Smart Farming: Wie die Digitalisierung die Landwirtschaft revolutioniert

Landwirtschaft: Der Roboter als sensibler Melker.
Wenn sich irgendwo auf dem Acker auch nur ein winziges, unerwünschtes Pflänzchen hervorwagt, ist das die Stunde von BoniRob. Das graue, vierrädrige Gefährt rollt heran, scannt mit seiner Kamera den Boden ab – und schlägt zu. Wie ein Terminator rammt er mit seiner Metallstange jedes Unkraut mit Hochgeschwindigkeit in den Boden. Entwickelt haben diesen hochmodernen Agrarroboter die Hochschule Osnabrück, das Start-up Deepfield Robotics, eine Bosch-Tochter, und der Landmaschinenhersteller Amazone. Dank ihrer Hilfe kann der Landwirt künftig die Giftspritze in der Scheune lassen, mit der er bisher Unkräuter bekämpft hat.
Auf Pestizide kann der Bauer schon jetzt verzichten, wenn Raupen über seinen Mais herfallen, zumindest im Badischen. Dann schwärmt eine Armada von sechs Drohnen der Zentralgenossenschaft Raiffeisen in Karlsruhe los und wirft Eier von Schlupfwespen ab. Einmal geschlüpft, machen die sich über die Schädlingsbrut her.

Precision Farming
Sensoren, gespeicherte Daten und der Bordcomputer geben dem Landwirt die Informationen, die er zum Beispiel für das Düngen benötigt. Konkret: Auf dem Feld weiß er genau, wo mehr und wo weniger Düngestreuer benötigt wird – eine Dosierungsanleitung quasi. Durch genaue Datenauswertungen soll auch der perfekte Weg über das Feld und der richtige Moment zur Ernte ermittelt werden können. Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz werden so verbessert.

Autonomes Fahren
„Lenksystem“ ist das Zauberwort. Mithilfe von GPS-Daten und etwa Lasern sollen kleine wie große Landwirtschaftsmaschinen in Zukunft alleine auf den Feldern unterwegs sein können. Dank moderner Lenksysteme geht das weitestgehend schon heute – ganz alleine ist aber noch nicht erlaubt.

Mechanische Erntehelfer
Die Obsternte übernimmt noch zumeist der Mensch – Rüben, das meiste Gemüse und Getreide überlassen wir schon den Maschinen. Jetzt soll die neuste Technik auch die Frucht pflücken lernen. In Spanien erntet zum Beispiel der Agrobot schon Erdbeeren ganz alleine – der Mensch überwacht nur noch. Mithilfe von Kameras und Bilderabgleich weiß er, welche er pflücken darf und soll dabei genauso sanft und vorsichtig sein, wie die Hände der Erntehelfer.

Feldroboter
Klein aber fein sind viele Ideen für Feldroboter – etwa zur Suche nach Wildkräutern oder Schädlingen. Oder sogar zum Säen – wie die Erfindung eines US-Unternehmens. Die „Robot Farmer“ sollen sich mit ihren acht Beinen in Gruppen über die Felder bewegen und mithilfe von kleinen Bohrern die Saat ausbringen. Ehrlich gesagt sehr kostspielige Ansätze, aber laut deutscher Experten durchaus denkbar in Zukunft.

Drohnen
Wie sieht mein Feld von oben aus? Wie weit ist die Entwicklung? Sind einige Pflanzen schon weiter als andere – vielleicht genau in der Mitte des Feldes? Drohnen könnten dem Landwirt Antworten auf solche Fragen liefern. Seit die Technik auch die breite Masse erreicht hat, machen sich natürlich auch Landwirte Gedanken, ob sich die Technik für sie eignet. Durchaus ein Ansatz, aber die Experten sind zweigespalten. Viele setzen eher auf…

Satellitenbilder
… die Technik aus den Sternen! Mithilfe von präzisen Satellitenbildern können Landwirte mittlerweile fast von Tag zu Tag die Entwicklung auf ihren Feldern überwachen und daraus Informationen ziehen. Ähnlich wie durch Drohnen – nur dass sie dafür nicht selber fliegen, sondern lediglich die Daten abrufen müssen. Wahrscheinlich die realistischere Zukunftsperspektive.

