1. Startseite
  2. Technologie
  3. Forschung
  4. Jan Goetz von IQM: „Zwei Wochen später kommt zuverlässig eine chinesische Publikation“

30 bis 2030 | Jan Goetz„Zwei Wochen später kommt zuverlässig eine chinesische Publikation“

Jan Goetz leitet den Quantencomputerbauer IQM. Im Interview erzählt er, wie zentral der für die Wettbewerbsfähigkeit vieler deutscher und europäischer Industrien sein wird.Thomas Stölzel 10.12.2024 - 17:25 Uhr

Jan Goetz ist Mitgründer und Chef des finnischen Quantencomputerbauers IQM. Hier ist er mit einem jener Quantenrechner zu sehen.

Foto: Juuso Westerlund Institute

Jan Goetz studierte fundamentale Physik an der TU München und hat dort auch promoviert – mit ersten Quantenexperimenten. Als Postdoc ging er an die Aalto-Universität in Finnland, wo er gezielt am Quantencomputing geforscht hat. Zusammen mit seinem Professor entschied er dort 2018, IQM auszugründen.

WirtschaftsWoche: Herr Goetz, Sie sind einer der 30 Deutschen, die unser Land, Europa und die Welt in den nächsten fünf Jahren vermutlich stark prägen werden. Was haben Sie vor?
Jan Goetz: Unser Anspruch bei IQM ist es, der global führende Anbieter für Quantencomputing aus Europa zu sein. So glauben wir, dass es hier nicht den einen dominierenden Anbieter geben wird. Es werden in der westlichen Welt eher drei oder vier sein. Und wir werden da einer der ganz Großen. Es bleibt natürlich die Frage, wie schnell sich Quantencomputing dahin entwickelt und wie schnell wir echte Use Cases sehen, was schwer vorherzusagen ist. 

Was werden das in Ihren Augen für Anwendungen sein? 
Um das zu erklären, ist der Chiphersteller Nvidia ein schönes Beispiel. Der baut ja spezielle Prozessoren, ursprünglich für Grafikanwendungen wie Computerspiele. Dann hat man festgestellt, man kann sie anders nutzen, für das Crypto-Mining etwa. Dann wurden während der Corona-Pandemie Moleküle damit simuliert. Und jetzt kommen die Anwendungen der Künstlichen Intelligenz. So muss man sich das auch beim Quantencomputing vorstellen. Da wird Anwendung für Anwendung kommen, und zwar in allen relevanten Industriezweigen. Wie groß das Ganze 2030 wirklich ist, hängt davon ab, wie weit diese Entwicklung dann schon fortgeschritten sein wird. Aber unser Ziel bleibt, zu diesem Zeitpunkt ein Unternehmen zu sein, das profitabel und unabhängig von Investorengeld ist. 

Wie wichtig wird diese Entwicklung noch für unser Land sein? 
Quantencomputing wird für den Industriestrandort Deutschland erhebliche Auswirkungen haben. Eine potenzielle Anwendung ist ja die personalisierte Medizin. Heute gibt es Standardmedikamente, wo man vielleicht etwas die Dosis von Person zu Person anpasst. Aber wir träumen davon, dass auch der Wirkstoff individuell angepasst wird. Und das scheitert im Moment daran, dass wir es mit herkömmlichen Rechnern nicht simulieren und das alles im Labor nicht zusammenzufügen können. Käme so ein Durchbruch, dann hat das vermutlich für die breite Gesellschaft einen wahnsinnigen Impact.

Diese Köpfe braucht das Land!

Deutschlands 30 bis 2030

Es gibt auch Aufbruch! Diese 30 Menschen werden unser Land bis Ende des Jahrzehnts prägen und nach vorn bringen.

von Henrike Adamsen, Melanie Bergermann, Varinia Bernau und weiteren

Für die ersten solchen Anwendungen reichen angeblich ein paar hundert Qubits – jene Maßeinheit, mit der gewöhnlich die Leistung von Quantencomputern angegeben wird. Ist das auch Ihre Einschätzung und wann werden Sie die am Markt haben? 
Ja, das teilen wir. Allerdings ist ja ein Problem im Quantencomputing die Fehleranfälligkeit der Qubits. Da gibt es im Prinzip zwei Welten. In der ersten, in der wir uns im Moment befinden, akzeptieren wir diese Fehler, versuchen sie ein bisschen zu umgehen und rechnen mit ihnen. In der zweiten Welt gibt es eine Fehlerkorrektur. Wir gehen davon aus, dass man in der ersten Welt mit ein paar hundert Qubits erste sehr interessante Anwendungen realisieren kann. Gerade im Bereich der Simulation von Chemie und molekularer Dynamik. Aber das große Geschäft, das kommt in der zweiten Welt mit der Fehlerkorrektur, wenn wir über ein universell einsetzbares Quantencomputing reden. 

