Raumfahrt Kleine Satelliten sollen ganz groß rauskommen

Schnelles, zuverlässiges Internet aus dem All: Ist das die Lösung für den Internetausbau? Quelle: Zentrum für Telematik, Würzburg

Schnelles und sicheres Internet aus dem All wird immer wichtiger. Dazu braucht es kleine Satelliten – die entstehen bislang vor allem in den USA. Nun bereiten deutsche Forscher und Unternehmer die Massenfertigung vor.

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Zehn Zentimeter breit, 30 Zentimeter lang: Das Gerät, das ein Konsortium rund um das Würzburger Start-up S4 derzeit entwickelt, ist nicht viel größer als ein Schuhkarton. Und doch soll Lolasat, so sein Name, Deutschland im All entscheidend voranbringen. Anfang 2024 soll eine Rakete den Testsatelliten ins All befördern. Dort soll er wie ein fliegender Funkmast eine Internetverbindung mit einer Bodenstation aufbauen. Weil Lolasat in einem besonders niedrigen Orbit kreist, sollen die Signale superschnell unterwegs sein, ähnlich wie beim 5G-Handynetz. 

Klappt der Versuch, dann könnte eine Satellitenkonstellation aus deutscher Hand künftig mit Internet via Weltall überall auf der Welt autonome Autos oder Virtual-Reality-Brillen blitzschnell vernetzen. Ein ganzer Schwarm von Lolasats wäre dafür nötig: „Um einen kontinuierlichen Service anzubieten, bräuchten wir eine Flotte von mehreren hundert Satelliten“, sagt Klaus Schilling, Mitgründer von S4 und Leiter des Zentrums für Telematik in Würzburg, das neue Satellitentechnik entwickelt. Das Problem: Bisher kann niemand in Europa so große Stückzahlen in kurzer Zeit produzieren. „Satelliten und Sonden für die Raumfahrt werden größtenteils noch in Handarbeit hergestellt“, sagt Schilling. „Europaweit entstehen so etwa 50 Satelliten pro Jahr – es bräuchte Jahrzehnte, um eine große Satellitenflotte ins All zu bekommen.“ Und damit hinkt der alte Kontinent vor allem den USA hinterher.

Autos werden via Weltall vernetzt

Das will der Raumfahrtforscher nun ändern. In einem Forschungsprojekt, das er am Zentrum für Telematik vor kurzem gestartet hat, bereitet Schilling mit einem Team von Ingenieuren die Massenfertigung von Kleinsatelliten made in Germany vor. In einer Fabrikhalle in Würzburg soll das schon im Jahr 2023 wie am Fließband laufen: Dann sollen Roboter an den komplizierten Raumfahrtgeräten schrauben, möglichst viel Arbeit soll automatisiert werden.

Das Fertigungs-Knowhow könnte schon bald viel wert sein. Denn Kleinsatelliten  „sind die nächste Front für Industrieunternehmen“, heißt es in einem neuen Report der Boston Consulting Group (BCG), der der WirtschaftsWoche vorliegt. Wenige Kilogramm schwer, oft nicht größer als ein Schreibtischdrucker, lassen sie sich aus Standardteilen preiswert und schnell zusammenbauen. Die Berater erwarten einen Boom: „In der nächsten Dekade wird die Zahl an satellitenbasierten Anwendungen dramatisch steigen“, so die Autoren. Lkw würden via Weltall vernetzt, um Logistikflüsse besser zu steuern; Autobauer wie Porsche wollten autonome Fahrfunktionen mit Hilfe von Funk aus dem All ermöglichen; Erntemaschinen und Traktoren könnten damit künftig überall metergenau bedarfsgerecht düngen und so die Ernte steigern.

Konnten alle Kommunikationssatelliten im All im Jahr 2019 noch 2,4 Terabit pro Sekunde senden, sollen es im Jahr 2023 laut BCG schon 16,1 Terabit sein. Möglich macht das den Beratern zufolge ein massives Wachstum bei den Satellitenstarts: 2019 wurden noch 470 Satelliten ins All befördert, 2022 waren es schon 1087. Dieses Jahrzehnt sollen im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt jährlich im Schnitt fünf mal mehr Satelliten den Dienst aufnehmen.

Im Notfall funken iPhones in die Umlaufbahn

Bisher sind es allerdings vor allem Anbieter aus den USA, die die Infrastruktur im All ausbauen - allen voran das Raumfahrtunternehmen SpaceX, das seine Starlink-Satellitenflotte auf mehr als 3000 Stück ausgebaut hat. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine dieses Jahr hat sich gezeigt, wie wichtig ein solches globales Kommunikationsnetz werden kann: Tausende Empfangsantennen helfen der Armee der Ukraine, ihre Verteidigung zu koordinieren. Gleichzeitig helfen Abertausende Bilder von Erdbeobachtungssatelliten, aktuelle Lagebilder zu erstellen.

