30 bis 2030 | Isabella Weber: „Wir brauchen eine bessere Wirtschafts-Politik“

Isabella Weber
WirtschaftsWoche: Professor Weber, Sie haben in Deutschland, Großbritannien und den USA Wirtschaftswissenschaften studiert und gelehrt. Was fasziniert Sie an der Disziplin?
Isabella Weber: Der Gegenstand der Wirtschaftswissenschaft sind die materiellen Grundlagen unseres Lebens und unserer Gesellschaften. Die Art und Weise, wie wir diesen Gegenstand theoretisieren und erforschen setzt den Rahmen für die Politikgestaltung in essenziellen Bereichen und kann den Wohlstand und das Wohlergehen der Menschen beeinflussen. Deshalb widme ich mich der Wirtschaftswissenschaft.
Ihre Forschungsschwerpunkte reichen von der Ökonomie Chinas über Geld- und Preistheorie bis hin zur Geschichte des wirtschaftlichen Denkens. Während andere Ökonomen sich im Elfenbeinturm verkriechen, mischen Sie gern in der politischen Diskussion mit. Warum?
Wir leben in Zeiten der Vielfachkrise. Erderwärmung, Erosion von Ökosystemen, eine Verschiebung der globalen Wirtschaftsordnung, Pandemien, Anstieg der Konflikte et cetera. Wie die jüngste Leipziger Autoritarismus-Studie darlegt, kann sich die Erfahrung des Ausgeliefertseins gegenüber sich überlappenden Krisen die Zustimmung für autoritäre und rechtsextreme Kräfte befeuern. Die globale Vielfachkrise birgt gewaltige Herausforderungen auch wirtschaftlicher Natur. Aus meiner Sicht ist es die Verantwortung demokratisch gesinnter Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen, in dieser Lage an Lösungsansätzen zu arbeiten und sich in die öffentliche Debatte einzubringen.
Sie gelten als Vorzeigefrau einer linken Ökonomik, die den Markt für korrekturbedürftig hält und sich deshalb für staatliche Eingriffe ausspricht. Gerät man mit dieser Position in der Wissenschaft nicht schnell in die Rolle einer Häretikerin, insbesondere in den USA?
Die Wirtschaftswissenschaften sind in den letzten Jahrzehnten von ihrer einstigen Pluralität abgekommen und mehr und mehr zu einer Wissenschaft geworden, die den freien Markt als Glaubenssatz voraussetzt. Das setzt Scheuklappen, die uns bei der Lösung der gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit im Wege sind. Natürlich löst meine Bereitschaft, an die Gestaltungsmöglichkeiten des demokratischen Staates zu erinnern, bei vielen Ökonomen Irritationen aus – übrigens in Deutschland im Zweifel noch mehr als in den USA.
Inwiefern?
Die amerikanische Kultur ist im Allgemeinen pragmatischer und weniger prinzipientreu als die deutsche. Aber diese Irritation zeigt ja nur, wie wichtig es ist, den wirtschaftspolitischen Handlungsspielraum durch eine Abkehr vom Marktfundamentalismus zu erweitern und das wirtschaftspolitische Instrumentarium mit der Vielfalt der Probleme in Einklang zu bringen, anstatt sich darauf zu versteifen, dass der Markt alles richten wird. Das heißt im Übrigen nicht, dass Märkte keine wichtige Rolle haben, sondern lediglich, dass deregulierte Märkte kein Allheilmittel sind.
Sie haben mit ihrem Vorschlag für Preiskontrollen zur Begrenzung der Inflation in der Pandemie viel Aufsehen erregt. Von Ökonomen in den USA haben Sie viel Gegenwind erhalten, in Deutschland wurden sie in die Gaspreiskommission berufen, die den Bundeswirtschaftsminister beraten hat. Wie hat Ihr gestiegener Bekanntheitsgrad Ihre Arbeit verändert?
Ich nehme an mehr hochrangigen Foren teil, arbeite mehr an Politikgestaltung in verschiedenen Kontexten mit und verbringe sehr viel mehr Zeit damit, mit Journalisten wie Ihnen zu sprechen. Es macht Spaß, so direkt am Zeitgeschehen beteiligt zu sein. Ich achte aber auch strikt darauf, trotzdem ausreichend Zeit für Forschung, zum Lesen und zum Nachdenken zu haben, ansonsten wird man leicht zur Sprechblase.
