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Leiden auf RezeptKrank durch Medikamente

Antibiotika machen depressiv, Schlafmittel dement und Blutdrucksenker impotent. Das behauptet zumindest die Biologin Cornelia Stolze in ihrem neuen Buch "Krank durch Medikamente". Ein Auszug.Cornelia Stolze 13.10.2014 - 16:20 Uhr
Foto: imago images

Arzneimittel sollen heilen, Beschwerden lindern und – wenn möglich – sogar vor künftigen Leiden bewahren. Tatsächlich retten Medikamente vielen schwerkranken Menschen das Leben, sie nehmen Patienten stärkste Schmerzen oder schützen Kinder und Erwachsene vor den Folgen gefährlicher Infektionen.

Doch der Siegeszug der Pharmazie hat eine Kehrseite: Die wachsende Flut von Medikamenten macht inzwischen auch immer mehr Menschen krank. Ob Herzrasen, Depression, lebensgefährliche Schädigung des Immunsystems, Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen oder Demenz – hinter zahlreichen Leiden, die Ärzte heute diagnostizieren, stecken in Wirklichkeit nicht körperliche oder seelische Defekte, sondern die Nebenwirkungen massenhaft konsumierter Arzneien.

Opfer der Industrie

Je älter wir werden, desto größer ist die Gefahr. Aber selbst die Jüngsten werden immer öfter zu Opfern der pharmazeutischen Industrie, schließlich schlucken viele Kinder inzwischen bereits jahrelang Psychopharmaka.

Wer käme schon auf die Idee, dass Präparate wie der Kassenschlager Ritalin bei achtjährigen Jungen stundenlange Erektionen auslösen können, die nicht nur sehr schmerzhaft sind, sondern mitunter auch zu bleibenden Schäden führen und die Betroffenen dauerhaft impotent machen?

Nase hochziehen ist gefährlich

Im Volksmund heißt es häufig, Schleim durch die Nase hochzuziehen sei nicht nur unhöflich und unappetitlich, sondern zudem auch gefährlich, da der Schleim sich in den Nasennebenhöhlen einniste. Mediziner Carsten Lekutat widerlegt diese Behauptung ganz klar: nicht das Hochziehen des Schleims, sondern zu kräftiges Schnäuzen birgt Gefahren. Denn der dabei entstehende Druck leitet den Schleim aus der Nase im schlimmsten Fall in die Nebenhöhlen oder durch einen Kanal im Nasen-Rachen-Raum ins Mittelohr. Auch wenn das Naseputzen wohl manierlicher ist, gesünder ist es nicht.

Carsten Lekutat ist Arzt und hat das Buch "Halbwahrheiten der Medizin" geschrieben

Foto: dpa

Ungerades Sitzen ist schlecht für den Rücken

Diese Volksweisheit ist nicht wahr. Nicht striktes gerades Sitzen, sondern dynamisches Sitzen ist entlastend für den Rücken. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass entgegen der landläufigen Meinung eine um 135 Grad nach hinten geneigte Rückenlehne optimal für den Rücken ist, da die Bandscheiben in dieser Position am meisten geschont werden. Genauso wichtig für die Funktionstüchtigkeit der Gelenke ist allerdings konstante Bewegung, um für die nötige Durchblutung des Knorpel- und Bandscheibengewebes zu sorgen.

Foto: CLARK/obs

Zähne putzen nach dem Essen beugt Karies vor

Eine landläufige Meinung besagt: „Nach dem Essen das Zähneputzen nicht vergessen!“ Naheliegend ist dies allemal, da sich in harten Zahnbelägen Karies auslösende Bakterien in Hülle und Fülle tummeln. Über die Nahrung aufgenommene Kohlenhydrate werden in Säuren umgewandelt und greifen den Zahn an. Doch laut Dr. Carsten Lekutat ist das sofortige Zähneputzen nach der Nahrungsaufnahme kontraproduktiv. „Wenn wir direkt nach dem Essen munter drauflos schrubben, zerstören wir also mit unserer Zahnbürste nicht die Kariesbakterien, sondern den Zahnschmelz, die wichtigste Schutzschicht der Zähne“, erklärt der Mediziner. Nach einer Mahlzeit sollte man sich also auf den Speichel als natürlichen Bakterienschutz verlassen und frühestens eine halbe Stunde später – wenn die Säure neutralisiert ist - zur Zahnbürste greifen.

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Bei grünem Nasenschleim muss ein Antibiotikum her

Dass man das Ausmaß von Atemwegserkrankungen wie Nasennebenhöhlenentzündungen an der Farbe des Nasenschleims erkennt, ist nichts weiter als ein Mythos. Wie eine britische Studie belegt, wurde bei derartigem Schleim zwar deutlich häufiger ein Antibiotikum verschrieben als bei klarem Ausfluss. Die Art der Erkrankung zeigt dieser jedoch nicht an, da er laut Lekutat sowohl bei bakteriellen als auch viralen Entzünden auftritt. Außerdem trat eine Besserung der Symptome – unabhängig ob Gabe von Antibiotikum oder nicht – immer nach sieben Tagen ein. Über die Notwendigkeit einer Behandlung mit Antibiotikum sagt die Verfärbung also nichts aus. Die meisten Entzündungen klingen ohne ärztliche Therapie nach wenigen Tagen von alleine ab.

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Fingerknacken verursacht Gelenkbeschwerden und Rheuma

Das Knacken mit den Fingern wird als gefährlich deklariert. Ein weit verbreiteter Mythos besagt, es rufe Gelenkbeschwerden oder gar Rheuma hervor. Ganz ungefährlich ist das Knacken zwar nicht, denn es kann Schwellungen am Finger hervorrufen und die Kraft in den Händen verringern. Schädlich für die Gelenke ist das nervöse Zerdrücken der Finger jedoch auch nicht. Zu diesem Ergebnis kamen die Wissenschaftler Castellanos und Axelrod in einer 1990 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie. Chirotherapeuten setzen es sogar als Behandlungsmethode gezielt ein, um Blockaden zu lösen, die durch untrainierte Gelenke entstehen. Fingerknacken sorgt also allenfalls für kurzweilige Schwellungen oder kraftlose Hände, nicht aber für rheumaartige Beschwerden. Wer das Knacken als Mittel zum Stressabbau betreibt, kann und sollte aber definitiv auf gesundheitsfördernde Maßnahmen wie zum Beispiel Autogenes Training oder Yoga zurückgreifen.

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Ein Schnaps nach dem Essen regt die Verdauung an
Dieser Glaube zählt zu den meist verbreiteten. Fakt ist jedoch: Alkohol hemmt die Verdauung. Er lenkt die Leber vom Verdauen der Speisen ab und behindert sogar die Magenentleerung. "Bei Völlegefühl ist ein Spaziergang oder ein warmer Tee sinnvoll. Vorbeugend hilft natürlich auch, maßvoll zu essen", weiß Thomas Meier, Gastroenterologe am Diagnostik Zentrum Fleetinsel Hamburg.

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Wechselduschen stärken das Immunsystem

„Das Wasser ist mein bester Freund und wird es bleiben bis ich sterbe“, sagte einst Sebastian Anton Kneipp, der Erfinder der bekannten Wasserkur. Von Medizinern bewiesen ist zumindest, dass Wechselduschen einen positiven Effekt auf das Immunsystem haben. Eine Studie der Universität Jena kam zu dem Ergebnis, dass Patienten mit chronischer Bronchitis nach einer zehnwöchigen Wasseranwendung nach Kneipp eine um 13 Prozent gestärkte Immunabwehr entwickelt hatten und die Zahl der Infektionen zurückging.

Außerdem sprechen Forscher von einem „Lerneffekt des Körpers“. Durch das Gewöhnen an Temperaturwechsel kann der Organismus auch besser mit ihnen umgehen. Regelmäßige Wechselduschen wirken sich laut Facharzt Carsten Lekutat dreifach positiv aus: sie beleben, stärken das Immunsystem und mindern das Infektionsrisiko.

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Beim Sprung ins kalte Wasser bleibt das Herz stehen
„Einem gesunden Herzen kann der Sprung ins kalte Wasser nichts anhaben. Sonst wäre auch vom kalten Bad nach dem Saunagang abzuraten.

Menschen mit Gefäß- und Herzerkrankungen sollten den plötzlichen Temperaturwechsel jedoch vermeiden, da dabei Herz und Kreislauf zu stark beansprucht werden könnten“, erklärt Thomas Stein, Kardiologe und ärztlicher Direktor am Diagnostik Zentrum Fleetinsel. Allgemein ist es ratsam, sich langsamer abzukühlen, um den Kreislauf nicht unnötig zu belasten.

