Mondmission Artemis Spötter nennen sie nur die Frankensteinrakete

Aufbruch zum Mond: Die Nasa-Rakete Space Launch System mit dem Orion-Raumschiff an der Spitze auf dem Startplatz 39B am Kennedy-Space-Center. Quelle: VIA REUTERS

Die US-Raumfahrtagentur Nasa will an diesem Wochenende einen weiteren Versuch unternehmen, ihre neue Mondrakete ins All zu starten. Kritiker halten die Rakete schon lange für viel zu teuer und veraltet – ein Managementdesaster.

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Rund 40 Minuten vor dem Start stoppt am Montag am Kennedy Space Center der Countdown. Eine Stunde lang gehen die Nasa- Ingenieure einem Fehler der Mondrakete nach, die auf dem Launchpad 39B bereit steht, dann fällt die Entscheidung: Die lang ersehnte Flug der Weltraumorganisation Nasa zum Mond – für diesen Tag ist er abgesagt.

Eine Vorsichtsmaßnahme, wie sie in der Raumfahrt häufiger vorkommt. Und doch wirft der verschobene Start kein gutes Licht auf das größte Weltraum-Prestigeprojekt der USA seit den Apollo-Missionen zum Mond. Es habe Probleme damit gegeben, einen der Motoren auf die nötige Temperatur für den Start zu bringen, teilte die Nasa mit.

Und so verzögerte sie sich wieder einmal, die Mission Artemis 1, bei der ein Raumschiff in die Umlaufbahn des Mondes und zurück fliegen soll. Nun soll es dieses Wochenende aber soweit sein. Die Nasa will am Samstagmorgen (Ortszeit) einen weiteren Versuch unternehmen, ihre neue Mondrakete ins All zu starten. Es soll ein Testflug werden, noch wird keine Crew an Bord sein. Doch für die Nasa ist es der wichtige Auftakt für das gesamte Artemis-Mondprogramm.

Das Ziel: Im Jahr 2025 sollen eine Astronautin und ein Astronaut auf dem Mond landen und sechseinhalb Tage dort bleiben. In den Jahren danach sollen regelmäßig Crews zur Mondoberfläche reisen und dort Forschung betreiben. 

Nach dem Apollo-Programm der Sechziger- und Siebzigerjahre hat keine Nation mehr so ein kühnes, so ein aufwändiges Raumfahrtprogramm auf die Beine gestellt. Seit 1972, als die Crew von Apollo-17 wieder auf der Erde landete, hat sich kein Mensch mehr weiter als ein paar hundert Kilometer von der Erdoberfläche weg bewegt. Artemis könnte der Aufbruch in eine Ära sein, in der der Mensch wieder tiefer ins All vordringt und dauerhaft andere Himmelskörper besiedelt.

Spötter nennen sie Frankensteinrakete

Doch dass der Start heute verschoben wurde, hilft nicht gerade, Kritiker des Artemis-Programms zu besänftigen. Nicht wenige Raumfahrtexperten halten die SLS-Rakete schon für hoffnungslos überaltet. 

Sie nutzt aufgemotzte Motoren, Booster und andere Teile, die aus dem Space-Shuttle-Programm übrig geblieben sind und vor Jahrzehnten entwickelt wurden. Spötter nennen sie darum auch die „Frankensteinrakete“. Und während Hersteller wie SpaceX ihre Raketen schon seit Jahren zurück auf der Erde landen lassen und wiederverwenden, ist die SLS-Rakete ein Wegwerfprodukt.

Vor allem aber ist sie sündhaft teuer: Ihre Entwicklung, begonnen im Jahr 2011, hat inflationsbereinigt 23 Milliarden Dollar gekostet. Und für jeden einzelnen Start, für den jeweils eine Rakete gebaut werden muss, muss die Nasa 4,1 Milliarden Dollar ausgeben: 2,2 Milliarden für die Rakete, 570 Millionen für die Systeme am Boden, eine Milliarde für das Raumschiff Orion und 300 Millionen für dessen Servicemodul, das unter anderem den Sauerstoff an Bord bereitstellt.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Artemis-Mission

Ein gutes Geschäft für die Hersteller, unter anderem Boeing und Northrop Grumman. Ein schlechtes Geschäft für die amerikanischen Steuerzahler. Die Kosten für das Programm seien unhaltbar, urteilte Anfang des Jahres Nasa-Generalinspekteur Paul Martin. Immer wieder habe es Verzögerungen bei der Entwicklung gegeben, vor allem beim Bau der Hauptstufe, verursacht größtenteils dadurch, dass Boeing eine „schlechte Leistung“ abgeliefert habe. 