Aber auch im zivilen Bereich kommen immer mehr Anwendungen hinzu - etwa um Lücken im Mobilfunknetz zu schließen. So kommuniziert Apples neueste Generation des iPhones mit einer Flotte von 15 Satelliten, so dass Nutzer etwa auch bei einer Bergwanderung jenseits des Mobilfunknetzes Notfallnachrichten absenden können. Die Europäische Union hat die strategische Bedeutung dieser Infrastruktur erkannt - und plant für sechs Milliarden Euro ein europäisches Satellitennetz für besonders sicheren Datenverkehr. Die deutsche Bundesregierung wiederum hat zehn Millionen Euro Fördergeld verteilt, um die Serienfertigung von Kleinsatelliten anzustoßen. „Besonders kleine und mittelständische Unternehmen sowie Start-ups sollen in die Lage versetzt werden, international wettbewerbsfähige Klein- und Kleinstsatelliten herzustellen“, heißt es auf Anfrage beim Bundeswirtschaftsministerium.



Roboter kleben Solarsegel

Ein Teil der Fördergelder hilft den Würzburger Wissenschaftlern um Schilling nun beim Aufbau der Forschungsfabrik. Dort soll es demnächst ähnlich zugehen wie in modernen Maschinenbau- oder Autofabriken. Die Bauzeit für einen Satelliten, heute oft ein Jahr und länger, soll durch die Automatisierung auf Wochen oder Monate sinken. Dazu baut Schillings Team die gesamte Fabrikhalle neu auf. „Wir schalten einzelne Fertigungsinseln zu einem funktionierenden Ganzen zusammen“, sagt der Experte.

So haben die Würzburger Ingenieure inzwischen Robotern beigebracht, Solarzellen an Satelliten zu montieren – und das ausgesprochen zuverlässig: „Die Ausschussquote bei der Verarbeitung der fragilen Zellen ist geringer als bei menschlichen Monteuren“, sagt Schilling, „und das 24 Stunden am Tag.“ Roboter sollen auch die aufwändigen Tests beschleunigen, mit denen geprüft wird, ob Satelliten den ruckeligen Raketenstart und die Temperaturen im All überstehen. „Bis Satelliten heute allein in eine Testkammer gelangen, vergehen Wochen“, sagt Schilling. Künftig sollen in kleinen Vakuumkammern Tests rasch und automatisiert ablaufen.

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sollen kommerziellen Herstellern als Grundlage für eine Massenfertigung dienen. Raumfahrtunternehmen und Start-ups sind zunehmend am Bau größerer Stückzahlen interessiert – und erhoffen sich etwa Aufträge für den Bau der Satellitenkonstellation der EU.

Satellitenschwarm im Tiefflug

Das Münchener Start-up Reflex Aerospace etwa hat vor wenigen Wochen sieben Millionen Euro Wagniskapital eingesammelt, um eine eigene Satellitenfabrik aufzubauen. „Wir arbeiten mit Hochdruck am Ausbau unserer Fertigung“, sagt Walter Ballheimer, Chef von Reflex Aerospace. „Im Jahr 2024 wollen wir eine stark automatisierte Fabrik einweihen.“ 30 bis 50 Exemplare wollen die Gründer dort pro Jahr bauen. „Das Ziel ist die individualisierte Massenfertigung“, sagt Ballheimer. „Wir wollen individuelle Satelliten bauen, ohne jedes mal die Fließbänder und Prozesse ändern zu müssen.“ Ähnliches plant auch das Würzburger Zentrum für Telematik. „Wir setzen auf ein Baukastensystem“, sagt Raumfahrtexperte Schilling. „Einzelne Komponenten sollen sich schnell und flexibel austauschen lassen.“

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Möglicherweise könnte so auch der Pioniersatellit Lolasat, der Anfang 2024 seinen Testlauf absolviert, künftig in Serie gehen. Er soll nicht nur moderne, besonders kompakte Funktechnik an Bord haben – sondern auch einen Antrieb, wie ihn bisher kaum ein Kleinsatellit besitzt. Denn um die blitzschnelle Datenübertragung zu ermöglichen, soll Lolasat besonders tief um die Erde sausen, in weniger 300 Kilometern Höhe. „Die Restatmosphäre bremst in dieser Höhe Satelliten schnell“, sagt Raumfahrtforscher Schilling. Der neuartige Antrieb soll den Kleinsatelliten beschleunigen, damit er nicht nach wenigen Monaten schon abstürzt. Klappt der Testlauf, dann wäre ein wichtiger Schritt getan - für eine tieffliegende Satellitenflotte aus deutscher Produktion. Die Maschinen, solche fliegenden Sendemasten in Massen zu bauen, will Schilling in Würzburg bis Ende nächsten Jahres entwickelt haben.

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