Datenmanagement
All diese gewonnen Daten müssen ausgewertet werden – und dass in Zukunft immer häufiger direkt vor Ort – etwa auf dem Traktor. Mithilfe von Computern, Tablets und Monitoren wird das Datenmanagement immer einfacher und für hohe Präzision und Wirtschaftlichkeit auch immer wichtiger. Der Landwirt der Zukunft gehört eben auch zu den Digital Natives.
Geht es den Milchkühen schlecht, kommt heute oft der Tierarzt und verordnet Antibiotika. Passiert das zu häufig, drohen die Erreger resistent zu werden. Dann versagen die lebensrettenden Medikamente womöglich auch beim Menschen. Moderne Melkroboter können helfen, dem vorzubeugen: Sie waschen den Euter, entfernen damit Mikroben und erheben bei jeder Melkung bis zu 100 Daten – vom Fett- und Eiweißgehalt bis zur elektrischen Leitfähigkeit der Milch. Damit lassen sich frühzeitig Krankheiten erkennen, der Bauer wird automatisch alarmiert und kann reagieren. Nebenbei machen die Maschinen den Kühen das Leben im Stall viel angenehmer: Die Tiere entscheiden ganz allein, wann sie zur Melkstation wollen.
Smart Farming auf dem Ökohof
All die Beispiele zeigen, mit dem romantischen Bild vom Bauern, das viele noch vor Augen haben, hat der Alltag auf den Höfen heute nur noch wenig gemein. Die Landwirtschaft ist schon weiter digitalisiert als manch andere Branche. So machen Software und Sensorik bei Landmaschinen inzwischen 30 Prozent der Wertschöpfung aus, in der Autoindustrie liegt der Anteil erst bei zehn Prozent. Ein Viertel aller Serviceroboter weltweit ordern Landwirte, so die International Federation of Robotics.
Das Spannende: Anders als in der Vergangenheit dürften auch die Verbraucher vom Modernisierungsschub auf Feldern und im Stall profitieren. Denn Roboter, Drohnen, Sensoren und Big-Data-Analysen helfen, den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln auf dem Acker, von Arzneimitteln in der Tierzucht zu reduzieren. Sodass am Ende im Weizen und in Kartoffeln, im Steak und in der Milch – fast – keine Schadstoffe mehr nachweisbar sind. Selbst Biobauern setzen inzwischen auf Smart Farming, um konkurrenzfähig zu bleiben.
Gesündere Nahrung durch Automatisierung? Das erscheint zunächst paradox, steht doch die hoch industrialisierte Landwirtschaft im Verdacht, immer wieder für Lebensmittelskandale zu sorgen.
„Doch je mehr Sensoren und Daten wir nutzen, desto gefährlicher wird es für die schwarzen Schafe, zu betrügen“, sagt Michael Clasen, Professor für Agrarinformatik an der Hochschule Hannover. Zudem wollen die Kunden wissen, wo und wie die Lebensmittel produziert werden, die auf ihrem Tisch landen – wie die Diskussionen rund um die gerade in Berlin startende Internationale Grüne Woche zeigen. Je mehr Daten erfasst werden, desto besser die Nachverfolgung.
Der Druck zur Modernisierung erhöht sich noch aus einem weiteren Grund: „Um die Weltbevölkerung satt zu bekommen, müssen wir in 30 bis 40 Jahren doppelt so viele Lebensmittel herstellen wie heute“, sagt der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft Carl-Albrecht Bartmer. Größer und leistungsstärker können die Landmaschinen allerdings kaum noch werden. Den Ertrag steigern eher intelligentere Maschinen, wie Roboter oder Drohnen, und vor allem ein besseres Verknüpfen und Auswerten der schon jetzt in großen Stil erhobenen Daten. Daran hapert es aber oft noch, viele Anbieter – vom kleinen Start-up über die großen Maschinenhersteller bis zum Agrarriesen Monsanto – wollen das nun ändern.
Einer, der inzwischen auf die Vorzüge der digitalen Landwirtschaft schwört, ist Martin Schulze Rötering. Eigentlich sei er kein großer Technikfan, sagt der stämmige 52-Jährige mit der Halbglatze, der im Münsterland vor den Toren Ahlens auf 1000 Hektar Weizen, Raps und Mais anbaut. „Meine Leidenschaft gehört den Pflanzen.“ Daher stapft er auch jetzt trotz Kälte und Regen täglich hinaus auf die lehmigen Felder, um zu sehen, wie sich die Wintergerste entwickelt.
So gut er seine Feldfrüchte kennt, so wenig wusste er lange über die Böden, in denen sie heranreifen. Erst seit seine Mähdrescher im Zwei-Sekunden-Takt erfassen, welche Mengen Korn sie auf jedem Quadratmeter ernten, ist die Beschaffenheit des Ackers kein Geheimnis mehr: Eine bunt gefleckte Ertragskarte aus Grün- und Gelbtönen auf seinem Tablet zeigt genau, was die Krume jeweils hergibt. „Das schwankt enorm“, staunt Schulze Rötering noch heute. „Teils von einem Meter auf den anderen.“
Das Wissen verändert die Arbeit drastisch: Der Bauer verteilt Saatgut und Dünger nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip, sondern dosiert nach Nährstoffgehalt und Ergiebigkeit jedes Flecken. Auch das übernehmen die rechnergesteuerten Landmaschinen – per Auge wäre es unmöglich.
