Schulunterricht Elektronische Klassenbücher helfen Lehrern

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Stundenplan per Mausklick

Immerhin: Es besteht Hoffnung auf ein Ende des analogen Austauschs. Denn die guten Erfahrungen der Pioniere aus dem Münsterland sprechen sich herum. Laut Comjell-Gründer Köhler drängeln sich neuerdings die Schulleiter auf den Fachtagungen, auf denen er sein System vorstellt – von Mecklenburg-Vorpommern bis Bayern. Viele seien regelrecht verzweifelt, berichtet Köhler. „Denen wächst die Bürokratie über den Kopf.“ Mit den traditionellen Organisationsmethoden – ob Stecktafel oder zahllosen Konferenzen – bekommen sie den Schulalltag nicht mehr geregelt.

Nicht anders erging es den Berliner Pennälerchefs. Um sie zu entlasten, startete die dortige Schulverwaltung 2009 das Projekt eGovernment@school. Die digitale Aufrüstung – von automatisierten Schülerdateien bis zur Erstellung der Stundenpläne – sollte den Kollegien Freiraum für ihre eigentliche Aufgabe verschaffen: das Unterrichten.

Absatzzahlen von Smartphones und Tablets

So gut der Gedanke war, so miserabel verlief das Projekt. Was blieb, sind ein Desaster und eine immense Geldverschwendung. So jedenfalls urteilte der Berliner Landesrechnungshof im Sommer dieses Jahres.

30 Millionen Euro habe der Senat ausgegeben, aber eine Arbeitserleichterung sei kaum eingetreten. Hauptgrund: Für fast jede Funktion schrieb eine andere Firma das Programm – am Ende passten sie nicht zusammen. Jetzt denkt die Schulverwaltung der Hauptstadt daran, das Comjell-System einzusetzen. Verhandlungen über den Kauf einer Lizenz liefen, berichtet Geschäftsführer Köhler. Für Eltern, Schüler und Lehrer wäre die Nutzung dann voraussichtlich kostenlos.

Es wäre das erste Mal, dass ein Bundesland sein Produkt den Schulen flächendeckend anbietet. Bisher ergriffen nur einzelne Schulen die Initiative. 80 Mal hat Köhler Comjell inzwischen verkauft: an Grund- und Gesamtschulen ebenso wie Gymnasien. Rund ein Drittel ging an private Bildungseinrichtungen, darunter auch Berufsfachschulen für Kosmetik oder Physiotherapie. „Private Träger achten ganz besonders auf Kosten und Effizienz“, erklärt Köhler das große Interesse.

Inzwischen ist Comjell mit seinem Dienst nicht mehr alleine. Ausgerechnet Google strebt mit dem neuen Funktionsmodul Classroom ebenfalls in die Klassenzimmer. Seit August ist das Angebot in Deutschland freigeschaltet. Köhler fürchtet die Konkurrenz nicht. Zum einen sei Classroom auf das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten und Lehrmaterial ausgerichtet und weniger auf die Organisation des Schulalltags. „Und welche Eltern, Schüler und Lehrer wollten schon riskieren, dass ihre Daten womöglich auf Servern im Ausland landen?“, fragt er rhetorisch.

Google hat zwar zugesagt, weder Werbung in den Dienst einzublenden, noch hinterlegte Dokumente zu scannen oder Daten zu analysieren. Der Staatssekretär im nordrhein-westfälischen Schulministerium, Ludwig Hecke, rät dennoch von einem Einsatz ab. Er verweist unter anderem darauf, dass jede Schule eigenständig einen Vertrag nach irischem Recht abschließen müsse und die Vertragsbedingungen zudem auf Englisch formuliert sind.

Comjells Rechner hingegen stehen beim Dienstleister Host Europe in Köln. Der halte penibel alle bundes- und landespolitischen Datenschutzgesetze ein, versichert Köhler. Der Zugriff sei streng geregelt, Bits und Bytes würden nur verschlüsselt verschickt. Und niemand brauche wie bei einem E-Mail-Verteiler zu befürchten, auf einmal mit Werbeattacken und zweifelhaften Angeboten, Spam genannt, überflutet zu werden. Solche Standards einzuhalten hält Köhler für selbstverständlich.

Ökologischer Nebeneffekt der Digitalisierung: Sie spart riesige Mengen Papier. Am Beispiel der 55 Schulen der Stadt Herne im Ruhrgebiet hat Köhler das einmal durchgerechnet. Sie würden pro Schuljahr statt heute 9 Millionen nur 5,4 Millionen Blätter verbrauchen. Ihre Kopierkosten könnten um fast 20.000 Euro sinken – Geld, das etwa in die bessere Ausstattung der Schulen fließen könnte.

Geringere Kosten, höhere Unterrichtsqualität, weniger Bürokratie. Unsere nördlichen Nachbarn Schweden und Dänemark, aber auch Estland, Lettland und Litauen schöpfen dieses Potenzial längst aus. Jetzt ziehen selbst Serbien, Bulgarien und Rumänien nach. Die Schulbehörden dort haben gerade entschieden, Comjells elektronisches Klassenbuch einzuführen.

Das zeigt: Deutschland muss sich sputen, will es in Europa bei der Bildung nicht auf den Status eines digitalen Entwicklungslandes zurückfallen.

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