Digitaler Polizeifunk Warum das Milliarden-Netz ausgerechnet in der Katastrophe versagt hat

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Keine Chance für die Notstromversorgung

Erste Analysen zeigen, dass die Wassermassen gerade im Ahrtal an vielen Orten entweder die Stromversorgung der Basisstationen oder die Datenleitungen zu den Vermittlungsstellen überflutet oder gleich ganz weggerissen haben. Fehlt letztere, kann die jeweilige Funkzelle zwar noch Verbindungen zwischen den dort aktuell angemeldeten Funkgeräten vermitteln. Die Kommunikation mit anderen Basisstationen – etwa in anderen Teilen eines Landkreises – aber ist nicht mehr möglich. Und auch weitere Hilfskräfte, die zur Unterstützung entsandt werden, können sich im betroffenen Gebiet nicht mehr übers Netz mit den dort schon tätigen Helfern verbinden.

Dazu kommt, dass viele der rund 5000 Basisstationen bundesweit nur eine begrenzte Zeit ohne Netzstrom arbeiten. Teils sind die Batteriepuffer bereits nach zwei Stunden leer, andere nach vier oder sechs Stunden. Nur ein Teil der Stationen verfügt über eigene Notstromaggregate, Dieselgeneratoren oder Brennstoffzellen. An vielen Standorten war zwar für einen lokalen Stromausfall vorgesehen, dass Feuerwehren oder Technisches Hilfswerk einen Generator zu den Stationen bringen und Strom einspeisen. „Aber was machst du, wenn die Flut Straßen und Brücken weggerissen hat, über die du hättest zu den Stationen fahren sollen“, fragt sich ein Feuerwehrverantwortlicher, der in der Unwetternacht selbst zahlreiche Fahrzeuge in den Fluten verloren hat. „Wir hatten gar keine Chance, das Netz in Gang zu halten.“

Zusätzlich erschwert wurde die Lage, weil mit Straßen und Brücken oft auch die Kabelschächte und Leitungsverbindungen weggerissen wurden, die Sendemasten und Vermittlungstechnik im Hintergrund verbunden haben. „Offenbar waren die Leitungen zu den Stationen nicht ausreichend gegen solch katastrophale Zustände gesichert“, gibt ein BOSnet-Insider zu bedenken. Nicht überall im Bundesgebiet setzen die Länder auf eigene Leitungen oder eigene Richtfunkverbindungen, die die Basisstationen versorgen. 

Sichere Leitungen sind fünf bis fünfzigmal teurer

„Vielerorts haben die Verantwortlichen in den Ländern einfach Anschlüsse über das reguläre Netz der Kommunikationsanbieter gemietet, statt eigene ‚gehärtete‘ Leitungsstrecken aufzubauen“, sagt ein Experte für Kommunikationsnetze bei einer der Hilfsorganisationen. Das ist wohl auch eine Kostenfrage. Die Technik der Netzbetreiber zu mieten, kostet nur einen Bruchteil dessen, was beim Aufbau eigener Leitungen fällig wird. Erst recht, wenn diese nicht durch die Leerrohre entlang bestehender Verkehrswege verlaufen sollen, sondern beispielsweise tief unterhalb von Flussbetten oder in Tälern weit oben am Hang fernab von Überflutungsgefahren. 

„Je nach Aufwand und Sicherheitsanspruch kosten solche gesicherten Leitungen einschließlich der Verlegung zwischen fünf und fünfzigmal mehr als eine gemietete Glasfaser bei der Telekom oder einem anderen Anbieter“, so der Netzexperte. Gerade in Flächenländern hätte manch verantwortliches Innenministerium angesichts der Vielzahl der anzuschließenden Standorte denn auch aus Kostengründen lieber Leitungen gemietet statt selbst welche zu legen.

Anders offenbar beim Bund, wo es heißt, dass die Leitungen des Kernnetzes weit überwiegend „gehärtet und auf eigenen Trassen“ verlegt seien. Tatsächlich, berichten Fachleute, sei die Infrastruktur im Hintergrund von den Ausfällen nicht betroffen. Eine einzige Vermittlungsstelle, heißt es aus dem Kreis der beteiligten Behörden, sei im Rhein-Sieg-Kreis von einer Überflutung bedroht gewesen. „Aber da hatten wir schon alle Ersatzleitungen zu einer Ausweichstation vorbereitet“, sagt ein Techniker. „Wäre das Wasser noch etwas gestiegen, hätten wir einfach umgeschaltet.“

Doch auch ihm ist klar: „Was nützt ein funktionierendes Kernnetz, wenn die Technik auf der sogenannten ‚letzten Meile‘ versagt, wenn Helfer in Leitstellen, in Einsatzfahrzeugen oder an den Handfunkgeräten niemanden mehr erreichen?“ Zumal die Katastrophe noch einen weiteren schweren Engpass offenbart hat: Gerade in ländlichen Regionen fehlten speziell in der Krise auch dort Funkkapazitäten, wo die Basisstationen gar nicht ausgefallen sind. 

Riskante Sparsamkeit auf dem Land

Denn gerade dort, wo wenig Menschen leben und wenig passiert, ist auch die Übertragungstechnik knapper dimensioniert als in den Ballungsräumen – und können deshalb deutlich weniger Gespräche vermittelt werden. „Was im regulären Einsatzalltag ausreichend und effizient erscheint, fällt uns in Großlagen wie derzeit umso schmerzlicher auf die Füße“, so ein Funkplaner aus dem Kreis der Hilfsorganisationen.

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Inzwischen haben Bund und Länder in den betroffenen Gebieten deutlich aufgerüstet. Die BDBOS etwa hat zehn mobile Basisstationen in die Hochwassergebiete geschickt, die sich via Satellitenfunk mit dem Kernnetz verbinden und die zerstörten Anlagen vor Ort zunächst ersetzen. Aber auch da zeigen sich Engpässe: Geplant war, rund das Vierfache an derartigen Notstationen zu beschaffen. Bestellt und geliefert aber wurden bisher nur zehn.

Mehr zum Thema: Die zerstörerische Flut hat den meisten Winzern an der Ahr Haus und Hof, Geräte und Vorräte genommen und Rotwein im Wert von 50 Millionen Euro vernichtet. Nun kämpfen sie um den Jahrgang 2021 – und mit Unterstützung aus der Luft gegen Schimmelbefall. 

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