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Heizkosten optimieren mit KI„Der nächste Winter wird sehr aufschlussreich“

Wie ein System aus KI, Sensoren und smarten Ventilen einem deutschen Immobilienkonzern hilft, Millionen Euro an Gaskosten zu sparen.Stefan Hajek 15.08.2024 - 14:26 Uhr

Viele Altbauwohnungen werden von der Zentralheizung nicht richtig angesteuert – hohe, vermeidbare Nebenkosten sind die Folge.

Foto: imago images

Dirk Reimann hatte im Sommer 2023 ein Problem. Eines, das viele haben seit dem Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und den darauf folgenden Preissprüngen am Erdgasmarkt. Der Geschäftsführer des Neusser Bauvereins musste vielen seiner Mieter teure Nachzahlbescheide für 2022 zukommen lassen und happige Nebenkostenerhöhungen ankündigen. „Das macht kein Vermieter gern“, sagt Reimann, „deswegen ist es gut, wenn wir mit neuer Technologie mit den Heizkosten den größten Nebenkostenanteil senken können“.

Die 7500 Wohnungen des Bauvereins werden fast alle mit Gas beheizt. Meist sind es Gas-Zentralheizungen in den Kellern, die jeweils sechs bis acht Wohnungen versorgen. Andere der meist älteren Wohnungen verfügen über eine Gasetagenheizung, die jeweils nur eine Wohnung beheizt. Damit drohen auch in Zukunft steigende Nebenkosten; zurzeit steigen die Gaspreise erneut stark an.

Viele Bestandsbauten sind extrem ineffizient beheizt

Zur gleichen Zeit brütete knapp 300 Kilometer südlich, in Mannheim, Sascha Müller über dem gleichen Problem, wenn auch etwas grundsätzlicher. Müller, Chef des erst 2017 gegründeten Heizungs-Dienstleisters Paul Tech, war aufgefallen, dass unabhängig von der Heizungsart die meisten größeren Altbauten ziemlich ineffizient mit Wärmeenergie versorgt werden. „Meistens sind die Heizkörper am Ende eines längeren Heizstrangs zu kühl, während in Räumen nahe an der Wärmequelle die Heizkörper zu warm sind, weil dort zu viel heißes Wasser zirkuliert“, sagt Müller. Die Folge: Die Heizung muss das Wasser öfter und stärker erhitzen, als es eigentlich nötig wäre, würde die Wärme gleichmäßiger im Haus verteilt.

Eine gigantische Verschwendung finde da jeden Winter statt, sagt Müller. Mehr als 20 Millionen Mietwohnungen in Mehrfamilienhäusern gibt es in Deutschland; über 70 Prozent davon werden dem „mehrgeschossigen Altbau“ zugerechnet. Rund die Hälfte von ihnen haben Müllers Recherchen zufolge die Energieeffizienzklasse D oder schlechter – sind also echte Energieschleudern. Bisher gibt es vor allem ein Mittel, das zu ändern: die Mehrfamilienhäuser werden in dicke Dämmmäntel gehüllt, meist aus umwelttechnisch bedenklichem Styropor, weil andere Materialien noch teurer wären.

Mit Sensoren und KI 

Müller und seine Ingenieure entwickelten eine Lösung, die statt großflächiger, teurer Wärmedämmung oder Umbau auf Fußbodenheizungen einfach das bestehende Heizungssystem optimiert. „Das kostet einen kleinen Bruchteil eines System-Umbaus oder eines Wärmedämmverbundsystems, es spart aber immerhin bis zu 40 Prozent der eingesetzten Energie“, verspricht Müller.