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Cola und Salzstangen helfen bei Durchfall

Bei Durchfall verliert der Körper Flüssigkeit und Mineralien, die schnell wieder zugeführt werden sollten. Salzstangen und Cola sind dafür allerdings nicht optimal: Das Koffein in der Cola kann besonders bei Kindern den Durchfall noch verstärken. Zu viel Zucker entzieht dem Körper weiteres Wasser sowie Kalium, wie eine Studie des "Internal Journal of Clinical Practice" zeigt. Besser eignen sich leicht gesüßte Tees und Elektrolytelösung aus der Apotheke.

Auch die Salzstangen bringen nicht viel, Zwieback hilft dem Körper besser, wieder zu Kräften zu kommen.

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Schnarchen nervt, ist aber unbedenklich
Gelegentliches oder erkältungsbedingtes Schnarchen ist unbedenklich. Regelmäßige Schnarcher sollten sich aber von einem Arzt durchchecken lassen: „Beim krankhaften Schnarchen verengt sich der Rachen stark und es gelangt nur wenig Luft in die Lunge. Das löst Atemaussetzer aus – ohne, dass der Schlafende dies bemerkt. Die verringerte Sauerstoffzufuhr führt zu einer Unterversorgung des Gehirns und anderer Organe“, warnt Tomas Stein, Kardiologe und ärztlicher Direktor am Diagnostik Zentrum Fleetinsel Hamburg.

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Obst und Gemüse schützen vor Krebs

Wer sich gesund ernährt und mehr Gemüse als Fleisch isst, der tut seinem Körper etwas Gutes. Doch ein konkreter Schutz vor Krebs ist das nicht. Das ergab eine Studie von Hsin-Chia Hung und Walter Willet von der Harvard University Boston, die im "Journal of the National Cancer Institute" veröffentlicht wurde. Die Probanden, die mehr Obst und Gemüse aßen, hatten jedoch ein geringeres Herzinfarktrisiko.

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Dunkle Schokolade macht nicht so dick

Das stimmt leider nicht. Egal, wie dunkel die Schokolade ist, sie besteht in erster Linie aus Kakaobutter, Zucker und Kakaomasse. Im Gegensatz zu Milchschokolade enthält dunkle Schokolade keine Milch, folglich auch keinen Milchzucker - und auch insgesamt meist weniger zugesetzten Zucker. Die Kalorienzahl ist durch den hohen Fettgehalt aber vergleichbar mit der der Milchschokolade.

Foto: dpa/dpaweb

Kaffee trocknet den Körper aus

Nein, Kaffee entzieht dem Körper kein Wasser. Koffein wirkt allerdings harntreibend: Wer viel Kaffee trinkt, muss also öfter die Toilette aufsuchen. Das bedeutet aber nicht, dass er dabei mehr Flüssigkeit verliert, als er mit dem Bürokaffee aufgenommen hat.

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Wasser und Steinobst zusammen verursachen Bauchschmerzen
Früher stimmte das. Das Trinkwasser enthielt häufig Bakterien, die in Kombination mit dem Obst im Magen zu gären begannen. Die Folge waren Beschwerden wie Bauch- und Magenschmerzen. „Bei der heutigen Trinkwasserqualität in Deutschland ist das jedoch nicht mehr zu befürchten“, erklärt Thomas Meier, Gastroenterologe am Diagnostik Zentrum Fleetinsel Hamburg.

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Pro Tag zwei Liter Wasser trinken

Es ist richtig, dass der Mensch "ausreichend" Flüssigkeit braucht. Er muss aber nicht zwangsläufig zwei Liter in Form von Wasser trinken. Auch Obst, Gemüse und Milchprodukte enthalten Flüssigkeit. Außerdem hängt der Flüssigkeitsbedarf von vielen Faktoren ab, etwa wie heiß es ist, wie viel der Mensch wiegt und ob man sich körperlich stark anstrengt. Pauschal eine Menge von zwei Litern zu empfehlen, ist wenig sinnvoll. Zu viel Wasser kann dem Körper auch schaden. Wer ein normales Durstgefühl hat, nimmt automatisch genug Flüssigkeit zu sich.

>> Hier finden Sie die wichtigsten Tipps zum richtigen Trinken.

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Jodmangel schädigt die Schilddrüse
Obwohl sie sehr klein ist, ist die Schilddrüse eines der wichtigsten Organe im menschlichen Körper. Um reibungslos zu arbeiten, benötigt sie Jod. Das ist nicht nur im bekannten Jodsalz und damit hergestellten Produkten, sondern vor allem in Seefisch enthalten. „In der Regel nehmen wir über die Nahrung ausreichend Jod auf. Spezielle Präparate können unterstützend wirken. Darüber entscheidet jedoch am besten ein Arzt. Schaden nimmt die Schilddrüse nur bei einem extremen, langanhaltenden Jodmangel“, erläutert Thomas Meier, Gastroenterologe am Diagnostik Zentrum Fleetinsel Hamburg.

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Eier erhöhen den Cholesterinspiegel

Cholesterin ist ein lebensnotwendiger, natürlicher Stoff und kein Schadstoff. Der Körper produziert selbst Cholesterin und stoppt die Produktion, wenn zu viel Cholesterin in Form von Nahrung aufgenommen wird. Nur wer eine Cholesterin-Stoffwechselstörung hat muss auf seine Ernährung achten. Alle anderen können so viele Frühstückseier essen, wie sie wollen.

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Cholesterin schädigt das Herz
Die Cholesterinart ist entscheidend: Das schädliche LDL-Cholesterin lagert sich in den Gefäßwänden ab. In erhöhter Form können diese Fetteinlagerungen Arteriosklerose und Herzkrankheiten begünstigen. HDL-Cholesterin dagegen löst das Fett wieder aus den Gefäßwänden und transportiert es aus dem Körper. Die Konzentration des HDL-Werts sollte deshalb wesentlich höher liegen. „Ab welchem Wert ein LDL-Cholesterin-Spiegel bedenklich erhöht ist, hängt vom Einzelfall ab. Präventiv wirken eine ausgewogene, fettarme Ernährung und ausreichend Bewegung“, sagt Tomas Stein, Kardiologe und ärztlicher Direktor am Diagnostik Zentrum Fleetinsel.

>> Zehn wissenswerte Fakten rund um Cholesterin und andere Fette finden Sie hier.

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Im Alter wächst Krebs langsamer
„Hier trifft oft das Gegenteil zu, Krebs kann im Alter aggressiver und schneller wachsen“, erklärt Thomas Meier, Gastroenterologe am Diagnostik Zentrum Fleetinsel Hamburg. Der Grund: Bei vielen älteren Menschen sind die Abwehrkräfte bereits durch andere Erkrankungen geschwächt – der Körper hat den Krebszellen dadurch nicht mehr so viel entgegenzusetzen. Dabei spielt aber auch die Krebsart eine wichtige Rolle.

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Salz ist ungesund

Das stimmt nur, wenn Sie zu den sogenannten salzsensitiven Menschen zählen. Bei denen kann der häufige Genuss von stark gesalzenen Speisen zu einem Anstieg des Blutdrucks führen. Betroffen ist etwa jeder vierte Deutsche. Da die Mehrheit der Menschen also nicht salzsensitiv ist, müssen sie auch nicht auf Salz verzichten.

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Mehrere kleine Mahlzeiten sind besser

Immer wieder hört man, es sei besser fünf kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen, als die drei großen Klassiker Frühstück, Mittag- und Abendessen. Im Grunde ist es völlig egal, wann man isst. Wer mit fünf „kleinen“ Mahlzeiten am Tag abnehmen möchte, läuft jedoch schnell Gefahr, zu viele Kalorien aufzunehmen. Wer sich an feste Mahlzeiten hält, behält besser den Überblick über die Gesamtmenge der aufgenommenen Kalorien.

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Am Abend essen macht dick

Ob wir zu- oder abnehmen liegt an der Menge der Kalorien, die wir zu uns nehmen und nicht am Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme. Mehrere Studien haben widerlegt, dass Stoffwechselvorgänge am Abend ruhen und daher, wer abends mehr isst, schneller dick wird.

