Gaming-Gründer klagt über Bürokratie: „Mein Co-Gründer hätte nach deutschen Regeln gar kein Visum bekommen“

Wer programmiert Deutschlands Spiele? Gaming-Unternehmen leiden unter dem Fachkräftemangel.
Wenn an diesem Dienstag die Computerspielmesse Gamescom in Köln offiziell die Türen öffnet, schickt sogar Wirtschaftsminister Robert Habeck eine Videobotschaft – in dessen Ressort liegt seit wenigen Monaten die Förderung der Branche. Die Gaming-Unternehmen bringen selbst einige Forderungen mit auf die Messe. Applike-Gründer Jonas Thiemann etwa wünscht sich vor allem Unterstützung bei der schwierigen Suche nach internationalen Tech-Talenten.
WirtschaftsWoche: Zur Gamescom klagt die Gaming-Branche wieder besonders laut über den Fachkräftemangel – und verzweifelt daran, Mitarbeiter nach Deutschland zu bringen. Warum ist es gerade in Ihrer Branche so schlimm?
Jonas Thiemann: Gaming ist im Kern ein globales Thema. Die Spiele unserer Firmen haben 400 Millionen Menschen gespielt, mit der über unsere Plattformen ausgespielte Werbung haben wir 800 Millionen Menschen erreicht. Das Geschäft ist international – also sind es unsere Mitarbeiter auch. Dazu kommt, dass Deutschland im Bereich Mobile Gaming nicht führend ist. Wir sind darauf angewiesen, Talente aus Ländern wie Türkei, Israel, Philippinen, Marokko oder Iran zu gewinnen. Seit unserer Gründung vor sieben Jahren haben wir 200 Mitarbeiter aus 40 Nationen eingestellt.
Und die kriegen Sie nicht nach Deutschland?
Doch, früher oder später haben wir die alle nach Deutschland holen können. Es gibt ja Bemühungen, die Dinge voranzubringen. Etwa die Blue Card, mit der dringend benötigte Fachkräfte ins Land kommen können – wenn sie ein ausreichend hohes Gehalt erhalten. Das zahlen wir, das ist gar nicht das Problem. Aber der Prozess ist eine Herausforderung.

Jonas Thiemann: Der Gründer von Applike klagt über den massiven Fachkräftemangel in der Branch.
Was bremst Sie?
Vor allem die strenge Überprüfung der Hochschulabschlüsse. Die Antragssteller müssen ein Studium absolviert haben, dessen Inhalte und Gültigkeit dann von einem Sachbearbeiter kontrolliert werden. Aber die wenigsten unserer Kandidaten haben einen Abschluss in einem direkt verwandten Fach wie Game Design oder Informatik – sie haben beispielsweise Philosophie oder Mathe studiert, und das an einer Hochschule, die hier gegebenenfalls nicht anerkannt wird. Wir sind also abhängig von der Entscheidung eines Sachbearbeiters. Der muss aufgrund von irgendwelchen Zeugnissen beurteilen, ob ein Arbeitsvisum genehmigt wird, sodass jemand beispielsweise in der Lage ist, dann bei uns die Cloud-Infrastruktur auf Amazon Web Services zu skalieren.
Welchen Hintergrund bringen Ihre Kandidaten denn mit?
Viele wollen überhaupt nicht studieren, sondern haben sich eigenständig in die Themen eingearbeitet. Mein Co-Gründer Carlo Szelinsky hat beispielsweise auch keinen Studienabschluss – nach deutschen Regeln hätte er deshalb gar kein Visum bekommen. Wir sind bereit, solchen Talenten sehr attraktive Gehälter zu zahlen. Aber wir können sie erst einmal nicht nach Deutschland holen, weil ihr Wissen ohne einen Abschluss nicht anerkannt wird.
Wie gelingt es dann trotzdem?
Wir versuchen es über ausführliche Rollenbeschreibungen, um klarzumachen, dass unser Kandidat trotzdem perfekt auf die ausgeschriebene Stelle passt. Wir legen manchmal beim Gehalt noch was drauf, um klarzumachen, wie wichtig der Bewerber für uns ist. Aber so oder so dauern die Prozesse viele Monate, weil zahlreiche Dokumente manuell zwischen Ämtern und Botschaften verschickt werden. Es ist unheimlich viel Aufwand – ohne dass sich am Ergebnis selbst irgendwas ändert.
Machen die Kandidaten das mit?
Es passiert immer wieder, dass wir Leute in diesem Prozess verlieren. Oder dass sich mögliche Kandidaten gar nicht erst bewerben, weil sie von diesem mühevollen Hin und Her gehört haben. Da geht manches Talent lieber direkt nach Estland. Es gibt ja Webseiten wie „Make it in Germany“, die dabei helfen wollen, Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Der Wille ist also da. Aber wenn man in dem Prozess steckt, ist es aktuell schlimmer, als vier Steuererklärungen gleichzeitig zu machen.