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Müllers System besteht aus ziemlich vielen Sensoren, intelligenten Reglern und einer lernfähigen Software, die das System immer weiter optimiert. KI, Künstliche Intelligenz, nennt man so eine sich selbst optimierende Software gemeinhin. Der Neusser Bauverein hat es im vergangenen Sommer in bisher rund der Hälfte seiner Wohnungen installiert. „Das Ziel ist, dass alle Heizkörper im Haus immer die optimale Heizwassermenge bekommen, die sie brauchen, um die Wunschtemperatur der Mieter zu erzeugen, aber auch nicht mehr“, erläutert Oliver Frantzen vom technischen Projektmanagement von Paul Tech, der nach Neuss gekommen ist, um die Technologie in einem der vielen hundert Heizungskeller des dortigen Bauvereins zu erklären.

Bisher läuft die Temperaturanpassung in größeren Mietshäusern meist so: Ein Mieter, meist der einer Wohnung am Ende eines langen Heizstranges, beschwert sich, dass einer oder mehrere Heizkörper in seiner Wohnung nicht richtig warm werden. Helfen simple Maßnahmen wie das Entlüften der Heizkörper nicht weiter, drehen Vermieter, Hausverwalter oder Gebäudemanager dann meist pauschal die Temperatur der ganzen Heizung hoch, damit auch ganz hinten oder oben im Haus noch genügend Wärme ankommt. „Die Heizkörper weiter vorn im Kreis wurden dann aber viel zu heiß, die Mieter dort drehen sie manuell herunter oder stellen im schlimmsten Fall die Fenster auf kipp“, sagt Frantzen.

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Das Problem wird in größeren Bestandsimmobilien dadurch verschärft, dass die einzelnen Heizstränge des Hauses oft extrem unterschiedlich lang sind, von weniger als zehn bis zu über hundert Meter. Folge: Es zirkuliert in weiten Teilen des Gebäudes viel zu heißes Wasser viel zu schnell, „was das Gesamtsystem extrem ineffizient macht, Gas und Geld werden verschwendet, viel CO2 unnötig generiert“, erklärt Frantzen.

Beim hydraulischen Abgleich wird oft gepfuscht

Abhilfe schaffen könnte ein hydraulischer Abgleich, bei dem ein Heizungsmonteur versucht, die Warmwassermenge gleichmäßiger auf alle Heizkörper im Haus zu verteilen, indem er den Heizbedarf jedes einzelnen Raumes ermittelt und dann versucht, jedem Raum die nötige Warmwassermenge zukommen zu lassen, indem er die Thermostatventile in den Zimmern entsprechend reguliert. Den hydraulischen Abgleich schreibt der Gesetzgeber ab September sogar vor; allerdings nur für Neubauten und Mietshäuser mit mehr als sechs Parteien.

Das Verfahren ist zudem – korrekt durchgeführt – sehr aufwendig: Jeder Raum muss einzeln vermessen und die Leistung der darin befindlichen Heizkörper ermittelt werden. Art und Dämmwert der Wandfläche, der Fenster und der Decken müssen berücksichtig werden. Das kostet pro Wohnung schnell 700 bis 900 Euro. Oft lassen Immobilienbesitzer daher nur einen vereinfachten, rudimentären Abgleich machen, der aber in der Praxis dann nicht die erhoffte Verbesserung bringt.

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„Das Wasser im Heizungs-System sucht immer den Weg des geringsten Widerstands“, sagt Frantzen. Es fließt also mehr Wasser durch kurze, dicke Rohre und sehr wenig durch dünne Heizungsrohre über weite Strecken. Gerade in größeren Altbauten findet sich oft ein Mischmasch aus kurzen, langen, dicken und dünneren Heizungsrohren. „Liegen die Zimmer zu nah an der Heizquelle und herrscht im Rohr ein zu hoher Volumenstrom, kann das Thermostatventil der Heizkörper nicht mehr sauber arbeiten“, sagt Frantzen. „Dann funktioniert natürlich auch der hydraulische Abgleich nicht gut.“ Oft wird dann einfach pauschal die Wassertemperatur oder der Pumpendruck erhöht.