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Der Mensch nutzt nur einen Bruchteil seines Gehirns

Zwar keine Ernährungsweisheit, aber ein Gesundheitsmythos ist, dass der Mensch gar nicht die volle Leistung des Gehirns ausschöpfe. Einmal heißt es 10 Prozent, ein andermal 25 Prozent. Mehr unserer Hirnkapazitäten nutzen wir nicht? Doch, tatsächlich nutzt der Mensch alle Bereiche seines Gehirns. Untersuchungen haben gezeigt, dass es keine inaktiven Teile gibt. So verführerisch der Gedanke an noch ungenutzte Areale und Möglichkeiten wie Telepathie und Telekinese sein mag, sie bleiben Fantasterei.

>> Hier finden Sie weitere spannende Mythen rund um unser Gehirn.

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Welche ältere Dame rechnet damit, dass sie mit Mitte siebzig plötzlich eine krankhafte Spielsucht oder ein unbändiger Kaufzwang packt – nur, weil sie seit ein paar Wochen ein Medikament gegen Parkinson nimmt?

Woher soll eine junge, kerngesunde Patientin wissen, dass die Einnahme eines altbekannten Schmerzmittels sie zum Notfall machen kann? Und wer ahnt schon, dass massenhaft verschriebene Cholesterinsenker wie Sortis oder Zocor das Gehirn blockieren, Erinnerungen auslöschen und die Betroffenen orientierungslos herumirren lassen können? Vier Beispiele von vielen, die uns vor Augen führen, dass Medikamente wahrlich keine Lutschbonbons sind.

Doch häufig werden die Nebenwirkungen weit verbreiteter Arzneimittel selbst von denen, die sie verordnen, und von denen, die sie schlucken, nicht als solche erkannt. Kein Wunder, denn die Einnahme von Medikamenten ist vielen von uns so in Fleisch und Blut übergegangen, dass manch einer glatt vergisst, was er da regelmäßig schluckt und spritzt.

Sei es der Diabetiker, der täglich sein Insulin injiziert und dabei aus dem Blick verliert, dass dies ein Arzneimittel und potentiell tödlich ist. Sei es die junge Frau, die seit Jahr und Tag die „Pille“ nimmt. Oder aber der ambitionierte Hobbysportler, der ohne sich viel dabei zu denken, gelegentliche Schmerzen mit der ein oder anderen Tablette stillt.

Arzneimittelfirmen, Behörden und Politik, versuchen natürlich, das Thema zu meiden. Doch die Fakten sprechen für sich: Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Zahl der Komplikationen und Todesfälle, die sich auf die Einnahme von Medikamente zurückführen lassen, erheblich gestiegen.

Todesfälle durch Medikamente

Untersuchungen in den USA haben 2010 gezeigt, dass sich die Zahl der schweren Arzneimittelzwischenfälle allein zwischen 1998 und 2005 mehr als verdoppelt hat. Die Zahl der Todesfälle durch Medikamente hatte sich im selben Zeitraum sogar fast verdreifacht, stellten die Forscher um Thomas Moore vom Institute for Safe Medication Practices in Pennsylvania fest.

Zur Person
Cornelia Stolze

Die starke Zunahme der Komplikationen gehe unter anderem darauf zurück, so Moore, dass die Zahl der verschriebenen Medikamente in den USA seit 1998 um etwa die Hälfte gestiegen ist. Jedes Jahr, berichtet auch die Verbraucherschutzorganisation Public Citizen mit Sitz in Washington, kommt es dadurch unter älteren US-Bürgern zu mehr als 9,6 Millionen solcher Komplikationen.

Die starke Zunahme der Arzneimittelschäden weise auf ein massives Problem hin, so Moore. Daran zeige sich, dass das derzeitige System die Patienten nicht genug schütze.

Fast jedes dritte von rund 2000 überprüften rezeptfreien Medikamenten ist laut Stiftung Warentest wenig gegen Erkältungen geeignet. Darunter fallen bekannte Mittel gegen Erkältung, Schnupfen, Halsentzündung, Verstopfung, Durchfall oder Insektenstiche. Oft schneiden die Kombinationen verschiedener Wirkstoffe schlecht ab, etwa von Schmerzmitteln und anregenden Mitteln in Erkältungsmedikamenten. In anderen Fällen bemängeln die Tester hohen Alkoholgehalt etwa bei einem Erkältungsmittel für die Nacht oder ungeeignete Zusammenstellungen bei Tabletten gegen Halsinfektionen. Die 2000 rezeptfreien Medikamente sind Teil einer umfassenderen Datenbank von Stiftung Warentest mit Arzneimitteln.

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Bei Erkältung und Grippe hat die Apotheke so einiges an rezeptfreien Mitteln zu bieten. Doch viele halten nicht, was sie versprechen.

Aspirin Complex Granulat: Nicht sinnvolle Kombination aus einem Schmerzmittel und einem anregenden Mittel, das über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird.

Doregrippin Tabletten: Wie beim Aspirin Complex Granulat stuft die Stiftung Warentest die Kombination der Mittel als nicht sinnvoll ein.

Grippostad C Kapseln: Enthält ein müde machendes Antihistaminikum, das über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird.

WICK DayMed und MediNait (Kapseln und Getränke): Nicht sinnvolle Kombination unter anderem aus einem Schmerzmittel, einem Hustenmittel und einem anregenden Mittel.

Alternative: Die einzelnen Erkältungssymptome sollten besser getrennt behandelt werden. Gegen Schmerzen und Fieber reicht Parazetamol allein. Bei Schnupfen ist die kurzzeitige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen verträglicher.

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Schnupfen und Allergien

Rhinopront Kombi Tabletten: Wenig geeignet bei Schnupfen. Nicht sinnvolle Kombination an Mitteln.

Reactine duo Retardtabletten: Hilft kaum bei allergischem Schnupfen. Wenig sinnvolle Kombination aus einem Antihistaminikum und einem anregenden Stoff, der über die Blutbahn im ganzen Körper verteilt wird und dabei auch die Schleimhäute abschwillt. Bei Daueranwendung kann es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen.

Alternative: Tabletten, Tropfen oder Saft mit Cetirizin oder Loratadin sollen bei akuten Allergie-Beschwerden helfen. Cromoglizinsäure als Nasenspray zur Vorbeugung (früh genug mit der Behandlung beginnen, unkonservierte Präparate bevorzugen). Bei einem normalen Schnupfen ist die kurzzeitige Anwendung von abschwellenden Nasentropfen verträglicher.

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Nahrungsergänzungsmittel mit Zink und Vitamin C sollen das Immunsystem unterstützen. Natürlich braucht der Körper bestimmte Nährstoffe, damit das Abwehrsystem gegen Bazillen und Viren funktioniert. Doch Vitamin C- und Zinktabletten können Erkältungen nicht heilen oder gar verhindern. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt es keine wissenschaftlichen Beweise für den Nutzen der bunten Pillen. Die Zufuhr ist normalerweise über die Ernährung sichergestellt, Mangelzustände an Vitamin C und Zink kommen in Deutschland nur selten vor. Gute Vitamin C-Lieferanten sind zum Beispiel Orangensaft, Brokkoli, Kiwi oder rote Paprika. Zink ist zum Beispiel in Fleisch, Ei, Vollkorn- und Milchprodukten enthalten. Die empfohlene Tagesdosis wird etwa bereits durch ein Stück Rindfleisch (150 Gramm) und ein Glas Milch gedeckt.

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Doch nicht nur gegen Erkältungssymptome gibt es rezeptfreie Mittelchen, die leider nichts bewirken. Auch gegen andere Wehwehchen ist nutzloses Kraut gewachsen...

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Schürfwunden

Brand- und Wundgel Medice: Das Gel ist laut Stiftung Warentest wenig zur Wundpflege geeignet. Die therapeutische Wirksamkeit ist nicht ausreichend nachgewiesen. Zudem kann der Inhaltsstoff Benzethonium leicht Allergien auslösen.

Alternative: Leichten Verbrennungen mit unverletzter Haut unter fließendem Wasser schnell kühlen. Offene Wunden sollten aber nicht selbst behandelt werden.

Pyolysin Salbe: Auch diese Salbe für oberflächliche Wunden verfehlt ihre Wirkung.

Alternative: Povidon-Jod-Lösung eignet sich zum Desinfizieren, Dexpanthenol-Salbe zur Pflege bei oberflächlichen Schürfwunden.

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Halsschmerzen

Dobendan Strepsils Dolo bzw. Dolo-Dobendan Lutschtabletten: Die Kombination der Inhaltsstoffe ist nicht sinnvoll: Antiseptika wie Cetylpyridiniumchlorid sind gegen Viren nur lückenhaft oder gar nicht wirksam. Bakterien in tieferen Schleimhautschichten werden zudem nicht erreicht. Das schmerzstillende Benzokain kann leicht Allergien hervorrufen.