Diese Präzisionslandwirtschaft hat so gleich zwei Vorteile: Einerseits sinkt die Belastung von Böden, Grundwasser und Luft wegen Überdüngung, andererseits müssen die Bauern weniger Saatgut und Dünger einkaufen. Schulze Rötering spart immerhin rund zwölf Prozent Stickstoff, Kalk, Phosphor und Magnesium ein – umgerechnet einige Zehntausend Euro jährlich.
Ebenso kann die Digitalisierung den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln begrenzen. Satellitenbilder vom Zustand des Getreides warnen die Bauern in Kombination mit Wetterdaten auf seinem PC oder per Smartphone früh vor möglichem Schädlingsbefall. So spritzt Schulze Rötering etwa gegen den Mehltau, bevor dieser das Getreide massiv überziehen kann – mit fünf Prozent der Menge, die er vorher brauchte. Und tut das weit vor der Ernte, sodass sich mögliche Reste der Pestizide wieder abgebaut haben.
Wegen solcher Vorzüge rät auch der Brandenburger Biolandwirt Stefan Palme seinen Gesinnungskollegen, sich nicht dem technischen Fortschritt zu verschließen. Da die Ökobauern auf Kunstdünger ganz und Pflanzenschutzmittel größtenteils verzichten, geht es ihm vor allem um höhere Erträge. In dieser Hinsicht schneiden die Biobetriebe schlecht ab. Laut einer Studie der Berliner Humboldt-Universität erzeugen deutsche Ökobauern auf der gleichen Fläche nicht einmal halb so viel Weizen wie die konventionell arbeitenden Kollegen. „Da müssen wir besser werden“, fordert Palme. Er selbst hat seine Ernte dank Ertragskartierung und computergesteuerter Erntemaschinen um fast zehn Prozent gesteigert. Roboter könnten den Ökolandbau ebenfalls optimieren. „Biobauern könnten vor allem von kleinen Pflanz- und Ernterobotern profitieren, die teure Handarbeit ersetzen“, glaubt Johannes Simons, Agrarwissenschaftler an der Universität Bonn. Gibt der Bauer die niedrigeren Produktionskosten an die Kunden weiter, könnten sogar die immer noch hohen Verbraucherpreise für Ökomöhren oder Biomilch sinken.
Doch der Fortschritt hat einen Preis: Auch Vorreiter wie Palme und Schulze Rötering sind sich darin einig, dass der Einsatz von Hightechmaschinen größere Betriebe erzwingt. Nur wenn die Maschinen viele Hundert Hektar bearbeiten, rechnet sich die teure Technik. Die ohnehin stark unter Druck stehenden Kleinbetriebe werden es künftig noch schwerer haben. Sie können es sich kaum leisten, einen der Hochleistungstraktoren von Claas, John Deere und Co., die heute schon um die 400.000 Euro kosten, für weitere 40.000 Euro mit Autopiloten, Datenerfassung und Sensoren aufzurüsten. Oder 100.000 Euro für einen Melkroboter auszugeben. So treibt die Digitalisierung den Strukturwandel gnadenlos voran.
Zugleich hat der Kampf um die Herrschaft über die Daten vom Acker begonnen. Selbst Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) warnt schon vor neuen Monopolen und einer „Vergoogelung“ der Landwirtschaft. Eine ganze Reihe von Anbietern versucht derzeit, zentrale Plattformen zu etablieren, auf denen sie die Daten der digitalen Landwirtschaft zusammenführen wollen. Die US-Start-ups Farmlogs und Granular haben jeweils zweistellige Millionensummen von Investoren eingesammelt – unter anderem von Google Ventures.
Vorreiter in Deutschland ist der Treckerhersteller Claas mit seinem Berliner Start-up 365Farmnet. Bereits mehrere Tausend Betriebe sind Kunde der Onlineplattform. Das Potenzial ist noch riesig: „Etwa 85 Prozent der Landwirte nutzen keine Farm-Management-Software“, sagt Farmnet-Chef Maximilian-Bernhard von Löbbecke. Auch weil viele Bauern eine Abhängigkeit von den großen Konzernen fürchten, die ihnen Saatgut, Dünger, Maschinen, Daten, schlicht alles aus einer Hand liefern wollen. Vor allem die Aktivitäten von John Deere, weltgrößter Landmaschinenhersteller, und Monsanto, umstrittener Agrochemiegigant, beobachten sie argwöhnisch. Ende 2015 vereinbarten beide Riesen, ihre Datenschätze „nahezu in Echtzeit“ miteinander zu verknüpfen.
„Die Landwirte wollen sich nicht von einem Hersteller abhängig machen“, erklärt Benedikt Voigt, nicht ganz uneigennützig. Denn der Mitgründer des Start-ups Trecker.com hat gerade ein eigenes Farm-Management-System gestartet und präsentiert sich als konzernunabhängige Alternative. Die Strategie verfolgt auch Hans-Peter Grothaus. Nachdem er zwölf Jahre für Claas gearbeitet hat, startete er Ende 2015 Farmtune und wirbt: „Wir sind neutral wie die Schweiz.“
Der Kampf um das digitale Zukunftsgeschäft ist in vollem Gange. Und nimmt teilweise skurrile Züge an, wie im November ein Toilettenpapier-Verbot auf der Landwirtschaftsmesse Agritechnica in Hannover zeigte. „Am Stand bekamen wir eine Abmahnung in die Hand gedrückt“, erinnert sich Trecker.com-Geschäftsführer Voigt. Das Schreiben kam von 365Farmnet. Es untersagte dem Wettbewerber sein Produkt als „einfachste Software der Landwirtschaft“ zu bewerben. Den Spruch hatte das Start-up auch auf Toilettenpapier für die Messe gedruckt. Und musste es wieder einstampfen.













