Docplanner und Jameda „Wir bauen das Betriebssystem für den globalen Gesundheitsmarkt“

Gesundheitssoftware hat erst durch Corona einen wirklichen Schub erhalten. Quelle: Getty Images

Docplanner-Chef Mariusz Gralewski und Jameda-Chef Florian Weiß über ihre Vision für einen integrierten Anbieter von Gesundheitssoftware – und deutsche Ärzte, die noch Faxe versenden.

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Zu Beginn dieses Jahres hat der aus Polen stammende Digital-Health-Pionier Docplanner den deutschen Marktführer für Online-Terminbuchung bei Ärzten, Jameda, gekauft und die Anteile des früheren Eigners Burda übernommen. Bisher erreicht Docplanner rund 110.000 Ärzte und monatlich fast 70 Millionen Patienten. Durch Jameda kommen mehr als 20.000 Ärzte und acht Millionen Patienten im Monat hinzu.

WirtschaftsWoche: Herr Gralewski, Herr Weiß, gegenwärtig holen sich die Menschen in vielen Ländern ihre dritte Coronaimpfung ab. Inwiefern kann die Online-Terminvergabe dabei helfen?
Mariusz Gralewski: Die Möglichkeit, online Termine zu buchen, hat in vielen Ländern die Organisation der Coronaschutzimpfungen vereinfacht und beschleunigt – vor allem, nachdem Regierungen ihre eigenen Systeme für Drittanbieter geöffnet haben. Zudem haben wir mit unserer Software in vielen Ländern bei der Durchführung von Coronatests geholfen. Und wir konnten viele Patienten über die geltenden Sicherheitsbestimmungen informieren, bevor sie zum Arzt oder ins Krankenhaus gehen ­– ein wichtiger Aspekt bei der Pandemiebekämpfung.

Florian Weiß: In Deutschland gab es einen großen Schub, als die Bundesregierung Mitte des vergangenen Jahres Coronaimpfungen durch niedergelassene Ärzte zugelassen hat. Da wurden viele Doktoren vom Wunsch ihrer Patienten, sich schnell impfen zu lassen, regelrecht überrannt. Manche Ärzte haben 40, 50 oder 60 Impfungen am Tag durchgeführt – und das viele Wochen lang. Das funktioniert nicht ohne eine Terminvergabesoftware, die so einen Ansturm bewältigen kann. Zudem half unsere Software den Ärzten bei der Prognose des Impfstoffbedarfs sowie bei der Übermittlung der Impfdaten an das Robert-Koch-Institut.

Welche Auswirkungen gab es auf den Markt jenseits von Corona?
Gralewski: Das ist fast genauso wichtig wie das Management der Coronaimpfungen: Die Menschen wurden ja nicht alle plötzlich von ihren Vorerkrankungen geheilt, sondern wollten weiterhin Termine bei ihrem Kardiologen, ihrem Dermatologen oder ihrem Hausarzt wahrnehmen. Die Ärzte in vielen Ländern sind eher konservativ und wurden von der Situation überrascht. Wir konnten mit unserem Angebot für Videosprechstunden und Remote-Konsultationen einspringen.

Inwiefern hat sich die Digitalisierung im Gesundheitssektor durch die Coronapandemie tatsächlich verbessert?
Gralewski: Viele Ärzte wurden in der Coronapandemie von Patientenanfragen über digitale Kanäle bombardiert, sei es per Telefon, sei es per WhatsApp oder anderen Messengern. Wir haben all diese Kommunikationskanäle gebündelt und in eine Anwendung überführt. Dadurch sind Ärzte in der Lage, ihre Patienten digital praktisch genauso zu bedienen wie in einer Sprechstunde in der Praxis. Das haben wir zwar schon seit Jahren im Angebot – aber das hat erst durch Corona einen wirklichen Schub erhalten, und zwar in vielen Ländern. Viele Ärzte, die vorher Bedenken gegenüber Tools wie der Videosprechstunde hatten, konnten so die Vorzüge im eigenen Joballtag feststellen.

Wird sich dieser Trend denn auch nach dem Ende der Pandemie fortsetzen?
Gralewski: Ja. Vor Corona wurde vielleicht nur ein Prozent aller Patienten über digitale Dienste wie die Videosprechstunde bedient; in der Hochzeit der Pandemie waren es vielleicht 35 oder 40 Prozent – und jetzt hat sich das bei 10 bis 15 Prozent je nach Land eingependelt. Corona hat den Markt also definitiv vorangebracht – bei Ärzten wie Patienten gleichermaßen.

Weiß: In Deutschland waren Patienten wie Ärzte lange Zeit sehr skeptisch gegenüber Remote-Diensten wie der Videosprechstunde – durch Corona waren sie aber gezwungen, solche Services zu nutzen. Das wiederum hat Widerstände ab- und Vertrauen aufgebaut.

Wie unterscheidet sich das Niveau der Digitalisierung im Gesundheitssektor zwischen Deutschland und anderen Ländern?
Gralewski: In Deutschland ist die Digitalisierung weiter als in vielen Ländern: So nutzen die meisten Ärzte irgendeine Form von Software in ihrer Praxis – zugleich gibt es immer noch viele, die Fax benutzen. Das fühlt sich im 21. Jahrhundert schon schräg an. In anderen Ländern wie etwa in Brasilien, die erst vor wenigen Jahren digitalisiert wurden, nutzen Ärzte und Kliniken ganz selbstverständlich cloudbasierte Software. Das ist hier aufgrund der länger gewachsenen Historie in Deutschland noch anders.