Dorithricin Lutschtabletten/ Lemocin Lutschtabletten: Auch diese Tabletten helfen nicht wirklich gegen Entzündungen im Hals. Das Antibiotikum Tyrothrizin wirkt nur oberflächlich und erreicht Bakterien in tieferen Gewebeschichten nicht. Auch hier ist das schmerzstillende Benzokain enthalten, das leicht Allergien auslösen kann.

Locabiosol 0,125 mg Spray: Die therapeutische Wirksamkeit des Antibiotikums Fusafungin bei Halsinfektionen ist nicht ausreichend nachgewiesen. Die Anwendung als Spray kann bei empfindlichen Personen zu Asthmaanfällen führen.

Alternative: Halsentzündungen werden häufig durch Viren verursacht, bei denen Antibiotika nicht wirken. Zuckerfreie Halsbonbons befeuchten die Schleimhäute und  können Schluckbeschwerden lindern. Lutschtabletten mit Ambroxol oder Lidokain wirken schmerzstillend.

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Verstopfung

Abtei Abführkapseln SN/ Doppelherz Abführ-Kapseln Rizinol 1000 mg: Das enthaltene Rizinusöl wirkt drastischer als geeignete Mittel und kann häufiger Nebenwirkungen auslösen.

Jacobus Schwedenkräuter N Pulver: Auch die Schwedenkräuter sind nicht zu empfehlen, weil die Zubereitung mit hochprozentigem Alkohol laut den Experten von "Stiftung Warentest" abzulehnen ist.

Chol-Kugeletten Mono überzogene Tabletten/ Kräuterlax Dr. Henk 15 mg Kräuter-Dragees zum Abführen: Hier wirkt Aloe drastischer und stärker irritierend auf den Darm als geeignete Mittel und kann ebenfalls öfter Nebenwirkungen auslösen.

Obstinol M Emulsion: Das zugesetzte Paraffin kann sich in Lymphknoten ablagern.

Alternative: Verträgliche Abführmittel sind Flohsamen, Laktulose oder Macrogol.

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Kreislaufbeschwerden

Korodin Tropfen: Die therapeutische Wirksamkeit ist nicht ausreichend nachgewiesen.

Alternative: Regelmäßiges Spazierengehen oder leichter Ausdauersport stabilisieren den Kreislauf nachhaltig.

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Mundschleimhautentzündung und Paradonthose

Solcoseryl akut Paste: Die therapeutische Wirksamkeit von Kälberblutkonzentrat ist nicht ausreichend nachgewiesen.

Pyralvex-Lösung: Wenig geeignet bei Mundschleimhaut- und Zahnfleischentzündung, weil die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist. Außerdem sollten enthaltene Salizylate nicht in der Mundhöhle nicht angewendet werden.

Alternative: Lidokain oder Polidocanol lindern akute Schmerzen. Chlorhexidin wirkt desinfizierend und kann bei Entzündungen die Heilung unterstützen.

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Durchfall

Tannacomp Tabletten: Wenig geeignet bei akutem Durchfall, weil die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist. Beide Inhaltsstoffe (Tanninalbuminat + Ethacridinlaktat) können leichte Allergien auslösen.

Alternative: Als Basistherapie empfehlen die Experten Elektrolytlösung, bei schmerzhaften Darmkrämpfen ab einem Alter von 12 Jahren auch kurzzeitig Loperamid.

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Läuse

Jacutin Pedicul Spray: Bei einem Spray können die Wirkstoffe versehentlich eingeatmet werden und bei empfindlichen Personen Asthmaanfälle auslösen.

Paranix Spray: Das Medikament enthält Ylang-Ylang, ein Duftstoff mit hohem Allergie-Potenzial.

Alternative: Die Experten empfehlen Lösungen zum Auftragen auf die Haare mit Permethrin oder Dimeticon.

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Narben

Contractubex Gel: Auch bei diesem Gel gegen vernarbte Stellen ist die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen.

Alternative: Wulstige Narben können operativ verkleinert werden.

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Herzbeschwerden

Cor-Vel Truw, Herzsalbe: Wenig geeignet bei Herzbeschwerden, weil die therapeutische Wirksamkeit nicht ausreichend nachgewiesen ist.

Alternative: Bei unklaren Herzbeschwerden immer ärztlichen Rat einholen.

Die Informationen darüber wie sinnvoll die Mittel sind, hat die Stiftung Warentest in einer Datenbank hinterlegt.

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Ein ähnlicher Trend zeichnet sich auch in Deutschland ab. Noch nie haben die Deutschen so viele Schmerzmittel, Psychopharmaka, Blutdrucksenker und Magensäure-Hemmer geschluckt wie heute: Allein 2012 verordneten Ärzte mehr als 38 Milliarden Tagesrationen unterschiedlichster Medikamente.

2004 waren es noch 26 Milliarden – ein Anstieg von 45 Prozent in nur acht Jahren. Insgesamt gaben die gesetzlichen Krankenkassen dafür 2012 mehr als 31 Milliarden Euro aus. 1980 waren es noch knapp 7 Milliarden. Das entspricht einer Steigerung von mehr als 440 Prozent.

Platz 10: Uterus myomatosus

Knapp zwei Drittel aller Fehler, die von den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Bundesärztekammer 2011 anerkannt wurden, ereigneten sich in Krankenhäusern. Auf Platz 10 der dort am häufigsten fehlbehandelten Krankheiten ist Uterus mymatosus. Dahinter verbergen sich Myome der Gebärmutter, die am häufigsten gutartigen Tumore bei Frauen.
21 Mal behandelten Krankenhaus-Ärzte diese Krankheit vergangenes Jahr falsch.
Woran die zahlreichen Fehler in Krankenhäusern liegen, hat die WirtschaftsWoche bereits im April analysiert.

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Platz 9: Gallenstein

23 Mal wurden in Krankenhäusern vergangenes Jahr Gallensteine, also Cholelithiasis, falsch behandelt.

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Platz 8: Oberflächliche Verletzungen

Wunden und Schrammen wurden 2011 in deutschen Krankenhäusern 26 mal falsch behandelt – womit sie auf Platz 8 landen.

Bei Fehlbehandlungen in Arztpraxen erreichen oberflächliche Verletzungen Platz 10. Niedergelassene Ärzte behandelten sie nur zehn Mal falsch.

Foto: REUTERS

Platz 7: Handfraktur

Knochenbrüche an der Hand behandelten Krankenhausärzte vergangenes Jahr 30 Mal falsch. Damit erreichen Handfrakturen Platz 7.

Bei Fehlbehandlungen durch niedergelassene Ärzte erreichen Handfrakturen Platz 8. Sie behandelten diese Knochenbrüche 12 Mal falsch.

Foto: dapd

Platz 6: Schulter- und Oberarmfraktur

Nur einmal mehr pfuschten Krankenhaus-Ärzte bei Brüchen an Schulter und Oberarm: Hier gab es 31 Fehlbehandlungen im Jahr 2011.

Bei niedergelassenen Ärzten kommen Pfuschereien in diesem Bereich gar nicht in den Top 10 vor.

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Platz 5: Unterschenkel- und Sprunggelenkfraktur

Ganze 21 Mal häufiger wurden Brüche an Unterschenkel- und Sprunggelenken falsch therapiert. Hier gab es 2011 in deutschen Krankenhäusern 52 Fehlbehandlungen.

In Praxen gab es bei Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen sogar mit 15 Fällen die zweithäufigsten Fehlbehandlungen.

Foto: dpa-tmn

Platz 4: Oberschenkelfraktur

Mit 63 Pfuschereien in Krankenhäusern landen Oberschenkelfrakturen auf Platz 4.

In niedergelassenen Praxen kommen Oberschenkelfrakturen nicht in den Top 10 der Fehlbehandlungen vor.

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Platz 3: Unterarmfraktur

Falsch therapierte Brüche des Unterarms kamen 2011 mit 65 Fällen am dritthäufigsten vor.

Bei Arztpraxen gab es 16 Fehlbehandlungen von Unterarmfrakturen – womit sie dort Platz 1 belegen.

Foto: dpa

Platz 2: Arthrose der Kniegelenke

Krankenhausärzte behandelten den schmerzhaften Verschleiß der Kniegelenke vergangenes Jahr 71 Mal falsch. Damit gab es dort die zweithäufigsten Pfuschereien.

