Es sind selbstkritische Worte, die Armin Schuster wählt, als der langjährige CDU-Innenpolitiker vor die Presse tritt und seine Umbaupläne für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) vorstellt. „Was wir heute an Maßnahmen vorstellen, hätten wir als Politiker auch in der Vergangenheit durchaus schon angehen können.“
Seit vergangenem November steht Schuster, einst Bundespolizist, an der Spitze der Bonner Behörde, von der sich, speziell in Coronazeiten, bisher so mancher fragte, was genau eigentlich ihre Aufgabe ist. Damit will der 59-Jährige nun Schluss machen. Acht Schwerpunkte für die künftige Arbeit haben Schuster und seine Beamten in den vergangenen Monaten erarbeitet. Sie reichen vom Ausbau des gesundheitlichen Bevölkerungsschutzes über die Einrichtung eines gemeinsamen Kompetenzzentrums für den Katastrophenschutz bis zum Aufbau einer ressort- und organisationsübergreifenden Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung.
Der umfassende Umbau soll das Amt in eine schlagkräftige Behörde verwandeln. Gerüstet für künftige Schadenslagen nationaler Tragweite wie Trockenheit und Waldbrände, Starkregen und Hochwasser, aber auch schwere Anschläge oder neue Pandemien.
Dabei soll das BBK ausdrücklich keine Führungsrolle im deutschlandweiten Bevölkerungsschutz bekommen, sondern „als zentraler Dienstleister für alle beteiligten Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden sowie Hilfsorganisationen fungieren“, betont Schuster. Eine wichtige Klarstellung, die politischen Sprengstoff entschärfen soll, weil Katastrophenschutz laut Grundgesetz Ländersache ist. „Wir planen ausdrücklich keine Grundgesetzänderung“ unterstreicht Bundesinnenminister Horst Seehofer denn auch gleich mehrfach bei der Vorstellung von Schusters Ausbauplänen.
Dem hatte Seehofer im Herbst, bei der Berufung ins Amt, angesichts der allenthalben mehr als holprigen Pandemiebekämpfung aufgetragen, seine Behörde neu aufzustellen. „Wir haben jede Menge Kompetenz im BBK, aber wir haben sie bisher nicht im erforderlichen Maß in praktisches Handeln umgesetzt“, so der Innenminister. „Das war kein Fehler der Menschen im BBK, sondern der Rahmenbedingungen, die die Politik – auch ich selbst – dem Amt gesetzt hat.“
Tatsächlich ist das 2004 gegründete BBK nur ein Schatten seines Vorgängers, des nach dem Ende des Kalten Krieges aufgelösten Bundesamtes für Zivilschutz (BZS). Bis heute verfügt das BBK nicht mal über ein Fünftel des Personals seines Vorgängers und nur einen Bruchteil von dessen Budget.
Millionen für Sirenen und Trinkwasser
Parallel zum BZS löste der Bund zur Jahrtausendwende auch Hunderte von Medikamenten- und Zivilschutzlagern im ganzen Land auf. Depots in denen vom Arztkittel bis zur Wolldecke all das eingelagert war, was im Kriegs- oder Katastrophenfall nötig ist – und das auch in der Coronapandemie die Gesundheitsversorgung entscheidend hätte verbessern können.
Wie groß die Versäumnisse und Lücken sind, hatten Experten des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit erst zu Jahresbeginn in einer Analyse zusammengetragen. „Wir hatten bei früheren Vorfällen wie etwa SARS oder EHEC bloß Glück. Dieses falsche Gefühl hat verhindert, dass wir uns angemessen auf eine Pandemie vorbereitet haben, wie sie uns nun getroffen hat“, moniert etwa Albrecht Broemme, Vorstand des Zukunftsforums.
