Werner knallhart
German Angst Quelle: imago images

Dank Corona: Kann das Bargeld jetzt endgültig weg?

Ja, ich weiß, allein schon beim Lesen der Überschrift werden Einige jetzt Schnappatmung entwickeln. Aber betrachten wir es mal ganz entspannt: Wo brauchen wir im Alltag wirklich noch Cash? Ist der Kipppunkt wegen Corona jetzt erreicht? Eine Kolumne.

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Was wird nach Corona aus dem Bargeld? Das ist ja nur eine spannende Frage aus dem „Was wird nach Corona aus Punkt Punkt Punkt“-Kosmos wie:

Was wird aus Netflix? Haben wir uns das Serien-Bingen endgültig als Standard-Freizeitbeschäftigung angewöhnt oder werden wir beim Blick zurück auf Corona stöhnen: „Oh Gott, weißt du noch: Dieses ewige Netflix aus lauter elendiger Langeweile“?
Was wird aus Delivery Hero? Haben wir in der Pandemie die Vorzüge von Essen bis an die Wohnungstür nun für immer schätzen gelernt? Oder ist auch diese Routine in der Rückschau eine unappetitliche Corona-Hilfslösung aus der Not heraus?
Was wird nach Corona aus Urlaubsreisen in ferne Länder, aus Geschäftsreisen mit dem Flugzeug, was wird aus dem Homeoffice, aus der Digitalisierung unserer Schulen? Und was aus dem Bargeld?

Ich habe die PIN für meine Bankkarte vergessen. Zum zweiten Mal in meinem Leben. Das erste Mal war vor ungefähr 15 Jahren. Da stand ich nach einer langen Nacht an einem Geldautomaten, an dem die Ziffern auf der Tastatur völlig ohne Not anders herum angeordnet waren. Die obere Reihe war nicht 1,2 und 3, sondern 7, 8 und 9. Da war ich raus. Und die Karte weg.

Und jetzt ist mir die PIN schon wieder entfallen. Diesmal liegt es an meinem Zahlengedächtnis. Ich kann mir vier eingeimpfte Ziffern nicht über ein halbes Jahr hinweg ohne Auffrischung merken. Und ich habe nunmal im vergangenen Oktober oder November das letzte Mal Bargeld abgehoben.

Es müssten damals rund 100 Euro gewesen sein. 20 habe ich noch im Portemonnaie. Der Rest geht drauf fürs Trinkgeld an die Botinnen und Boten von Essenslieferdiensten. Und für Beeren auf dem Wochenmarkt.

Jetzt werden Einige vielleicht freundlich einwenden: Ich benutze aber täglich Bargeld. Da entgegne ich ebenso freundlich: Meistens müssten Sie das aber gar nicht, wenn Sie nicht wollten. Ich will Sie zu nichts überreden, ich versuche nur zu erspüren, ob der Kipppunkt erreicht ist, hinter dem Bargeld-Zahlungen langsam unwiderruflich vielen Kunden absurd vorkommen. Beispiel:

Neulich habe ich an der Kasse einer Tankstelle beobachtet, wie jemand einen Betrag um die 80 Euro mit Scheinen bezahlt hat. Und ich dachte mir so: Wenn man Sprit, Supermarkteinkäufe, Zugtickets am Schalter und in Restaurants ständig cash bezahlt, ja gut, dann muss man tatsächlich entweder dreimal die Woche an den Geldautomaten, oder man schleppt ständig hunderte von Euro bar in der Tasche mit sich rum (die weg sind, wenn die Tasche weg ist). So prägt sich die PIN ein. Aber wozu ist das sonst gut?

Barzahlung hat doch im Alltag keinerlei praktische Vorteile. Der eine holt Geld aus dem Automaten und damit vom Konto runter, bringt es zum Verkäufer, der bringt es wieder zur Bank zurück und damit auf sein Konto drauf. Genau das macht die Karte ohne einen Schritt Rennerei.

Alle Gründe, die aus Kundensicht gegen die Kartenzahlung sprechen, entspringen einem einzigen Gefühl:

German Angst Quelle: imago images

Zum einen die Angst, ohne Bargeld lieferten wir uns der Habgier der Banken aus. Siehe Minuszinsen. Die Lösung demnach: sein gesamtes Erspartes statt auf Konten in Geldbündeln zu Hause oder in einem Schließfach zu deponieren. Abgesehen von der Überlegung, ob man dieser Angst nicht mit einer entsprechenden Gesetzgebung begegnen könnte (§ Soundso: „Banken dürfen keine Negativzinsen verlangen“ oder vergleichbar) und auch abgesehen von der Abwägung, ob Bargeld unterm Kopfkissen sicherer ist (Stw. Einbruchdiebstahl und auch Stw. Hausbrand) als bei der Bank („Alles Verbrecher!!!“): Wird ein Großteil der Bevölkerung weiter aus Angst, von Banken mit Rückendeckung des Staates ums Ersparte gebracht zu werden, wirklich auf die Vorzüge der Kartenzahlung verzichten?

