Reimund Neugebauer "Endlich loslaufen"

Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft über die Lehren aus der NSA-Affäre – und warum er ein europäisches Google fordert.

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Der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Reimund Neugebauer, fordert ein europäisches Google. Quelle: dpa Picture-Alliance

WirtschaftsWoche: Herr Neugebauer, Kanzlerin Angela Merkel hat jüngst gewarnt, Deutschland könne in Sachen Innovation den Anschluss verlieren. Ist die Lage so dramatisch?

Reimund Neugebauer: Wenn es so schlimm wäre, würden uns nicht immer wieder Politiker aus dem Ausland besuchen. Sie wollen jedes Mal wissen, warum Wissenschaft und Wirtschaft in unserem Innovationssystem so erfolgreich zusammenarbeiten. Erst kürzlich waren die US-Wirtschaftsministerin Penny Pritzker und die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye bei uns. Die französische Regierung hat Vertreter des Bundesforschungsministeriums und von Fraunhofer eingeladen, weil sie etwas Ähnliches wie die High-Tech-Strategie des Bundes einführen will. Das zeigt: Unser methodisches Vorgehen ist sehr gut.

Wir brauchen uns also nicht zu sorgen?

Wir sind im internationalen Vergleich sehr leistungsfähig. Das belegt auch die Statistik: Unser Anteil forschungsintensiver Waren am Weltmarkt ist, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, der höchste der Welt. Wir liegen hier vor Japan, den USA und China.

Denkende Maschinen, totale Vernetzung, smarte Dienste
Internet der DingeDie Verknüpfung aller Gegenstände ermöglicht es, sie über Datennetze zu orten, zu kontrollieren und zu koordinierenWichtige Anwendungen: Intelligente Steuerung globaler Logistikketten und des Verkehrs; medizinische Ferndiagnosen; Gebäudeautomation; sich selbst optimierende FabrikenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 207 Milliarden = 4,8 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 4/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 3/4 Quelle: Marcel Stahn
Automatisierung WissensarbeitLernende Softwaresysteme erkennen Zusammenhänge, analysieren Probleme und ziehen daraus SchlussfolgerungenWichtige Anwendungen: Erledigung von Aufgaben in Büro und Verwaltung; Abwicklung von Dienstleistungen; Erstellung von Entscheidungsvorlagen; medizinische DiagnosenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 207 Milliarden = 4,8 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 4/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 3/4 Quelle: REUTERS
Fortgeschrittene RobotikRoboter bauen sich selbst, finden sich in der Umwelt zurecht und stellen sich auf den Menschen ein.Wichtige Anwendungen: Industrielle Produktion; Chirurgie; Pflege; vielseitige Helfer im Alltag, etwa beim Putzen oder RasenmähenEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 175 Milliarden = 4,0 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 4/4 Quelle: REUTERS
Alternative AntriebeElektro-, Brennstoffzellen- und Wasserstoffantrieb oder Hybridlösungen.Wichtige Anwendungen: Privat und gewerblich genutzte Fahrzeuge; Fuhrparks; Busse; Schiffe und FlugzeugeEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 111 Milliarden = 2,6 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 2/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 4/4 Quelle: dpa
Mobiles InternetSmartphone, Tablet-PC oder Datenbrille verbinden Nutzer jederzeit und überall mit dem InternetWichtige Anwendungen: E-Commerce; Online-Lernen; Telemedizin, z. B. Überwachung des Gesundheitszustands chronisch Kranker; Mobile Payment; GastronomietippsEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 91 Milliarden = 2,1 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 2/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 1/4 Quelle: dpa
Big DataAnalyse riesiger Datenmengen, die Sensoren, Rechner, Handys, intelligente Zähler und Autos ständig sammeln und übermittelnWichtige Anwendungen: Angebot individueller Produkte und Dienstleistungen; Börsenhandel; Marktprognosen; Entdeckung neuer GeschäftsmodelleEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 82 Milliarden = 1,9 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 2/4 Quelle: obs
Cloud ComputingAus der Datenwolke können Unternehmen und Private via Internet Software, Rechen-, Speicher- und NetzwerkkapazitätWichtige Anwendungen: Programme, IT-Infrastruktur und Internet-Plattformen werden gemietet statt gekauft – bedarfsgerecht und technisch auf dem neuesten StandEinfluss auf das BIP 2025 (in Mrd. Euro), Anteil am BIP: 73 Milliarden = 1,7 ProzentEffekt auf Arbeitsplätze: 3/4Wettbewerbsstärke Deutschlands: 2/4 Quelle: dpa

Bei wissensintensiven Diensten und bezogen auf absolute Umsätze sieht das Bild anders aus. Haben wir bereits an Innovationskraft verloren?

Moment, ich habe über das methodische Vorgehen gesprochen, wie wir Innovationen erzeugen. Der andere Aspekt ist, in welchen Branchen sie entstehen. In klassischen Branchen wie Maschinenbau, Auto- und Chemieindustrie sind wir nach wie vor weit vorne. Anders sieht es in der Informationstechnik (IT) und der Biotechnik aus, dort haben wir Nachholbedarf.

Wir können aber nicht nur vom Alten leben. Bei Zukunftsthemen, etwa Big Data, der Analyse riesiger Datenmengen, hat uns Google abgehängt. Nun investiert der Konzern in alltagstaugliche Roboter, in Heizungssteuerungen oder automatisches Fahren und wird bald viele Dienste um diese Produkte herum anbieten. Verschlafen wir diese Entwicklung?

Deutschland ist stark bei der Weiterentwicklung von Produkten - bei Spitzentechnologien und wissensintensiven Dienstleistungen hingegen liegen teils unsere härtesten Konkurrenten vorn. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Sie haben recht, die Internet-Konzerne drängen mit Macht in Richtung Produkte, dort wo unsere Stärke liegt. Aber wir stehen nicht mit leeren Händen da. Auch wir rüsten Autos und Maschinen mit Intelligenz aus. Jetzt kommt es darauf an, schnell zu lernen, unseren Vorsprung bei den Produkten für die Entwicklung neuer Geschäfte zu nutzen. Es gilt, endlich loszulaufen – und zwar mit Wucht.

Wer die Daten von Handys und künftig von Servicerobotern besitzt, kennt das Verhalten der Kunden sehr genau und kann ihnen maßgeschneiderte Angebote machen. Sind wir nicht zu ingenieurgetrieben, statt an den Kunden zu denken?

Wenn das zuträfe, wären wir weder Exportweltmeister, noch besäßen wir unter unseren Mittelständlern so viele Weltmarktführer. Die wissen insbesondere bei Investitionsgütern sehr genau, was der Markt verlangt. Und sie haben ein feines Gespür dafür, wann es sich lohnt, ins Risiko zu gehen.

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