Geplant war der erste Start ursprünglich für Ende 2016. Nun hat die Entwicklung zwölf Jahre gedauert – doppelt so lang wie der Bau der Saturn-V für das Apollo-Programm in den Sechzigerjahren. Insgesamt werde das Artemis-Programm bis 2025 rund 93 Milliarden Dollar kosten, so Martin.

Die Rakete, die Senatoren glücklich macht

Möglich wurde die Kostenexplosion auch durch die Art der Auftragsvergabe: Die Nasa behielt die Kontrolle über die Entwicklung der Rakete und bezahlte die beteiligten Unternehmen für jeden Handgriff – auch wenn die Kosten durch ständige Verzögerungen immer weiter stiegen. 

Rückhalt erhielt das Programm aus dem US-Kongress, etwa dem Senator des US-Bundesstaats Alabama, in dem große Teil der Raketenproduktion angesiedelt sind. Tausende Jobs hängen am Bau der Mondrakete, auch deshalb will die Mehrheit der Entscheider sie nicht aufgeben. Für Beobachter der Raumfahrtszene steht SLS darum auch für „Senate Launch System“.

Dass es besser geht, zeigen viele andere jüngere Projekte der Raumfahrtagentur, bei denen sie ein Ziel vorgibt, einen festen Preis vereinbart – und den Dienstleistern dann mehr Freiraum bei der Umsetzung gibt. So fliegen Nasa-Astronauten inzwischen zum Fixpreis mit den kommerziellen Raumschiffen von SpaceX ins All.

Immerhin: Sollte der Start gelingen, wäre das Space Launch System die mächtigste aktive Rakete der Welt. 95 Tonnen Nutzlast soll sie in den niedrigen Erdorbit hieven können, in einer späteren Ausbaustufe 105 Tonnen – der aktuelle Spitzenreiter, die Falcon Heavy von SpaceX, wuchtet 64 Tonnen in mehrere hundert Kilometer Höhe. Deren Start kostet allerdings nur zwischen 100 und 150 Millionen Dollar.

Revoluzzer in Südtexas

Aber die Konkurrenz steht schon in den Startlöchern: Im Süden Texas, am Raumfahrtbahnhof Boca Chica, testet Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX sein Starship. Das Vehikel, bestehend aus einer Raketenstufe und einem darüber angebrachten Raumschiff, soll mehr als 100 Tonnen Nutzlast ins All befördern – oder eines Tages Dutzende Passagiere. Im Erdorbit soll es bei Bedarf Sprit nachtanken können, den andere Starships wie Tanklaster von der Erde liefern. 

Und es soll vollständig wiederverwendbar sein – Rakete und Raumschiff sollen aus dem All wieder zur Erde zurückkehren können. Dadurch werde ein Start weniger als zehn Millionen Dollar kosten, kündigte Musk an. Alle paar Tage könnte ein Starship ins All starten – das Space Launch System soll nur alle zwei Jahre einmal fliegen.

Musk ist für seine großspurigen Ankündigungen bekannt. Aber seine Falcon-9-Rakete ist die erfolgreichste der Welt, sein Raumschiff Dragon bringt regelmäßig Nasa-Astronauten zur Internationalen Raumstation. Und immerhin ist das Starship bei Tests schon mehrfach zehn Kilometer hoch geflogen und wieder gelandet. Noch dieses Jahr wolle SpaceX den ersten Orbitalflug hinbekommen, kündigte Musk kürzlich auf Twitter an.

Sogar die Nasa ist offenbar von dem Konzept überzeugt – und will das Starship im Artemis-Programm als Mondlandefähre nutzen. Im vergangenen Jahr vergab die Behörde SpaceX dazu einen Auftrag im Wert von 2,89 Milliarden Dollar – für die Entwicklung der Fähre und einen ersten Demonstrationsflug. Weniger also, als allein ein Start des SLS kostet. Die Nasa-Astronauten sollen im Mondorbit vom Orion-Raumschiff in die SpaceX-Fähre umsteigen und damit auf der Mondoberfläche landen.