Patrick Junge, Chef und Gründer der Restaurantkette Peter Pane
„Die vorliegenden Entwürfe reichen aktuell nicht, um eine Erleichterung auf Unternehmensseite tatsächlich in die Realität zu überführen. Die letzten Jahre haben sich Politik und Gesellschaft zu wenig der Verantwortung gestellt. Die Folge sind langwierige Entscheidungsprozesse in der Bürokratie. Als Unternehmer mit Verantwortung und in der Vollhaftung liegt es in der Natur, Dinge umzusetzen. Es geht dabei weniger um die Form der Übermittlung von Schriftstücken, als mehr um den Willen hin zu einem positiven Ergebnis“

Michael Huber, Generalbevollmächtigter der Brauerei C. & A. Veltins
„Es ruckelt in vielen Ämtern doch schon seit Jahren an allen Ecken und Enden. Alleine der latente Behördenruf nach immer neuen Gutachten, um immer neue, administrativ formulierte Bedenken auszuräumen, lässt doch tief blicken. Noch nie war der Beschäftigungsgrad von Ingenieurbüros in unserem Unternehmen so groß und kostspielig wie heute. Oft entsteht der Eindruck, dass sich Mittelbehörden aus vorauseilender Vorsicht nur absichern wollen. Wir brauchen auf dem Behördenweg eine berechenbare Geradlinigkeit. Jeder Schritt in diese Richtung ist ein richtiger!“

Thomas Hoppe, Schülerkarriere GmbH:
„Generell begrüße ich, dass die Bundesregierung versucht die schon seit Jahren überfällige Digitalisierung voranzutreiben und konkrete Vorschläge dafür hat. Leider zeigt aber auch die Vergangenheit, dass solche Bemühungen in vielen Verwaltungsstrukturen versanden und nur zu zögerlich umgesetzt werden.
Aus meiner Sicht gehen aber Maßnahmen wie das Bürgergeld, auch wenn das schon vorher beschlossen worden ist, in die falsche Richtung da diese die Motivation Arbeit aufzunehmen verringern und weitere, dringend benötigte Arbeitskräfte vom Arbeitsmarkt oder der Weiterqualifizierung und dann dem Übergang in den Arbeitsmarkt fernhalten. Das Prinzip Fördern und Fordern wird hier komplett missachtet was mich als Unternehmer frustriert.
Generell fehlen mir weitere Ideen, das Gründertum frühzeitig zu fördern, indem in den Schulen ein verpflichtendes Fach Wirtschaft in allen Schulformen eingeführt wird (dies ist leider durch den Föderalismus nur bedingt beeinflussbar, aber über den Bund könnten Businessplan Wettbewerbe analog der Jugend forscht initiiert werden). Wir brauchen mehr finanzielle und wirtschaftliche Grundbildung und eine bessere Akzeptanz für Unternehmer, die für den Wohlstand Deutschlands entscheidend sind. Auch die Förderlandschaft für Gründer sollte gestrafft und vereinheitlicht werden.
Kurzum, einige Ideen gehen in die richtige Richtung durch Digitalisierung die Bürokratie abzubauen, Genehmigungsverfahren zu verkürzen und Impulse für die Wirtschaft zu schaffen, aber es bleibt abzuwarten, ob dies in der Praxis umgesetzt wird (Widerstände gegen Digitalisierung) und die Impulse wirklich ankommen.“

Andre Schulte-Südhoff, Geschäftsführer Schuko
„Mit dem Bürokratieimpulspapier bin ich unzufrieden. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein – wirkliche Zeitfresser wie, A1 Bescheinigung, Lieferkettengesetz, Whistleblowerverordnung und sonstige Prioritätsthemen werden nicht angegangen.
Im Grunde genommen sind alle diese Gesetze und Verordnungen gut gemeint gewesen, in der Auswirkung wird aber damit kostbare Lebenszeit vieler Menschen verschwendet bzw. man könnte es auch positiv ausdrücken: Es bleibt ein riesiges Konjunkturpaket für Beratungsunternehmen, da man das als normales kleines oder mittleres Unternehmen nicht selbstständig umgesetzt bekommt.
Das ist kein wirklicher Impuls!“