Weiß: Unsere Erfahrung: In manchen Bereichen – etwa die vom früheren Gesundheitsminister Jens Spahn eingeführten Apps auf Rezept – sind wir hierzulande sehr weit. Deutschland ist der erste Markt weltweit, in dem der Arzt bestimmte Apps wie ein Medikament verschreiben kann und die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Zugleich ist die tatsächliche Nutzung solcher Dienste aber noch verschwindend gering. Und dann gibt es andere Bereiche, da sind wir nicht pragmatisch genug: Denken sie an die elektronische Patientenakte, über wir hierzulande seit 15 Jahren diskutieren, ohne recht voranzukommen. Hier sind uns die nordischen und die baltischen Staaten sowie die Niederlande weit voraus, denn sie haben einen pragmatischen Kompromiss zwischen Datenschutz und Technologie gewählt. Bei dem E-Rezept hinken wir in Deutschland auch hinterher. Eigentlich hätte es ab Januar dieses Jahres flächendeckend eingesetzt werden sollen, aber dann hatte das Bundesgesundheitsministerium technische Probleme angemeldet.

Wenn das Geschäft von Jameda durch die Coronakrise wirklich derart angekurbelt wurde – warum dann eigentlich die Übernahme durch Docplanner?
Weiß: Jameda hat sein Geschäftsmodell vor vier Jahren weg von einem Ärztebewertungsportal hin zu einem Cloudanbieter gewandelt. Gerade dieser Softwareansatz profitiert enorm von Skaleneffekten – das bedeutet: Wenn man eine weltweit führende Softwareplattform aufbauen will, ist es sinnvoll, diese so vielen Ärzten wie möglich anzubieten. Zusammen mit Docplanner haben wir jetzt die Möglichkeit, neue Dienste für Mediziner rund um den Erdball anzubieten. Wir sehen die Übernahme als Chance, um unser Geschäft voranzubringen – die wir mit unserem früheren Anteilseigner Burda in der Form nicht hatten. Außerdem ist Docplanner schon heute einer der größten Anbieter von Gesundheitssoftware weltweit. Wenn Docplanner etwas in Märkten wie Brasilien oder Mexiko lernt, ist das auch für uns relevant – und wir können als Teil eines weltweiten Verbunds bessere Produkte bauen.

Gralewski: Unsere Vision war von Anfang an, so etwas zu bauen wie das Betriebssystem für den Gesundheitsmarkt. Wir wollen Ärzten und Patienten weltweit die Möglichkeit geben, über unsere Plattform miteinander zu kommunizieren und zu interagieren. Auf dieser Plattform wiederum können wir dann Spezialdienste für Fachärzte aufsetzen, etwa für Dermatologen oder Kardiologen. Um das hinzubekommen, benötigen wir eine starke lokale Präsenz in den Ländern, in denen wir aktiv sind – genau das bekommen wir mit Jameda in Deutschland. Und zusammen können wir schlicht mehr bewegen.

Das Skalierungsargument wird bei Software immer wieder aufgeführt. Aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Gesundheitsmarkt variieren doch sehr stark von Land zu Land. Ergibt da ein solcher Zusammenschluss wirklich Sinn?
Gralewski: Gute Frage – vor vier Jahren hätte ich Ihnen vermutlich noch zugestimmt. Aber zwischenzeitlich sind wir in vielen verschiedenen Ländern gestartet – Italien, Spanien, Kolumbien, Chile – und was machen Ärzte? Jeder nutzt einen Kalender, jeder erinnert Patienten an feste Termine, und jeder sammelt Daten von ihnen, die er als Gesundheitsakte speichert. Darin stehen Dinge wie Diagnose oder verschriebene Medikamente – das ist fast in jedem Land ziemlich ähnlich. Nur 15 bis 20 Prozent aller Dinge sind länderspezifische Besonderheiten, Datenschutzvorgaben oder die Integration in staatliche Gesundheitsstellen. Aber das Gros ist sehr ähnlich und standardisierbar.

Welche neuen Dienste werden wir von Ihnen als kombiniertem Anbieter sehen?
Weiß: Als Innovationstreiber im Gesundheitswesen machen wir uns permanent Gedanken darüber, welche neuen Services wir anbieten können. Jetzt profitieren wir zusätzlich von der globalen Erfahrung bei Docplanner. Neue Dienste in anderen Ländern prüfen wir natürlich auch mit Blick auf den deutschen Markt. Hier tun sich sehr große Synergieeffekte auf.  

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Können Sie konkrete Beispiele nennen?
Gralewski: Wir sprechen mit einem Hersteller eines Aufzeichnungsgeräts für Kardiologen, das bestimmte Gesundheitsparameter wie etwa das EKG eines Patienten regelmäßig erfasst und misst. Wir haben eine Applikation für Docplanner entwickelt, welche die Gerätedaten automatisch an den betreffenden Arzt übermittelt. Wenn die Software irgendeinen Wert entdeckt, der nicht im gesunden Rahmen ist, wird der Kardiologe automatisch informiert: „Bei Patient XYZ gab es eine Abweichung, schau Dir die Daten an“ – und der entsprechende Patient wird automatisch zur Sprechstunde eingeladen. Das könnten Ärzte händisch praktisch nicht durchführen. Ähnliche Beispiele gibt es etwa für Dermatologen, wo Patienten selbst im Halbjahresrhythmus auffällige Hautstellen oder Muttermale fotografieren und an ihren Hautarzt schicken. Unsere Software analysiert diese Fotos und gibt dem Arzt Handlungsvorschläge.

Mehr zum Thema: Das Start-up MiProbes hilft mit Urinproben, auf die eigene Gesundheit zu achten.

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