Sind wir bereit, aus Angst vor dem vielleicht irgendwann in düsteren Zeiten anstehenden Untergang unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung samt Finanzsystem weiterhin Komfortopfer zu bringen? Weitere Strecken zu laufen, unsere Jeans mit dicken Portemonnaies auszubeulen, in Handtaschen zu wühlen und Taschendieben und Räubern Tatanreize zu liefern? Mehr als rein technisch nötig?

Bislang war es ja so, dass Händler und Gastronomen gar nicht immer so unglücklich waren über die Bargeld-Fanboys und -girls. Wegen der vermeintlich hohen Kosten. Laut Bundesbank wird für Händlerinnen und Händler aber die Abwicklung von Bezahlungen mit der meist immer noch EC-Karte genannten Girocard billiger, wenn sie mindestens in 30,2 Prozent der Bezahlungen eingesetzt wird. Und 2020 war es fast soweit: Im stationären Einzelhandel wurde die Girocard zu 30 Prozent eingesetzt. Ergo: Wegen des Virus lohnt sich für den Handel die EC-Karte allein schon finanziell. Und „mehr als ein Fünftel der Befragten, die kontaktlos bezahlten, probierte dies erstmals während der Coronapandemie aus“, sagt die Bundesbank. Es geht los.

Aber unabhängig von der reinen Kostenrechnung: Viele Arbeitgeber wollen ihren Angestellten das Rumgefummel an potenziell mit Krankheitserregern kontaminierten Münzen und Scheinen ersparen (was übrigens bei anderen Infektionskrankheiten umso angesagter wäre – wie etwa bei Magen-Darm, die wegen Fäkalkeimen an den Händen ganz überwiegend tatsächlich über Kontaktinfektionen übertragen werden).

Und es sieht in Bäckereien und in Starbucks-artigen Hintenanstell-Cafés einfach leckerer aus, wenn die, die mit Essbarem und Trinkbarem hantieren, nicht auch noch anfassen, was tausende Andere schon angefingert haben – Cookie-Zange hin oder her. Ähnliches gilt für Kassiererinnen und Kassierer im Einzelhandel, die ja allesamt jeden einzelnen gekauften Artikel vom Duschgel über den Rettich bis zum Babybrei-Gläschen anfassen, um den Strichcode zu erfassen, bevor man ihn daheim in seinen Schrank legt.

Letztendlich ist es eben auch eine Frage des guten Hygiene-Services. Eine sauber geputzte Kundentoilette ist auch teurer als eine ungeputzte. Geht dieses Sauberkeits-Bedürfnis nach Corona wieder so weit zurück, dass Bargeld seinen Ekelnimbus verliert?

Besonders ängstliche Datenschützer wenden ein: Kartenzahlung ist nicht anonym. Aber hat der Wunsch nach Anonymität Millionen Menschen allein in Deutschland davon abgehalten, ihre Fotoalben, Tagebücher und die Kontakte zu Freunden, Bekannten und Kollegen für alle sichtbar ins Internet zu stellen? Gucken wir mal kurz bei Facebook und Instagram. Antwort: Nein.

Nicht, dass Datenschutz generell keine Relevanz hat. Im Gegenteil. Stw. Mobbing, Stw. falscher Schufa-Eintrag. Aber bislang wird wohl kaum einer von sich sagen: Dass meine Bank weiß, dass ich regelmäßig bei Amazon bestelle, bei Rewe und Lidl den Wochenendeinkauf erledige und ab und an beim Spanier um die Ecke essen gehe, hat mein Leben schlechter gemacht. Den meisten fehlt es an negativer Erfahrung.

Letzte Woche habe ich im ICE-Bordrestaurant meinen Tee mit der Apple Watch bezahlt. Piep, fertig. Die Kassiererin war ganz angetan: „Dat is ja doll. Wie geht dat denn?“ Selbst Profis, die täglich hunderte Bezahlvorgänge abwickeln (okay, im ICE zurzeit dutzende), sind immer noch für den Komfort des Neuen zu begeistern. „Kartenzahlung ist unpraktisch“, das habe ich von noch keinem gehört. Es ist der Konflikt: spürbarer Komfort gegen die deutsche Angst. Die Haltung, dass alles, was neu und unbekannt ist, erst dann akzeptabel ist, wenn es sich nachweislich bewährt hat. Und jetzt bewährt es sich gerade.

Ich glaube, Corona hat das Bargeld an den Kipppunkt gebracht. So, wie bald kein Mensch mehr einen Verbrennungsmotor haben will. Gucken wir uns unsere hübschen bunten Scheine und glänzenden Münzen noch einmal genau an. Für die Erinnerung an die bald alten Zeiten, als wir noch dicke Hosentaschen hatten.

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