In niedergelassenen Arztpraxen belegt falsch behandelte Kniegelenkarthrose nur Platz 9 mit elf Fällen.

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Platz 1: Arthrose der Hüftgelenke

80 Mal pfuschten Ärzte in deutschen Krankenhäusern 2011 bei der vor allem im hohen Alter eintretenden Arthrose der Hüftgelenke. Damit belegt diese Krankheit Platz 1 bei Pfuschereien in Krankhäusern.

Bei den Top 10 der fehlbehandelten Krankheiten durch niedergelassene Praxisärzte kommt die Hüftgelenksarthrose nicht vor.

Die komplette "Statistische Erhebung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für das Statistikjahr 2011" findet sich auf der Homepage der Bundesärztekammer.

Foto: Fotolia

Gleichzeitig wird das Präparate-Arsenal wird immer größer. Schon heute stehen in Deutschland 97.800 verkehrsfähige Arzneimittel zur Verfügung, darunter 47.300 verschreibungspflichtige, 19.450 apothekenpflichtige und 29.600 freiverkäufliche Produkte. Jedes Jahr kommen im Schnitt 45 neue Wirkstoffe und Hunderte neuer Varianten verschiedener Präparate hinzu.

Unerwünschte Nebenwirkungen

Parallel dazu nahmen auch die Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und Todesfälle erheblich zu, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zentral sammelt und registriert. Hatten Ärzte 1996 noch 5547 Komplikationen an das BfArM gemeldet, waren es 2012 bereits 24.421.

Demnach hat sich die Zahl der Berichte in diesem Zeitraum mehr als vervierfacht. Die Zahl der Fälle, die tödlich verliefen, stieg sogar von 451 auf 2425 zu. Das entspricht einer Steigerung um mehr als das Fünffache.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Denn Nebenwirkungen von Medikamenten werden in Deutschland nicht systematisch erfasst. Die Arzneimittelüberwachung stützt sich allein auf freiwillige, spontane Meldungen von Ärzten und Angehörigen anderer Gesundheitsberufe, wenn diese einen Hinweis auf spezifische Nebenwirkungen eines Medikaments sehen.

Spontanes Meldesystem

Ein solches Spontanmeldesystem hat zwar den Vorteil, dass es direkt nach Beginn der Vermarktung eines neuen Medikaments einsetzt und theoretisch alle mit Arzneimitteln behandelten Patienten umfasst. Doch die Erfahrung zeigt: Die überwiegende Zahl auftretender Nebenwirkungen – auch der tödlichen – wird von den betroffenen Patienten und ihren Ärzten nicht als solche erkannt und noch seltener werden sie dem BfArM berichtet. Dabei sind Mediziner laut ärztlicher Berufsordnung sogar zur Meldung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen verpflichtet.

Umfrage in Hessen: Welche Medikamente häufig fehlen
Bisoprolol 5 mg
Pantoprazol
Bisoprolol 10 mg
L-Thyrox 50 mg
L-Thyrox 100 mg
Tevanate 70 mg
Xipamid 20 mg
Jodthyrox
Metformin
Vigantoletten

Experten gehen davon aus, dass die zuständigen Stellen (neben dem BfArM zählt dazu auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, kurz AkdÄ) von gerade einmal zwei bis fünf Prozent aller Fälle erfahren. Das führt nicht nur dazu, dass viele Nebenwirkungen – insbesondere solche von Medikamenten, die relativ neu auf dem Markt sind – erst mit erheblicher Verzögerung bekannt werden.

Durch die spärlichen Berichte entsteht auch der trügerische Eindruck, Schäden durch Arzneimittel seien viel seltener, als es tatsächlich der Fall ist. Der Pharmakologe Peter Schönhöfer – langjähriger Mitherausgeber des industrieunabhängigen Informationsdienstes arznei-telegramm – hat 2001 ermittelt, dass hierzulande jährlich mit rund 210.000 Krankenhauseinlieferungen aufgrund schwerwiegender Arzneimittelnebenwirkungen zu rechnen ist.

Seiner Schätzung nach sind etwa 70.000 davon akut lebensbedrohend und müssen intensivmedizinisch behandelt werden; rund 16.000 dieser Fälle verlaufen tödlich. Demnach sterben in Deutschland jährlich mehr als viermal so viele Menschen an Arzneimittelnebenwirkungen wie im Straßenverkehr. Dort liegt die Zahl Todesopfer bei rund 3500 im Jahr. "Gegen diesen Missstand wird aber weitaus mehr getan", so Daniel Grandt, Vorstandsmitglied der AkdÄ.

Fachchinesisch im Beipackzettel

Der klassische Beipackzettel jedenfalls löst die Probleme nicht. Das darin enthaltene Fachchinesisch wirft für die meisten Menschen mehr Fragen auf, als es klärt. Und die lange Liste von Horrorszenarien bei etlichen Präparaten schreckt schon Gesunde von der Lektüre ab.

Trennung von Arbeit und Freizeit

Schlafstörungen haben sich nach Einschätzung von Medizinern zu einer Volkskrankheit entwickelt. „Wir schätzen, dass zwischen 5,7 und 6 Prozent der Bevölkerung an behandlungsbedürftigen Ein- und Durchschlafstörungen leiden“, sagte Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Es gebe wissenschaftliche Hinweise, dass heute weniger geschlafen werde als vor Jahrzehnten. Ein Grund ist die mangelnde Trennung von Arbeit und Freizeit: Abends noch schnell E-Mails für die Arbeit beantworten oder am PC noch an einem Projekt feilen – die ständige Erreichbarkeit und die technischen Möglichkeiten, auch von daheim zu arbeiten, lassen die Grenzen von Arbeit und Freizeit verschwimmen. Das hindert daran, den Kopf frei zu bekommen und entspannt, einschlummern zu können.

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Aktivierung statt Entspannung beim Internet-Surfen

PCs und Smartphones verändern unser Freizeitverhalten: Statt vorm Einschlafen ein Buch zu lesen oder Fernzusehen – und dabei passiv Informationen aufzunehmen – surfen Menschen zunehmend vorm Schlafengehen im Internet. Doch beim Online-Shopping, E-Mail-Verkehr, Facebook-Chats oder Online-Spielen  muss das Gehirn sehr viele Informationen verarbeiten. Dabei wird es eher aktiviert als auf den Schlaf vorbereitet zu werden.

Dabei kann helfen die Hintergrund-Beleuchtung der Displays zu dimmen, um sich auf die anstehende Nachtruhe einzustellen. Außerdem sollte nicht im Schlafzimmer gesurft werden, um den Raum gedanklich nicht mit Aktivität in Verbindung zu bringen. Eine Stunde vor dem Schlafengehen sollte man komplett auf PCs, Smartphones und Co. verzichten.

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Zu viel Stress

Stressige Lebensphasen wühlen den Körper auf, und machen es nachts schwieriger, einzuschlafen. Um so wichtiger ist es, für Entspannung zu sorgen.

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Die Angst vor Schlafstörungen verstärkt sie nur

Je mehr man sich Gedanken, um die Schlafstörungen macht, desto stärker fördert man sie. So wird die Angst zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Da man denkt, in der Nacht nicht einschlafen zu können, stellt sich der Körper auf diesen Zustand ein – und man bekommt tatsächlich kein Auge zu.

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Unruhiger Schlaf kann zur Gewohnheit werden

Wenn Menschen lange Zeit einen unruhigen Schlaf haben, etwa weil sie gerade ein Kind bekommen haben, wird dieser Zustand für den Körper irgendwann zur Gewohnheit. So können Menschen auch Jahre nachdem ihr Baby das letzte mal nach der Flasche geschrien hat, immer noch einen unruhigen Schlaf haben. Dagegen kann eine Verhaltenstherapie helfen.

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Es fehlt ein Einschlafritual

Menschen sollen über ihre Schlafprobleme nicht grübeln, sondern ihr Verhalten ändern. Dies kann etwa ein Einschlafritual sein. So stellt etwa die obligatorische Tasse Tee oder Milch vor dem Gang zum Bett, den Körper irgendwann darauf ein, dass nun die Schlafenszeit ansteht. Dadurch kann das Einschlafen mit der Zeit leichter fallen.

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Innere Uhr passt nicht mit den Tageszeiten zusammen

Manche Menschen können einfach nicht vor drei Uhr morgens einschlafen, weil sie Nachteulen sind. Bei ihnen stimmt die innere Uhr nicht mit dem regulären Tag-Nacht-Rhythmus zusammen. Die Schlafstörungen, die dadurch entstehen, kennen Menschen ohne dieses Problem, etwa bei einem Jetlag oder während Schichtarbeit. Der Besuch bei einem Arzt kann helfen, gegen diese Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen zu arbeiten.