Dr. Dirk Jandura, BGA-Präsident
„Es ist gut, dass die Ampelkoalition erkannt hat, dass es dringenden Bedarf beim Bürokratieabbau für die Wirtschaft gibt. Besonders für die kleineren und mittleren Unternehmen ist die bürokratische Belastung kaum zu bewältigen und sind inzwischen zu einem richtigen Investitionshemmnis geworden. Der große Wurf ist der Ampel allerdings nicht gelungen. Die Reduzierung von Informationspflichten und die Verkürzung von Aufbewahrungsfristen ist schön und gut, aber da ist noch viel Luft nach oben. Ich vermisse zum Beispiel eine Vereinfachung bei den Aufzeichnungspflichten für Sachzuwendungen an Geschäftskunden.“

Wilhelm Hahn, Geschäftsführer der Wiha Werkzeuge GmbH
„Meines Erachtens nach geht der Gesetzesentwurf zumindest mal als erster Schritt in die richtige Richtung, aber wird bei weitem nicht ausreichen. Es bräuchte über weite Teile eine echte Struktur- und Verwaltungsreform mit einer einhergehenden Digitalisierungsoffensive. Leider werden zunehmend aktionistische Gesetze mit kurzer Halbwertszeit mit der heißen Nadel gestrickt. Eine echte Erneuerung der Bürokratie ist eine Strukturveränderung mit klarem Programm und Ziel, das sich über Jahre ziehen wird.“

André Schwämmlein, Gründer und Chef Flix
„Unnötige bürokratische Belastungen abzubauen, ermöglicht Innovation und Wachstum. Im Mobilitätsbereich schafft der Entwurf zum BEG IV leider nicht mal einfachste Änderungen. Im Fernverkehr haben wir es mit langwierigen und komplizierten Beantragungsverfahren zu tun, mit Bedienverboten und fehlender Digitalisierung. Hier fehlen wichtige Initiativen – auch und vor allem zum Wohle der Reisenden.
Im Detail: Wer verlangt, in monatelangen Prozessen hunderte Seiten Papier für Anträge postalisch zu verschicken, die ohnehin genehmigt werden müssen, und dann tausende gestempelte Urkunden auf Bussen durch Deutschland fahren lässt, die von der Polizei kontrolliert werden, verschwendet die Zeit von Polizei, Behörden und Unternehmen gleichermaßen. Mehr Digitalisierung würde hier innerhalb weniger Wochen Abhilfe schaffen.“

Hanno Renner, CEO Personio
„Wir erleben aus erster Hand die Belastung, die übermäßige Bürokratie insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen darstellt. Denn KMUs sind nicht nur unsere Kunden, sondern das Herzstück der deutschen Wirtschaft. Vor allem kleinere Unternehmen leiden aufgrund knapper Personal- und Kapitalausstattung wie kaum eine andere Unternehmensgruppe unter bürokratischen Belastungen.
Im letzten Jahr wurde statt einer Digitalisierung von Arbeitsverträgen mit dem Nachweisgesetz ein Papierzwang eingeführt, das heißt Arbeitsverträge waren zwingend in Papierform notwendig – Spielräume im Gesetz für eine digitale Form blieben ungenutzt. Dieser Irrtum wird zum Glück nun korrigiert und die Eckpunkte sollen einen digitalen Weg für Arbeitsverträge möglich machen. Personio ermöglicht bereits heute digitales Vertragsmanagement. Die bevorstehende Regelungsänderung, die die Schriftformpflicht lockert, ist ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung.
Das ist nur einer der Gründe, warum das Bürokratieentlastungsgesetz ein erster wichtiger Schritt ist – nun müssen die Eckpunkte schnell umgesetzt werden. Denn Bürokratieabbau heißt auf Unternehmensseite gleichzeitig schnellere Verfahren und Kostenersparnis. Um Innovation und Wachstum zu fördern, müssen digitale Verfahren konsequent und in allen Bereichen praxisnah umgesetzt werden.“