Wie viele Qubits brauchen Sie dafür? 
Wir arbeiten gerade an unserem ersten 150-Qubit-Chip. Damit kann man hauptsächlich Machbarkeitsstudien erstellen, beispielsweise für die Batterieentwicklung, was wir kürzlich mit Volkswagen veröffentlicht haben. 100.000 physische Qubits ist ungefähr die Größenordnung, wo wir davon ausgehen, dass die Fehlerkorrektur an Fahrt gewinnt und man viel mehr kommerzielle Anwendungen bekommt.

Sie liefern schon jetzt Rechner aus. 
Ja, wir liefern komplette System aus, sind also ein Systemintegrator. Was wir ganz innovativ selber machen, sind dabei die Chips. Jedes Jahr bringen wir eine neue Quantenprozessor-Generation raus. Wir haben angefangen mit 5 Qubits, dann kamen 20, dann 54. Nächstes Jahr kommen 150. Das wird einfach so weitergehen und kommerziell immer erfolgreicher werden. 

Wer kauft Ihre Quantencomputer? 
Wir haben zwei Produkte. Das eine nennen wir Spark. Das ist ein rein akademisches Ausbildungstool. Hier ist die Idee, dass jede Universität auf der Welt so einen kleinen Quantencomputer hat, um Computerwissenschaftler, Physiker, Elektroingenieure und so weiter daran auszubilden. Und dann ist da unser Flagschiffprodukt Radiance. Der geht an große Rechenzentren. Und die bekommen von uns dann jeweils den neuesten Chip. So ist das etwa beim Leibniz-Rechenzentrum in Garching. Die bekommen zunächst 54 und später dann 150 Qubits. Zusätzlich bieten wir unsere Quantencomputer auch über die Cloud an, was vor allem für Anwender interessant ist.

Quantencomputer

„Die Kryptografie erlebt gerade ihren disruptiven Moment“

Gut verschlüsselte Daten sind vor Quantencomputern nicht sicher. Höchste Zeit für Unternehmen und Behörden zu reagieren. Was tun, um Daten zu schützen?

von Thomas Kuhn

Was macht IQM besonders gegenüber anderen Herstellern von Quantenrechnern wie IBM? 
Wir sind in der Lage, Computer herzustellen und an Rechenzentren auszuliefern. Viele andere, insbesondere amerikanische Unternehmen fokussieren sich auf das Cloud-Geschäft. Selbst Systeme, die sie außerhalb der USA ausliefern, stehen nicht direkt beim Kunden sondern sind nur über die Cloud verfügbar. Für viele große Rechenzentren und auch für Firmen, die mit sensitiven Daten arbeiten, ist aber ein direkter Zugriff auf die Systeme essentiell. Hier sehen wir unsere Stärke und hierfür haben wir extra eine Fabrik in Finnland gebaut. Diese ermöglicht es uns, extrem leistungsstarke Quantencomputer direkt an unsere Kunden zu liefern.

Gilt diese Offenheit bei Ihnen auch für die Software? 
Ja, wir haben unsere Software sehr modular aufgebaut und öffnen sie für Entwickler. Die Rechnerzentren haben in der Regel ja schon ein bestehendes Softwaresystem, mit dem sie arbeiten. Und die wollen das natürlich nicht komplett ersetzen mit irgendeinem anderen Quanten-System. Wir sehen unseren offenen Softwareansatz als perfekt geeignet an, um damit eine größere Computerplattform für die Zukunft aufzubauen. Ähnlich wie das Nvidia mit ihren Grafikprozessoren getan hat.

IBM hat ja schon Quantenchips mit mehr als 1000 Qubits vorgestellt. Sie sind jetzt bei 150. Warum sind die so viel weiter? 
Wenn man sich genauer mit IBM beschäftigt, dann sieht man, dass die immer sehr stark auf die Qubits-Zahl fokussiert waren. Und da hatten die dann schon 400 und 1000. Wenn man sich aber heute die Pressemitteilungen durchliest, dann ist da nur noch von 150 oder 133 Qubits die Rede. Dahinter steckt ein großes Umschwenken: Die Prozessor-Architektur war schlicht noch nicht bereit, diese Qubits auch einzusetzen. Also mussten Sie umschwenken, sich selbst nach Unten korrigieren. Wir haben von Anfang an sehr auf hochqualitative Performance wert gelegt und das ist, wofür Kunden uns sehr wertschätzen. Das heißt, dass wir im internationalen Wettbewerb ganz vorne mit dabei sind.