„Was wir an Reserven hatten lag im niedrigen Tausenderbereich“, räumte nun auch Seehofer ein, „und wir reden vom Millionenbereich beim Bedarf.“ Deshalb gehe es nun um den Wiederaufbau des Bevölkerungsschutzes und auch der erforderlichen Vorräte und Infrastrukturen. Mehr als 150 Millionen Euro sollen, so kündigt es der Minister an, alleine in den Ausbau des Sirenen-Warnnetzes sowie der Trinkwassernotversorgung fließen.
Daneben soll es das BBK nicht länger dabei belassen müssen, nur Risikobewertungen zu verfassen. Wie jene, inzwischen denkwürdige Modi-SARS-Studie, in der die Katastrophenschützer bereits 2012 die Folgen einer globalen Pandemie vorausbeschrieben hatten. Und eine Vielzahl von Mängeln in der deutschen, zivilen Gefahrenabwehr auflisteten, die sich in der Coronapandemie aufs Bitterste bewahrheiteten.
„Künftig geht es darum, aus den Erkenntnissen Handlungsoptionen zu erarbeiten, die dann auch umgesetzt werden“, umreißt Schuster, was sich ändern soll.
Wie lange soll Deutschland durchhalten
Wenn all die Pläne jetzt auch umgesetzt werden, könnte es die Entfesselung einer Behörde bedeuten, die jahrelang vor allem dann wahrgenommen wurde, wenn sie ein Katastrophen-Kochbuch für die Ernährung bei Stromausfall veröffentlichte. Oder wenn etwas schiefging, wie etwa beim bundesweiten Warntag 2020, als schweigende Sirenen und steckengebliebene App-Alarme für Spott in sozialen Medien sorgten.
Damit soll nun Schluss sein. „Wir sind weder Chefentschieder, noch Chefeinkäufer, wir wollen Cockpit sein und Koordinator“, umreißt Schuster, wie er sein Amt in Zukunft sieht.
Katastrophenmanager und Hilfspfleger
Doch Schusters Anspruch geht weiter. Der Bund solle in Zukunft wieder in die Ausbildung von Pflegehilfskräften einsteigen, um in Schadenslagen beispielsweise das Personal in Kliniken unterstützen zu können. Während des Kalten Krieges gab es mehr als 100.000 qualifizierte Schwesternhelferinnen und Pflegehelfer, die auch in Coronazeiten das Personal hätten entlasten können.
Zusätzlich will Schuster die existierende Katastrophenschutzschule im rheinland-pfälzischen Ahrweiler zum bundesweites Bildungszentrum ausbauen. Dort und an einem neuen, zweiten Standort, voraussichtlich in der Nähe von Berlin, sollen Beschäftigte und Angehörige aus verschiedensten Behörden und Hilfsorganisationen in weit größerer Zahl als bisher als Katastrophenmanager geschult werden.
Und er will die vermittelten Kompetenzen künftig auch wieder regelmäßig praktisch abrufen. „Ich hoffe sehr, dass die gemeinsamen Katastrophenschutzübungen vor dem Hintergrund der Coronaerfahrungen nicht bloß eine Renaissance erleben, sondern dass auch die Erkenntnisse daraus anschließend in politisches Handeln umgesetzt werden.“
Ein mehr als begründeter Hinweis, wie der Blick auf die Lükex-Übung des Jahres 2007 belegt, die sich ebenfalls schon mit den Folgen einer flächendeckenden Pandemie befasst hatte. Eine der Erkenntnisse damals: Vor allem das Impfen könnte Probleme bereiten. Gelernt hat das Land daraus offensichtlich nicht. „Das“, sagen Schuster und sein Minister nun unisono, „darf uns nicht mehr passieren.“
Mehr zum Thema: 2012 hatten Forscher für die Bundesregierung die Folgen eines Virusausbruchs simuliert – und die Coronapandemie treffend vorhergesagt. Nun haben die Experten das nächste Szenario untersucht: ein großes Erdbeben nahe Köln. Und kommen erneut zu erschreckenden Erkenntnissen.