Gerald Penner, Geschäftsführer bei der Streck Transportgesellschaft
„Wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man nicht die Frösche fragen: Einige wenige Einzelpunkte sollen durch das neue Bürokratieentlastungsgesetz erleichtert werden und bei manchen Dingen fragt man sich, warum das nicht schon längst geändert wurde (zum Beispiel die Meldung von Hotelgästen). Eine nachhaltige Reduzierung der Schriftformerfordernis ist in der Tat hilfreich – aber warten wir ab, was hiervon dann letzten Endes tatsächlich umgesetzt wird. Und es ist auch schön, dass die Aufbewahrungsfristen für bestimmte Dokumente verkürzt werden. Das spart etwas Platz im Regal oder auf der Festplatte, löst aber das eigentliche Problem nicht.
Denn viele Vorschriften haben sich inhaltlich überholt oder passen generell nicht mehr in die Zeit, die Schriftformerfordernis ist ein gutes Beispiel hierfür. Technisch hat sich die Welt weiter entwickelt, dies wird aber vom Gesetzgeber vielfach ignoriert. Und Gesetze werden nicht geändert, obwohl der Zweck der eigentlichen Vorschrift heute vielfach auf einfacherem Weg erreicht werden kann. Das Grundproblem bleibt also die Regelungswut bis in das kleinste Detail. Das macht sowohl den Unternehmen als auch den Ämtern viel unnötige Arbeit. Hieran wird aber nichts geändert.
Leider geht der Gesetzentwurf auch auf ein für uns in der Transport- und Logistikbranche zentrales Thema überhaupt nicht ein: Die Zulassung von Lang-Lkw. Denn nach den ersten Einschätzungen wurden nur Vorschriften berücksichtigt, die die Ministerien gemeldet haben – nach welchen Kriterien hier entschieden wurde, bleibt aber deren Geheimnis. Das heißt es fehlt weiterhin eine klare Zielrichtung bei einem Thema, bei dem sich mit relativ einfachen Mitteln eine nicht unerhebliche Summe an CO2 einsparen ließe.
Kurz gesagt: Das aktuelle Gesetzespaket ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, mehr aber leider auch nicht!“
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Was wäre denn Ihr Gegenmodell im Sinne der Gaming-Branche?
Wir fragen uns schon, ob so ein Prüfprozess anhand von Zeugnissen überhaupt nötig ist. Wenn ein Unternehmen bereit ist, einem Talent ein so hohes Jahresgehalt zu zahlen, dann hat es da doch im Hintergrund eine Überprüfung der Fähigkeiten gegeben. Mit dem Gehalt bürgt die Firma gewissermaßen für die Kandidatin oder den Kandidaten – warum kann das nicht als Kriterium reichen? Das wäre im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft, in der man innerhalb von bestimmten Regeln dem Markt zutraut, dass er Themen regelt.
Sie sind stolz darauf, dass Sie die allermeisten Wunschkandidaten über kurz oder lang doch nach Deutschland kriegen. Ende gut, alles gut?
Nein. Es gibt nach Gewährung der Arbeitserlaubnis aktuell keinen logischen Weg für den Start in Deutschland. Um sich bei der Kommune anzumelden, brauchen die neuen Mitarbeiter einen Mietvertrag. Den bekommen sie nur, wenn sie ein Konto vorweisen können. Und das wiederum gibt es meist nur, wenn man in Deutschland gemeldet ist. Ein Zirkelschluss, der zu keiner Willkommenskultur führt.
Was würde da helfen?
Wenn für diese Fachkräfte eine Art Pauschalanmeldung möglich wäre – wenn also für die ersten Monate eine Adresse in einem Hotel oder einer Airbnb-Unterkunft akzeptiert würde. Das würde den Start erleichtern. Wir schaffen jetzt Firmenwohnungen, damit die Mitarbeiter erst einmal für ein halbes Jahr in Ruhe ankommen können.
Die im Juli veröffentlichte Start-up-Strategie des Bundes greift einige dieser Themen auf. Ausreichend?
Da sind fairerweise schon viele gute Punkte drin. Etwa ein rein digitaler Visa-Prozess. Oder dass Sonderregelungen für Technologieberufe geprüft werden sollen. Und auch, dass Barrieren gesenkt werden sollen, wenn es um die Anerkennung von Hochschulabschlüssen geht. Doch noch fehlt eine Idee, wie das konkret aussehen soll.
Aber immerhin ein Schritt in die richtige Richtung?
Zum Ankommen in Deutschland und der konkreten Ausgestaltung zum Beispiel eines Tech-Visums gibt es leider keine Aussagen in der Strategie. Der Schritt in Richtung digitaler Prozess ist aber in jedem Fall richtig. In der Umsetzung ist es jetzt wichtig, dass Gründer von Wachstumsunternehmen weiter in den Prozess mit einbezogen werden.
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