Ihre Forderung nach Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation wurde im US-Präsidentschaftswahlkampf von Kamala Harris aufgenommen. Werden wir demnächst hören, dass Sie die demokratische Partei oder den nächsten US-Präsidentschaftskandidaten in Wirtschaftsfragen beraten?
Harris hatte ein Gesetz gegen Preistreiberei im Lebensmittelbereich anfänglich zu einer zentralen Forderung in ihrem Wahlkampf gemacht, hat das Thema allerdings kaum mehr eingebracht als es viel Pushback von Ökonomen und der Wallstreet gab. Damit hatte sie keine starke Botschaft an die Wähler zum wahlentscheidenden Thema der Inflation. Unabhängig von Personalien muss es für die Demokraten jetzt darum gehen, eine neue wirtschaftspolitische Programmatik zu entwickeln, die direkt die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen anspricht und eine überzeugende Alternative zu Trumps und Musks nationalistischer Kahlschlagpolitik bietet.
Während die US-Wirtschaft rund läuft, befindet sich die Wirtschaft in Deutschland in einem schlechten Zustand. Konjunkturelle und strukturelle Probleme überlagern sich und die außenwirtschaftlichen Herausforderungen nehmen durch den wachsenden Protektionismus zu. In welchen Feldern sehen Sie den größten Handlungsbedarf für die künftige Bundesregierung, um Deutschland wieder nach vorn zu bringen?
Es gibt viele Baustellen und es ist kurz vor zwölf. Wir brauchen eine bessere Wirtschaftspolitik, nicht zuletzt, um dem rasanten Aufstieg der rechtsradikalen AfD Einhalt zu gebieten. Als ich zusammen mit einigen anderen Ökonomen im Jahr 2022 davor gewarnt habe, dass die Energiekrise ein Schock ist, der das ganze wirtschaftliche Ökosystem betrifft, wurden wir häufig von marktliberalen Kollegen öffentlich ins Lächerliche gezogen und als Lobby-Ökonomen abgetan. Deren Einschätzung war, dass die Krise noch nicht einmal eine Rezession gebracht hätte. Das hat, wie Tom Krebs in seinem neuen Buch Fehldiagnose darlegt, entscheidend mit dazu beigetragen, dass die Schuldenbremse 2023 nicht ausgesetzt wurde und das Krisenmanagement letztlich zu kurz griff.
Was hätte die Regierung nach Ihrer Ansicht tun sollen?
Man hätte 2022 und 2023 eine konsequente ambitionierte Industriepolitik betreiben müssen, anstatt, wie es einige Ökonomen getan haben, zu sagen, bestimmte Industrien wird es in Deutschland einfach nicht mehr geben. Jetzt ist die Situation noch schwieriger als im Jahr 2022. Der Pessimismus hat sich breitgemacht und die Entlassungswellen sind in vollem Gange. Es braucht zunächst Maßnahmen, um die Unsicherheit zu reduzieren, dazu eignen sich ambitionierte Investitionszusagen des Staates, aber auch Energiepreisebremsen. Darüber hinaus ist es entscheidend, dass es eine neue Vision für das deutsche Wirtschaftsmodell gibt, eine, die das Versprechen Wohlstand für alle erneuert. Eine Vision für eine Zeit mit Klimawandel, die an den Stärken der deutschen Wirtschaft ansetzt, als Ausgangspunkt für eine zukunftsfähige Erneuerung, ohne dass dadurch alte Strukturen zementiert werden. Das sind keine leichte Aufgabe. Es erfordert viel konzeptionelle Arbeit, aber auch die Fähigkeit zuzuhören, um Politik so zu gestalten, dass sie auf die Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten ist und nicht an ihnen vorbeiregiert.
Erstmals kürt die WirtschaftsWoche 30 Köpfe aus Deutschland, die unser Land bis Ende dieses Jahrzehnts prägen, verändern und nach vorn bringen werden. Denn es gibt viele Menschen und Projekte, die Mut machen. Eine Übersicht aller Preisträger finden Sie hier