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Albträume

Albträume treten immer mal wieder auf – und können Menschen aus dem Schlaf reißen. Sind sie jedoch chronisch und kehren regelmäßig wieder, können dahinter psychische Probleme stecken. In diesem Fall lohnt es sich in einer Psychotherapie diesen Träumen auf den Grund zu gehen.

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Zu viel Alkohol, Zigaretten und Kaffee

Alkohol, Koffein, Nikotin können Menschen um ihren Schlaf bringen. Wer unter Schlafstörungen leidet, sollte auf Kaffee, Zigaretten und alkoholische Getränke vor der Schlafenszeit verzichten.

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Eine falsche Unterlage

Jeder Mensch ist anders – und damit auch jeder Rücken. Falsche Matratzen und Kissen können für unangenehmen Schlaf sorgen.

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Was also liegt näher, als dass man – zumal als kranker, alter oder seelisch angeschlagener Mensch – die Verantwortung für Nebenwirkungen lieber dem Arzt überlässt? Schließlich ist er der Fachmann, der Patient in der Regel nicht. Aber was viele Menschen nicht ahnen: Selbst die meisten Mediziner können Nebenwirkungen oft nicht als solche erkennen. Denn das wird im Studium kaum gelehrt.

Viele Schadwirkungen von Medikamenten werden zudem erst Jahre nach Markteinführung bekannt. Und oft dauert es einige Zeit, bis die Hinweise in den Fachinformationen auftauchen.

Immer mehr Frauen in Deutschland sterben an den Folgen des Rauchens. An Krebserkrankungen, die mit Tabakkonsum in Verbindung gebracht werden können, starben im Jahr 2013 nach Angaben des Statistischen Bundesamts 15.370 Frauen. Im Jahr 2005 waren es mit 11.870 Frauen noch wesentlich weniger. Zu den tabakbedingten Krebserkrankungen gehören Lungen- und Bronchialkrebs und Kehlkopf- und Luftröhrenkrebs. Allein Bronchien- und Lungenkrebs sei 2013 für 15.129 Frauen tödlich gewesen. Es war die siebthäufigste Todesursache bei Frauen. Sie hatten nur die tabakbedingten Krebserkrankungen berücksichtigt. Es müsse aber davon ausgegangen werden, dass viele Herz-Kreislauferkrankungen - nach wie vor Todesursache Nummer eins - auch auf das Rauchen zurückgeführt werden könnten.

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Das Volksleiden: Rückenschmerzen gehören in Deutschland zu den häufigsten Gesundheitsbeschwerden. Forscher der Northwestern University (USA) fanden nun heraus, dass Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern ein um das Dreifache erhöhtes Risiko haben, an chronischen Rückenschmerzen zu erkranken. Studienautor Bogdan Petre erklärt: "Wir haben festgestellt, dass Rauchen die Art und Weise beeinflusst, in der das Gehirn auf Schmerzen im Rücken reagiert." Auf Hirnscans der rauchenden Patienten stellten die Forscher eine Veränderung der Areale fest, die für Sucht- und Lernverhalten zuständig sind. Die Kommunikation dieser Hirnregionen sei für die Entwicklung eines chronischen Schmerzes kritisch, stellten die Wissenschaftler fest. Chronischer Schmerz und Suchtverhalten hingen eng zusammen. Antientzündliche Medikamente konnten zwar die Schmerzen erleichtern, waren aber nicht in der Lage, die Aktivität der verantwortlichen Hirnregionen zu ändern. Nur wer während der Studie freiwillig mit dem Rauchen aufhörte, konnte sein Risiko absenken.

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Passivrauchen: Raucher gefährden auch ihre Mitmenschen, denn der blaue Dunst schadet jedem, der ihn einatmet. Jährlich sterben weltweit mehr als 600.000 Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Besonders betroffen sind Kinder. Selbst, nachdem sich der Rauch verzogen hat, sind die Schadstoffe noch stundenlang in der Luft, fanden Forscher des Berkeley Lab heraus. Sie lagern sich in Teppichen, Polstern oder Tapeten ab. Auch 18 Stunden, nachdem die letzte Zigarette geraucht wurde, fanden die Forscher noch immer eine ganze Reihe gesundheitsgefährdender Stoffe. Es reicht also nicht, nur in der Gegenwart anderer Menschen nicht zu rauchen. Auch die Luft in Räumen ist noch lange belastet.

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Rauchen ist das Gesundheitsrisiko Nummer eins: Jeder sechste der jährlich rund 850.000 Toten in Deutschland ist laut Statistik an den Folgen des Rauchens gestorben. Raucher verkürzen ihre durchschnittliche Lebenserwartung um fünf, ambitionierte Tabakkonsumenten sogar um neun Jahre. EU-weit sterben pro Jahr fast 700.000 Raucher an den Folgen ihres Konsums.

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Rauchen begünstigt viele Krebsarten: Jeder, der raucht, hat ein zweimal höheres Risiko an Krebs zu erkranken als Nichtraucher. Etwa 90 bis 95 Prozent der erwachsenen Lungenkrebspatienten sind oder waren Raucher. Das Risiko, an Mundhöhlen-Krebs zu erkranken, steigt durch regelmäßigen Tabakkonsum um den Faktor 27, bei Kehlkopfkrebs um den Faktor 12. Durchschnittlich rauchte jeder Deutsche im Jahr 2013 996 Zigaretten. Im Jahr 2000 lag der Pro-Kopf-Konsum noch bei 1699 Zigaretten pro Jahr.

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Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Schlaganfälle und Herzinfarkte verursachen die meisten Toten in Deutschland. Raucher trifft es besonders oft, Herzinfarkte vor dem 40. Lebensjahr betreffen fast ausschließlich Raucher. Ihr Risiko ist drei- bis viermal so hoch wie das von Nichtrauchern. Denn der Tabakkonsum verengt die Blutgefäße, lässt den Blutdruck steigen und schränkt die Leistungsfähigkeit des Herzens ein.

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Frauen erhöhen durch Nikotin-Konsum ihr Risiko für Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Osteoporose oder Unfruchtbarkeit. Vor der Menopause versechsfacht sich das Risiko für Raucherinnen, an einem Herzinfarkt zu sterben. Weniger als jede fünfte deutsche Frau ab 15 Jahren konsumiert regelmäßig Zigaretten und Co.

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Blauer Dunst: Der Rauch einer Zigarette enthält laut Weltgesundheitsorganisation mehr als 4000 chemische Stoffe. Mindestens 250 von ihnen gelten als schädlich, 50 können nachweislich eine Krebserkrankung begünstigen.

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Jeder vierte deutsche Mann ab 15 Jahren ist laut Mikrozensus 2009 regelmäßiger Raucher. Dabei nimmt er ein höheres Risiko der Impotenz in Kauf. Erbschäden in den Spermien rauchender Männer können direkt an die Nachkommen weitergegeben werden.

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Rauchen in der Schwangerschaft: Nikotin hemmt die Durchblutung der Plazenta, der Säugling wird schlechter mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Die Folgen sind ein oft geringeres Geburtsgewicht, eine erhöhte Gefahr des plötzlichen Kindstods sowie spätere Hyperaktivität und Lernschwierigkeiten des Kindes. Acht von zehn Kindern weltweit sind Angaben der Weltgesundheitsorganisation zufolge regelmäßig Tabakrauch ausgesetzt.

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Diagnose: Lungenkrebs. Wer raucht, erhöht sein Krankheitsrisiko. Rauchen begünstigt neben Krebs eine Reihe weiterer schwerer Krankheiten. Dazu gehören Asthma, Bronchitis, Raucherbeine durch Gefäßverschluss, Diabetes und Grauer Star sowie lebensgefährliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

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Nichtraucherschutz: Trotz vermehrter Gesetze gegen das Rauchen im öffentlichen Raum ist es laut Weltgesundheitsorganisation WHO erst in 22 der 100 bevölkerungsreichsten Städte der Welt verboten. Beim Blick auf die Raucher-Verteilung innerhalb der Bevölkerung zeigt sich: Je höher der soziale Status, desto geringer ist das Interesse am Nikotin.

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Ob Lipobay, Vioxx oder Bextra – etliche einst hochgejubelte Präparate mussten wenige Jahre nach ihrer Einführung vom Markt genommen werden, weil sich zeigte, dass sie erheblich schwerwiegendere Nebenwirkungen verursachten, als man zunächst eingeräumt hatte.

