
WirtschaftsWoche: Herr Neugebauer, Kanzlerin Angela Merkel hat jüngst gewarnt, Deutschland könne in Sachen Innovation den Anschluss verlieren. Ist die Lage so dramatisch?
Reimund Neugebauer: Wenn es so schlimm wäre, würden uns nicht immer wieder Politiker aus dem Ausland besuchen. Sie wollen jedes Mal wissen, warum Wissenschaft und Wirtschaft in unserem Innovationssystem so erfolgreich zusammenarbeiten. Erst kürzlich waren die US-Wirtschaftsministerin Penny Pritzker und die südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye bei uns. Die französische Regierung hat Vertreter des Bundesforschungsministeriums und von Fraunhofer eingeladen, weil sie etwas Ähnliches wie die High-Tech-Strategie des Bundes einführen will. Das zeigt: Unser methodisches Vorgehen ist sehr gut.
Wir brauchen uns also nicht zu sorgen?
Wir sind im internationalen Vergleich sehr leistungsfähig. Das belegt auch die Statistik: Unser Anteil forschungsintensiver Waren am Weltmarkt ist, bezogen auf die Bevölkerungsgröße, der höchste der Welt. Wir liegen hier vor Japan, den USA und China.





Bei wissensintensiven Diensten und bezogen auf absolute Umsätze sieht das Bild anders aus. Haben wir bereits an Innovationskraft verloren?
Moment, ich habe über das methodische Vorgehen gesprochen, wie wir Innovationen erzeugen. Der andere Aspekt ist, in welchen Branchen sie entstehen. In klassischen Branchen wie Maschinenbau, Auto- und Chemieindustrie sind wir nach wie vor weit vorne. Anders sieht es in der Informationstechnik (IT) und der Biotechnik aus, dort haben wir Nachholbedarf.
Wir können aber nicht nur vom Alten leben. Bei Zukunftsthemen, etwa Big Data, der Analyse riesiger Datenmengen, hat uns Google abgehängt. Nun investiert der Konzern in alltagstaugliche Roboter, in Heizungssteuerungen oder automatisches Fahren und wird bald viele Dienste um diese Produkte herum anbieten. Verschlafen wir diese Entwicklung?

Sie haben recht, die Internet-Konzerne drängen mit Macht in Richtung Produkte, dort wo unsere Stärke liegt. Aber wir stehen nicht mit leeren Händen da. Auch wir rüsten Autos und Maschinen mit Intelligenz aus. Jetzt kommt es darauf an, schnell zu lernen, unseren Vorsprung bei den Produkten für die Entwicklung neuer Geschäfte zu nutzen. Es gilt, endlich loszulaufen – und zwar mit Wucht.
Wer die Daten von Handys und künftig von Servicerobotern besitzt, kennt das Verhalten der Kunden sehr genau und kann ihnen maßgeschneiderte Angebote machen. Sind wir nicht zu ingenieurgetrieben, statt an den Kunden zu denken?
Wenn das zuträfe, wären wir weder Exportweltmeister, noch besäßen wir unter unseren Mittelständlern so viele Weltmarktführer. Die wissen insbesondere bei Investitionsgütern sehr genau, was der Markt verlangt. Und sie haben ein feines Gespür dafür, wann es sich lohnt, ins Risiko zu gehen.