Neue Dimensionen für die Raumfahrt

Sollte SpaceX doch noch größere Probleme mit dem Starship bekommen, würde das zu einem Problem für die gesamte Artemis-Mission – eine zweite Mondlandefähre ist nicht in Arbeit. Sollte SpaceX der Flug seines Riesenraumschiffs aber gelingen und sollten die Kosten tatsächlich ähnlich gering sein wie erhofft, wäre das ein Paradigmenwechsel für die gesamte Raumfahrt.

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Es ließen sich plötzlich Frachten in Größen und Mengen ins All und auch zum Mond befördern, die bisher undenkbar waren. Nachfolger des James-Webb-Teleskops etwa müssten in dem neun Meter breiten Raumschiff nicht mehr so kompliziert zusammengefaltet werden – und ihr Start wäre erheblich preiswerter.

Und dann würde sich auch die Frage aufdrängen, ob die Nasa das Space Launch System noch braucht.

Weiter ins All als jedes Raumschiff zuvor

Im Vergleich zu einem Flug zur Internationalen Raumstation soll die Mission Artemis 1 eine komplizierte Reise werden: Orion soll weiter ins All hinaus fliegen, als ein für Menschen gebautes Raumschiff je gekommen ist. Nachdem das SLS das Raumschiff in eine Erdumlaufbahn befördert hat, wird eine weitere Zündstufe ihm den Schub verleihen, den es braucht, um die Erdanziehung zu überwinden und gen Mond zu fliegen.

Auf der Reise übernimmt dann das Europäische Servicemodul den Antrieb – eine Versorgungseinheit, die in Bremen von Airbus im Auftrag der Europäischen Weltraumorganisation Esa gefertigt wurde. Mit vier Solarsegeln erzeugt das Modul Strom für das Raumschiff, in Tanks lagert es Treibstoff sowie Sauerstoff und Wasser für die spätere Crew.

Nach mehreren Tagen soll Orion den Mond erreichen und sich ihm bis auf 100 Kilometer über der Oberfläche nähern. Dann nutzt das Raumschiff die Anziehung des Himmelskörpers, um seine Bahn zu ändern und in eine spezielle Umlaufbahn einzuschwenken, bei der das Raumschiff sich bis zu 70.000 Kilometer vom Mond entfernt. Sechs Tage lang wird Orion so um den Mond kreisen und wertvolle Daten für den nächsten Flug sammeln. Auf den Sitzen der Astronauten fliegen dazu Helga und Zohar mit, zwei Puppen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Sie erfassen mit Sensoren die Strahlenbelastung während des Flugs.

Nach Wassereis am Südpol buddeln

Für den Rückflug vollführt das Raumschiff wieder ein Manöver, das es nah an den Mond heranführt. Im entscheidenden Moment muss das Servicemodul dann Schub geben, damit Orion den richtigen Kurs zur Erde einschlägt. Dort wird es mit elf Kilometern pro Sekunde auf die Erdatmosphäre treffen, sein Hitzeschild wird sich auf bis zu 2760 Grad Celsius erhitzen. Nach gut 42 Tagen und mehr als zwei Millionen geflogenen Kilometern soll das Raumschiff dann per Fallschirm im Meer landen.

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Beim zweiten Flug im Jahr 2024 sollen schon vier Astronauten an Bord sein. 2025 dann sollen erstmals wieder zwei Astronauten auf dem Mond landen. Geplant ist, anders als bei den Apollo-Missionen, eine Landung am Südpol des Mondes. Dort sollen die Astronauten unter anderem nach Wassereis suchen - aus dem sich in Zukunft unter anderem Treibstoff herstellen ließe.

Weitere Missionen sind in den folgenden Jahren geplant. Diesmal, hoffen Nasa-Forscher, soll der Mensch länger auf dem Mond bleiben, eine ganze Station ließe sich dort bauen. Ob es so weit kommt, steht noch in den Sternen. Erst einmal müssen die Nasa-Ingenieure herausfinden, was bei dem Motor des Space Launch Systems nicht in Ordnung ist. Anfang September könnte es den nächsten Startversuch geben. 

Lesen Sie auch: Die Rückkehr zum Mond und wie deutsche Ingenieure am Mondraumschiff Orion mitarbeiten 

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