisbergs wahr.“

Und so zeigt sich in Gesprächen mit den großen Technologieanbietern auf der CES eine verblüffende Diskrepanz zwischen der Präsenz des Begriffs KI in Diskussionsrunden und bei Produktpräsentationen und der Bedeutung, die mancher Kunde dem Thema wohl tatsächlich zumisst. „Vielen Leuten ist es vermutlich völlig egal, wie die Technologie heißt oder arbeitet, die ihnen besten Sound oder perfekte Videobilder liefert. Hauptsache das Ergebnis ist entsprechend beeindruckend“, sagt beispielsweise Dave Rogers, Chef der Lifestyle-Sparte beim amerikanischen Audio-Spezialisten Harman, der inzwischen zum Samsung-Konzern gehört. 

Dennoch setzt auch Harman, das zeigen die CES-Neuheiten, längst bei der Klangoptimierung auf lernfähige Algorithmen. Etwa, wenn es darum geht, bei Kopfhörern störende Außengeräusche wegzufiltern, den Sound unter der Hörmuschel an die individuelle Ohr- und Kopfform von Trägerin oder Träger anzupassen, oder den Klang von Lautsprechern oder Soundbars in Wohnräumen so zu optimieren, dass Möbel oder Wandschmuck die Schallwellen nicht verschlucken. In den seltensten Fällen arbeitet dann in den jeweiligen Produkten selbst Software für maschinelles Lernen, doch die Programme in den Soundchips sind immer häufiger mithilfe von KI-Routinen entwickelt.

Roboternavigation im vernetzten Zuhause

Der chinesische Elektronikkonzern TCL etwa, dessen Produktpalette von Smartphones über Fernseher bis zu Waschmaschinen oder Kühlschränken reicht, betreibt weltweit insgesamt neun spezialisierte Forschungs- und Entwicklungszentren für den Einsatz von KI. „Das reicht von der Spracherkennung über die Bildverarbeitung bis zur robusten Vernetzung unserer Produkte“, sagt Stefan Streit, der globale Marketingchef von TCLs Mobilfunksparte. „Wir fragen uns inzwischen an jeder Stelle, ob und wie KI neue, nützliche Funktionen ermöglichen, oder die Bedienung der Produkte erleichtern kann.“

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Wie weit das reichen kann, demonstriert auch TCL-Wettbewerber Samsung bei der Präsentation seiner CES-Neuheiten. So navigiert etwa der neue Staubsaugerroboter JetBot 90 AI+ nicht bloß mithilfe von 3D-Kameras und einem Lidar-Sensor auf optimierten Saugwegen durch die Wohnung. Der futuristische Sauger soll beispielsweise auch erkennen können, ob es sich bei Hindernissen im Raum um Schmutz handelt („Wegsaugen!“), oder um empfindliches Mobiliar („Vorsichtig umkurven!“). 

Der virtuelle Küchenassistent im vernetzten Kühlschrank wiederum entwickelt – basierend auf den Vorräten und den bereits erfassten Vorlieben des Benutzers – individuelle Kochvorschläge für den persönlichen Speiseplan, zeigt sie im Display des Gerätes an und lässt sich über den Sprachassistenten Bixby in Samsungs Smartphones steuern.

Während derlei Finessen mehr praktisch als wirklich zwingend sein mögen, versprechen zwei weitere KI-basierende Neuerungen, die der koreanische Technologiekonzern auf der CES vorgestellt hat, vor allem seh- oder hörbehinderten Menschen deutlich mehr Komfort beim Fernsehen. So haben die Entwickler ihre KI-Software inzwischen soweit trainiert, dass sie in der Lage ist, Töne, Sprache oder Bildinhalte in Echtzeit zu erkennen und mithilfe digitaler Assistenten für Zuschauer oder -hörer nutzbar zu machen. 

Echtzeitübersetzer fürs Fernsehbild

Die Technik erlaubt es dem TV-Gerät zum einen, automatisch Untertitel zu erzeugen, die sich ins Bild einblenden lassen und Geräusche oder Sprache aus dem Videobild in lesbaren Text zu übersetzen. Zum anderen erkennt die Software Bildinhalte in TV-Programm oder Videobild und beschreibt diese in einer zusätzlichen Tonspur, die sich zum regulären Bild oder Ton hinzuschalten lässt. Noch sind beide Funktionen nur Prototypen, doch was in diesem Jahr noch KI-Zukunft ist, könnte zur nächsten CES schon fertiges Produkt sein. 

Der Autohersteller Daimler wiederum zeigt auf der Messe am Beispiel seines neuen Hyperscreens, wie lernende Software die Interaktion von Mensch und Maschine im Fahrzeug verändern kann. Die futuristische Neuinterpretation des klassischen Armaturenbretts, die als erstes in der neuen E-Limousine Mercedes EQS zum Einsatz kommen wird, vereint drei Großdisplays unter einer Oberfläche und kommt ohne jegliche Bedienknöpfe aus.

Stattdessen sollen die Bildschirme automatisch die jeweils sinnvollen Anwendungen einblenden und zudem für unterschiedliche Nutzer lernen, wer welche Funktionen am häufigsten nutzt. Mit fortschreitender Nutzung lerne das Fahrzeug den Nutzer damit immer besser kennen und passe die Bildschirminhalte den Bedürfnissen an, verspricht Vera Schmidt, die Chefin für digitales Design bei Daimler. Gleichzeitig erkenne die Intelligenz im Cockpit, ob sich Fahrer oder Fahrerin von Inhalten auf einem der drei bis vor den Beifahrersitz reichenden Displays ablenken lasse oder, ob die Aufmerksamkeit am Lenker nachlasse.

Auch das wäre ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die smarten Algorithmen immer neue Einsatzbereiche erobern. „Ich möchte nicht behaupten, dass jede Anwendung durch künstliche Intelligenz besser wird,“ bringt Eric Cornelius, Produktchef des IT-Spezialisten Blackberry, die Entwicklung in einer CES-Expertenrunde auf den Punkt. „Aber die Zahl der Anwendungen in unserem privaten und beruflichen Alltag wächst rasant, in denen KI genau das leistet.“

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