Um dem Einhalt zu gebieten, installieren die PAUL-Techniker zunächst Sensoren an den Zu- und Rücklaufrohren der Heizungsanlage; diese messen die Temperatur des Heizungswassers, wenn es heiß von der Heizung Richtung Wohnungen strömt (Fachleute nennen das den Vorlauf), und wenn es etwas kühler aus den Wohnungen zurückkommt (Rücklauf). Dazu messen die Sensoren auch die Wassermenge und die Fließgeschwindigkeit in den Rohren. Das Wasser im Rücklauf hat einen Teil seiner Wärmeenergie über die Heizkörper an die Raumluft abgegeben. Faustregel: Je geringer der Unterschied zwischen Vor- und Rücklauftemperatur und je kleiner Wassermenge und Fließgeschwindigkeit, desto weniger Energie verbraucht das System.

Alle 15 Minuten übermitteln die Sensoren diese Daten in die Cloud, wo die KI-Software sie analysiert. Weitere Sensoren erfassen zudem die Außentemperatur und die Raumtemperatur in allen Räumen. Auch Daten wie saisonale Besonderheiten, etwa einen meist höheren Wärmebedarf an Weihnachten oder den Winterwochenenden, berücksichtigt die KI. „Je länger die Sensoren installiert sind und permanent Daten liefern, desto besser lernt das System ein Haus und seine Bewohner kennen, weil es bestimmte Muster im Heizverhalten erkennt“, sagt CEO Müller, „zum Beispiel, dass Herr Schmidt oft spät abends noch ein 23 Grad warmes Badezimmer möchte, Frau Meier aber auf eine wärme Küche um 5:30 Uhr Wert zu legen scheint.“

Auf Basis der Daten regeln dann so genannte Smart Valves, schlaue Ventile, Temperatur und Fließgeschwindigkeit des Heizwassers in den einzelnen Strängen. „Fordert zum Beispiel ein Mieter weit hinten im Strang zu einer bestimmten Uhrzeit regelmäßig mehr Wärme an, öffnet ein kleiner Elektromotor ein Kugelventil im entsprechenden Strang rechtzeitig etwas weiter, aber nur dieses Ventil, die anderen bleiben unverändert“, erklärt Frantzen. So muss die Heizung nicht mehr heißes Wasser für 10 oder 12 Wohnungen bereitstellen, von denen elf gar keines brauchen, das System gewinnt an Effizienz.

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Im Schnitt senke das System die Vorlauftemperatur in den Immobilien der Kunden von 75 auf 53 bis 58 Grad Celsius, sagt Müller. „Damit kann unser System auch einen erheblichen Beitrag dazu leisten, größere Bestandsimmobilien fit für eine Wärmepumpe zu machen ­ ohne die immer wieder kolportierten, angeblich nötigen teuren Umbauten auf Fußbodenheizung oder eine aufwendige Wärmedämmung.“

Unabhängig davon, ob eine Umrüstung auf Wärmepumpe geplant sei, oder nicht: 20 bis 40 Prozent der Heizkosten könne das System einsparen, sagt Müller. Der Neusser Bauverein begann im Sommer 2023 mit dem Einbau der ersten Sensoren. 4300 der 7500 Wohnungen im Bestand der städtischen Gesellschaft sind inzwischen mit den Temperatur-, Druck- und Flussgeschwindigkeitssensoren ausgestattet, Im Vergleich zum Vorjahr ergebe sich ersten Berechnungen zufolge schon eine Gasersparnis von 15 Prozent , sagt Reimann. „Unser Ziel sind 35 Prozent, wenn das System komplett ausgerollt ist.“

Noch ist die Hälfte der Wohnungen noch nicht mit dem Mannheimer System ausgestattet, und die KI hatte noch kaum Zeit, Daten auszuwerten und es entsprechend zu optimieren, meint Reimann: „Der kommende Winter wird wohl sehr aufschlussreich.“

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