Dann ist da aber auch noch China. Welche Rolle, glauben Sie, wird Quantencomputing im Wettbewerb zwischen Ost und West in den nächsten Jahren spielen? 
Es gibt keinen echten Wettbewerb mehr. Wir können nichts nach China liefern und China hat keinen Zugriff auf den europäischen Markt. Dasselbe gilt für andere Länder wie Russland oder Iran. Das heißt, der eigentliche Wettbewerb hat sich in die Politik verschoben und in die Regulierung. Quantencomputing hat eine hohe strategische Bedeutung, speziell wegen der Einsetzbarkeit im Sicherheits- und Verteidigungssektor. Diese strategische Bedeutung führt de facto zu einer Entkopplung von Ländern wie China.

Das heißt, Ost und West agieren völlig losgelöst voneinander?
Es heißt mehr, dass da ein Wettrennen entstanden ist. Denn da ist ja noch der Elefant im Raum: Mit Quantenrechnern wird es schneller und einfacher möglich sein, unsere Verschlüsselungs-Codes zu knacken. Das ist natürlich eine große Gefahr. Ein Problem ist, dass alle Daten, die wir heutzutage rumschicken, mit alten Schlüsseln verschlüsselt sind. Wenn man die jetzt abgreift und einfach ein paar Jahre speichert, bis die passenden Quantencomputer da sind, dann stecken da immer noch relevante Informationen drin. Über Flugzeuge etwa, die ja oft länger als 20 Jahre in der Luft sind und dann gehackt werden könnten. Wir müssen eigentlich die ganze Infrastruktur und alle Verschlüsselungssysteme um uns herum sofort anpassen. Das ist eine Mammutaufgabe. 

Wie gut sehen Sie sich von der Politik unterstützt? 
Grundsätzlich sehr gut. Aber natürlich schlafen Länder wie die USA und China auch nicht. Wir haben von Anfang an auf politischer Ebene dafür geworben, dass wenn wir in Europa große Tech-Start-ups haben wollen, denen ihr frühes Risiko durch öffentliche Aufträge genommen werden muss. Ein bisschen wie bei SpaceX. Und diese Idee hat die Politik aufgegriffen. Und dann sind da natürlich auch die ganzen Förder- und Forschungsprojekte, die auf nationaler und EU-Ebene ausgerufen werden. Wenn ich mit Politikern rede, dann spüre ich einen Willen. Ob das alles dann immer schnell genug umgesetzt wird, ist natürlich eine andere Frage. Aber zumindest ist der Drive da. Meine Hoffnung ist, dass wir in Europa alle Kräfte bündeln können, anstatt in Kleinstaaterei zu versinken, und damit auch weiterhin global ganz vorne mitspielen können.

Und wo würden Sie China heute sehen? 
Wir wissen ja nur, was über Medien oder Publikationen veröffentlicht wird. Da sind die auf einem ähnlichen Niveau wie der Westen, würde ich sagen. Aber natürlich wissen wir nicht, was da wirklich passiert. Und ich gehe mal davon aus, dass sie nicht alles publizieren, was sie schon erreicht haben. Was ich sehe: Egal was Google oder IBM veröffentlichen, zwei Wochen später kommt zuverlässig eine chinesische Publikation, die im Prinzip das gleiche zeigt. Das gibt mir dann schon zu denken, ob die das alles nicht einfach schon in der Schublade haben.

Erstmals kürt die WirtschaftsWoche 30 Köpfe aus Deutschland, die unser Land bis Ende dieses Jahrzehnts prägen, verändern und nach vorn bringen werden. Denn es gibt viele Menschen und Projekte, die Mut machen. Eine Übersicht aller Preisträger finden Sie hier

Mehr zum Thema
Unsere Partner
Anzeige
Stellenmarkt
Die besten Jobs auf Handelsblatt.com
Anzeige
Homeday
Homeday ermittelt Ihren Immobilienwert
Anzeige
IT BOLTWISE
Fachmagazin in Deutschland mit Fokus auf Künstliche Intelligenz und Robotik
Anzeige
Remind.me
Jedes Jahr mehrere hundert Euro Stromkosten sparen – so geht’s
Anzeige
Presseportal
Lesen Sie die News führender Unternehmen!
Anzeige
Bellevue Ferienhaus
Exklusive Urlaubsdomizile zu Top-Preisen
Anzeige
Übersicht
Ratgeber, Rechner, Empfehlungen, Angebotsvergleiche
Anzeige
Finanzvergleich
Die besten Produkte im Überblick
Anzeige
Gutscheine
Mit unseren Gutscheincodes bares Geld sparen
Anzeige
Weiterbildung
Jetzt informieren! Alles rund um das Thema Bildung auf einen Blick