Und die nächsten Absturzkandidaten sind schon in Sicht: die beiden jüngsten Marktschlager Pradaxa und Xarelto. Beide Präparate sind Blutgerinnungs-Hemmer und haben den entscheidenden Vorteil, dass sie als Pille verfügbar sind. Alle bislang verfügbaren Produkte müssen gespritzt werden.

Aber seit einiger Zeit mehren sich die Hinweise, dass die Mittel schwere Blutungen verursachen können – und die Hersteller Boehringer und Bayer nicht ausreichend darüber informiert haben. Anfang 2014 wurde Boehringer in den USA von mehreren Tausend Betroffenen verklagt. Im Mai 2014 legte der Konzern den Streit mit einem Vergleich bei – und zahlte den rund 4000 Geschädigten insgesamt 470 Millionen Euro.

Probleme bereitet zudem der immer bunter werdende Cocktail von Medikamenten, den ein wachsender Teil der Bevölkerung heute schluckt. Bislang ist kaum untersucht, was die Kombination von oftmals hochpotenten Stoffen im Körper bewirkt und ab wann sie für den Konsumenten tödlich wird.

Fest steht nur: Je älter der Patient, desto höher ist das Risiko, dass er zum Opfer von Nebenwirkungen und Fehldiagnosen wird. Denn das Alter bringt häufig unterschiedlichste gesundheitliche Probleme mit sich, wie Schmerzen, Arteriosklerose oder Diabetes, weshalb viele Senioren fünf und mehr Medikamente gleichzeitig einnehmen. Im Extremfall ist es sogar mehr als ein Dutzend Präparate pro Patient.

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"Dieser Mix ist für die Patienten mitunter extrem schädlich", so Hendrik von den Bussche, Professor für Allgemeinmedizin am Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf. Denn je mehr Substanzen ein Patient einnimmt, desto höher ist das Risiko von Neben- und Wechselwirkungen.

Zumal bei einem älteren Menschen. Im Alter reagiert der Organismus auf viele Medikamente nämlich anders als in jungen Jahren. Der Körper baut Arzneimittel meist langsamer ab, und sie bleiben unter Umständen doppelt so lange im Organismus. Sie wirken damit oft stärker – wodurch das Risiko für Nebenwirkungen weiter steigt.

Paradoxerweise rufen viele Medikamente bei älteren Menschen zudem häufig Nebenwirkungen hervor, die als charakteristische Merkmale einer Demenz gelten, darunter Unruhe, Wahnvorstellungen, Angst, Apathie, Reizbarkeit, Übererregung und Schlafrhythmusstörungen.

Kollektives Schweigegelübde

Hinzu kommt ein Phänomen, das hierzulande eine Art kollektives Schweigegelübde umgibt: ältere Menschen, die über Jahre oder gar Jahrzehnte tablettenabhängig sind. Meist handelt es sich dabei um Schlaf- und Beruhigungsmittel wie Librium, Valium, Sonata, Zolpidem oder Tavor.

In Deutschland gebe es "wahrscheinlich mehr Tablettenabhängige als Demente", schätzt Siegfried Weyerer, der an der Universität Mannheim über die Häufigkeit psychischer Krankheiten forscht. Auch wenn es schwierig einzuschätzen sei, wo diese Suchtform beginne, seien wohl mindestens eine Million Deutsche im Rentenalter tablettenabhängig, so der Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske von der Universität Bremen, der sich seit Jahren mit dem Thema "Sucht im Alter" befasst.

Zusammen mit den gar nicht so wenigen alkoholabhängigen Senioren habe die Altersklasse über 65 Jahre damit wohl die höchste Suchtquote. Anders ausgedrückt : In keiner Altersgruppe gibt es so viele "Drogenabhängige" wie bei den Ruheständlern. Und bald werden es noch mehr sein.

Montagsblues

Besonders montags fällt es uns schwer, etwas positives am Arbeiten zu finden. Laut einer amerikanischen Studie dauert es im Durchschnitt zwei Stunden und 16 Minuten, bis wir wieder im Arbeitsalltag angekommen sind. Bei Menschen ab dem 45. Lebensjahr dauert es sogar noch zwölf Minuten länger. Doch es gibt nicht nur den Montagsblues: Manche Berufsgruppen laufen besonders stark Gefahr, an einer echten Depression zu erkranken. Allein in Deutschland haben nach Expertenschätzungen rund vier Millionen Menschen eine Depression, die behandelt werden müsste. Doch nur 20 bis 25 Prozent der Betroffenen erhielten eine ausreichende Therapie, sagte Detlef Dietrich, Koordinator des Europäischen Depressionstages.

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Journalisten und Autoren

Die Studie der medizinischen Universität von Cincinnati beinhaltet Daten von etwa 215.000 erwerbstätigen Erwachsenen im US-Bundesstaat Pennsylvania. Die Forscher um den Psychiater Lawson Wulsin interessierte vor allem, in welchen Jobs Depressionen überdurchschnittlich oft auftreten und welche Arbeitskriterien dafür verantwortlich sind. Den Anfang der Top-10-Depressions-Jobs macht die Branche der Journalisten, Autoren und Verleger. Laut der Studie sollen hier etwa 12,4 Prozent der Berufstätigen mit Depressionen zu kämpfen haben.

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Händler

Der Begriff „Depression“ ist in der Studie klar definiert. Als depressiv zählt, wer mindestens zwei Mal während des Untersuchungszeitraums (2001 bis 2005) krankheitsspezifische, medizinische Hilferufe aufgrund von „größeren depressiven Störungen“ gebraucht hat. Händler aller Art, sowohl für Waren- als auch für Wertpapiere, gelten demnach ebenfalls als überdurchschnittlich depressiv. Platz neun: 12,6 Prozent.

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Parteien, Vereine & Co.

Neben den Hilferufen nach medizinischer Fürsorge flossen noch andere Daten in die Studie ein. Die Forscher beachteten außerdem Informationen wie Alter, Geschlecht, persönliche Gesundheitsvorsorge-Kosten oder körperliche Anstrengung bei der Arbeit. Angestellte in „Membership Organisations“, also beispielsweise politischen Parteien, Gewerkschaften oder Vereinen, belegen mit über 13 Prozent den achten Platz im Stress-Ranking.

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Umweltschutz

Der Kampf für die Umwelt und gegen Lärm, Verschmutzung und Urbanisierung ist oft nicht nur frustrierend, sondern auch stressig. Knapp 13,2 Prozent der beschäftigten Erwachsenen in dem Sektor gelten laut den Kriterien der Forscher als depressiv. In den USA betrifft das vor allem Beamte, denn die Hauptakteure im Umweltschutz sind staatliche Organisationen und Kommissionen.

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Juristen

Als mindestens genauso gefährdet gelten Juristen. Von insgesamt 55 untersuchten Gewerben belegten Anwälte und Rechtsberater den sechsten Platz im Top-Stress-Ranking: Rund 13,3 Prozent der Juristen in Pennsylvania gelten für die Forscher der medizinischen Universität Cincinnati depressiv.

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Personaldienstleister

Auf Rang fünf liegen Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich. Deren „Ressource“ ist der Mensch – und der ist anfällig: Denn der „Personal Service“ in Pennsylvania hat nach Lawson Wulsin und Co. eine Depressionsrate von knapp über 14 Prozent. Und nicht nur Kopf und Psyche sind von der Krankheit betroffen, sondern offenbar auch der Körper: Schon seit Jahren forscht Wulsin auf diesem Gebiet und geht von einer engen Verbindung von Depression und Herzkrankheiten aus. Gefährdeter als Menschen aus dem Dienstleistungsbereich sind nur vier andere Jobgruppen.

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Produktion und verarbeitende Industrie

Eine Ausnahme im Top-10-Ranking stellen Teile der verarbeitenden und produzierenden Industrie dar. Denn aus den Ergebnissen der Forscher ergibt sich eigentlich ein klarer Trend: Berufe, die sich auf die Interaktionen von Menschen konzentrieren, sind stressiger als andere. Im Klartext: Kunden, Patienten und Mitmenschen sind der Stressfaktor Nummer Eins. Dass Depressionen aber auch in anderen Berufsgruppen um sich greifen, beweist die verarbeitende und produzierende Industrie – mit deutlich mehr als 14 Prozent.

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Soziale Arbeit

Ohne den Kontakt von Mensch zu Mensch wäre die Arbeit im „Social Service“ nicht möglich. Sozialarbeiter, Sonderpädagogen, Streetworker und viele andere kümmern sich um benachteiligte und hilfsbedürftige Gruppen der Gesellschaft. Ein Job, der sich selten nach geregelten Arbeitszeiten richtet oder eine entspannte Atmosphäre verspricht. Dabei nehmen die Beschäftigten auch eigene Gefahren in Kauf: Die amerikanische Studie schätzt die Depressionsgefahr bei ihnen auf etwa 14,2 Prozent. Das ist fast jeder siebte Angestellte.

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Immobilienmakler

Mieten, kaufen, wohnen. Für den Forscher und Psychiater Lawson Wulsin liegen die Gefahrengründe für Immobilienmakler auf der Hand: „Real Estate Broker“ bewegen zwar Grundstücke, Häuser und große Summen – aber viel zu selten sich selber. Und das ist Teil des Problems, denn die Forscher erkennen einen Zusammenhang von körperlicher Arbeit und der Depressionsstatistik: Berufstätige, die sich physisch stark anstrengen, wie Minenarbeiter oder Bauarbeiter, sind deutlich weniger depressionsgefährdet als andere. Als Immobilienmakler zum Beispiel, bei denen laut Studie rund 15 Prozent als depressiv gelten.

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Nah- und Fernverkehr

Entnervte Kunden, wenig Bewegung, 16,2 Prozent: Angestellte im Nah- und Fernverkehr brauchen besonders starke Nerven, denn der Kontakt mit entnervten Fahrgästen katapultiert die Reisebegleiter auf Platz Eins des Stress-Rankings. Damit liegt ihre Depressionsgefahr 5,8 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der von untersuchten Gewerben (10,4 Prozent). Im Gegensatz zu den am wenigsten stressigen Berufen wird der Unterschied sogar noch deutlicher: Beschäftige in der Öl- und Kohleförderung, auf dem Bau oder auch in der Unterhaltungsindustrie sind nicht einmal halb so gefährdet wie Reisebegleiter.

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Lehrer

Lehrer-Sein gilt für viele als Traumberuf. Ferien, freie Nachmittage und Beamtenstatus - wer wird sich da noch beschweren? Die Vorurteile über diese Berufsgruppe häufen sich. Dabei belegen Studien, dass Lehrer-Sein nicht so einfach ist, wie es für viele scheint. Zwischen 2010 und 2014 stieg die Zahl der Krankmeldungen durch Burnout um das Neunfache. Auffällig oft sind die Betroffenen Lehrer.

Dass Lehrer trotz vermeintlichem Traumjob so oft an ihre Belastungsgrenzen stoßen, liegt auch an den überdurchschnittlich hohen Arbeitszeiten von über 50 Stunden pro Woche. Nur ein kleiner Teil der Arbeit findet in der Schule statt, zuhause müssen eine Menge Vorbereitungen getroffen werden.

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Manager und Führungskräfte

Schlafstörungen, wenig Energie, Appetitlosigkeit und Desinteresse sowie Konzentrationsprobleme: Vier Prozent der deutschen Manager zeigten Merkmale einer ausgeprägten depressiven Störung, weitere 13 Prozent haben leichte Depressionen. In der Allgemeinbevölkerung liegen die Anteile mit zwei und drei Prozent deutlich darunter. Das ist das Ergebnis der Befragung „Psychische Gesundheit von Manager/innen“ von Andreas Zimber und Stephan Hentrich von der SRH Hochschule Heidelberg, der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und der United Leaders‘ Association (ULA). Sie haben 282 Führungskräfte online zu depressiven Symptomen und deren Belastungen im Job befragt. Die Forscher fanden außerdem heraus: Je mehr sich jemand beruflich verausgabt, desto größer die Niedergeschlagenheit.

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Assistenzärzte

Fertig mit dem Medizinstudium müssen sich junge Ärzte erst einmal spezialisieren: Während ihrer mehrjährigen Ausbildung als Assistenzarzt in einer Klinik oder einer Praxis geht die Ausbildung eigentlich erst los. Das heißt: viel Arbeit, wenig Schlaf und die unterste Hierarchiestufe. Das schlägt sich auf die Seele nieder, wie Forscher von der Harvard University herausgefunden haben. Extrem lange Arbeitszeiten, hohe Verantwortung und geringe Anerkennung sorgen bei 28,8 Prozent der Jungärzte für Depressionen, heißt es in dem im "Journal of the American medical association" veröffentlichten Artikel. In den letzten Jahren sei die Rate noch gestiegen.

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"Innerhalb der nächsten 25 bis 30 Jahre dürfte sich Zahl der suchtkranken Senioren verdoppeln", vermutet der Mediziner Dirk Wolter, der ein Buch über Sucht im Alter geschrieben hat, denn 2030 wird knapp ein Drittel der 80 Millionen Deutschen über 60 Jahre alt sein.

Arzneimittelherstellern und Apothekern bescheren derlei „treue“ Kunden ein blühendes Geschäft. Nach Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen lag der Apothekenumsatz mit klassischen Benzodiazepinen zum Beispiel 2008 bei 250 Millionen Euro.

Hinzu kamen im selben Jahr weitere etwa 350 Millionen Euro für Benzodiazepin-Abkömmlinge und andere Schlaf- und Beruhigungsmittel mit Suchtpotenzial. Doch trotz der wachsenden Brisanz des Problems und trotz der hohen Zahl von Opfern durch "unerwünschte Arzneimittelwirkungen" wird – auch im Vergleich zu anderen maßgeblichen Todesursachen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs – kaum zu diesem Thema geforscht.

Denn der politische Druck dafür fehlt. Stattdessen sorgt eine mächtige Lobby dafür, immer mehr Arzneimittel auf den Markt und an den Mann oder die Frau zu bringen: Da sind zum einen jene international agierenden Pharmafirmen, die kontinuierlich für Nachschub an neuen, patentgeschützten Produkten sorgen müssen.

Patente sichern Monopole

Patente sichern den Unternehmen Monopole und damit satte Gewinne auf dem Weltmarkt. Hinzu kommen aufstrebende und/oder einflussreiche Mediziner an Instituten und Universitäten, die ihre Karriere und ihren Ruhm auf die Entwicklung und das Anpreisen "innovativer Therapien" gegen weitverbreitete Leiden gründen – und dabei eng mit der Industrie kooperieren.

Und nicht zuletzt gibt es eine massiv gestiegene Zahl von niedergelassenen Ärzten und Apotheken, die umso besser leben, je mehr Rezepte ausgestellt werden. Zum Vergleich: 1960 kamen die Deutschen noch mit 166 Ärzten pro 10.000 Einwohnern aus, heute ernährt unser Gesundheitssystem mehr als doppelt so viele Mediziner, nämlich 435 pro 100.000 Einwohner. Im selben Zeitraum wurde auch das Apothekennetz immer dichter. 1960 waren es 16,4 pro 100.000 Einwohner, heute sind es 25,2.

Eine auch nur ansatzweise vergleichbare Lobby für die Rechte und Interessen der viel größeren Gruppe von Patienten und Verbrauchern, die sich bewusst sind, dass ja auch sie irgendwann krank werden können, gibt es dagegen nicht. Betroffene, Angehörige, Verbraucherschützer und unabhängige Experten haben weder so viel wirtschaftliche Macht noch sind sie so gut vernetzt und organisiert wie die Zünfte der Arzneimittelhersteller, Pharmazeuten und Mediziner.

Selbst jene, denen laut Definition "die Erhaltung und Förderung der öffentlichen Gesundheit" obliegt – die nationale Arzneimittelbehörde BfArM und die europäische Arzneimittel-Agentur EMA (ehemals EMEA) – handeln nur bedingt im Sinne der Verbraucher.

"Wie die meisten nationalen Arzneimittelbehörden schützt auch die EMEA weiterhin – den Buchstaben des Gesetzes folgend – eher das kommerzielle Eigentum von Arzneimittelherstellern als die Gesundheit von Patienten", stellte eine internationale Gruppe von industrieunabhängigen Medikamentenexperten 2005 in der Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz fest.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Jeder Einzelne kann selbst etwas dafür tun, um sich vor unerwünschten Wirkungen von Medikamenten und den daraus folgenden Fehldiagnosen und falschen Therapien zu schützen. Dazu braucht man weder ein Studium der Medizin noch der Pharmazie. Es genügt zu wissen, dass selbst millionenfach verschriebene Medikamente manch böse Überraschung bergen – und wie das im Einzelfall aussehen kann.

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