Schöpfung 2.0 Bis zum Designerbaby ist es nicht mehr weit

Ein neues Verfahren kann das Erbgut beliebig umschreiben. Es revolutioniert die Forschung, beschleunigt die Entwicklung von Medikamenten und lässt erste Forscher vom genoptimierten Menschen schwärmen.

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DNA Crispr-Cas9 Gentechnik Genom Quelle: dpa

Jeder kennt das: ständig Rückenschmerzen von den langen Stunden am Schreibtisch, ein paar Kilo zu viel auf den Hüften. So richtig können wir ja nichts dafür, meint George Church. „Wir sind schlecht angepasst an tagtägliches Sitzen und Berge von leckerem Essen“, verkündet der Biologe von der US-Eliteuniversität Harvard.

Der moderne Mensch ist ganz und gar nicht perfekt. Warum also nicht Schöpfung spielen und ihn mit ein paar heilsamen Genen tunen? Und wenn wir schon dabei sind, könnten wir gleich das perfekte Designerbaby erschaffen, mit den passenden Erbanlagen geschützt vor Krebs, Diabetes und Mundgeruch. Oder dem Wunderkind stabilere Knochen bescheren und es weniger unter Schmerz leiden lassen. Die verantwortlichen Gene seien bekannt, sagt Church – und wirft bei Vorträgen gerne eine entsprechende Liste an die Wand.

Zehn Krankheiten, die nicht auszurotten sind
MalariaForscher warnen, dass der Klimawandel Einfluss auf die Verbreitung von Malaria haben könnte. Durch die Erderwärmung vermehren sich die als Malariaüberträger bekannten Mücken stärker als früher. Mehr als eine Million Menschen sterben laut Universität Washington weltweit jedes Jahr an Malaria. Quelle: dpa
BotulismusDie klassische Lebensmittelvergiftung, der sogenannte Botulismus, wird meist durch verdorbenes Fleisch und nicht fachgerecht eingekochtes Gemüse hervorgerufen. Botulismus ist nicht ansteckend und zeigt sich meist durch Sehstörungen sowie Probleme beim Sprechen und Schlucken. In schweren Fällen lähmt der Erreger Clostridium botulinum die inneren Organe, Erbrechen und Durchfall stellen sich ein. Betroffene sterben ohne Behandlung meist an Ersticken. Quelle: dpa
StaublungeEine zu Zeiten des Kohleabbaus im Ruhrgebiet weit verbreitete Krankheit ist die Staublunge. Trotz spezieller Filter und Schutzmasken, die die Lungen der Bergarbeiter schützen sollen, gibt es immer noch Krankheits- und Todesfälle durch die hohe Feinstaubbelastung. Jüngere Bergarbeiter sollen laut National Public Radio stärker betroffen sein, da die Krankheit bei ihnen schneller voranschreitet. Quelle: AP
CholeraDie Durchfallerkrankung Cholera fordert jedes Jahr unzählige Todesopfer. Schuld ist verunreinigtes Wasser, deshalb verbreitet sich die Krankheit vor allem in den Armenvierteln dieser Welt. Das Erdbeben von Haiti rief vor vier Jahren eine große Cholera-Epidemie hervor. Seitdem sind laut Statistiken rund 8400 Menschen an Cholera gestorben. Quelle: dapd
TuberkuloseTrotz Impfmöglichkeiten und Antibiotika konnte die Tuberkulose bisher nicht besiegt werden. Ein Grund ist eine resistente Mutation des Erregers, die sich seit den Achtzigern verbreitet hat. Die Krankheit befällt meist die Atemwege, allerdings ist auch ein Befall des Nervensystems und der Organe möglich. Tuberkulose ist nach Aids der zweitgefährlichste Erreger, laut WHO starben 2010 1,4 Millionen Menschen an der Krankheit. Quelle: dpa
Polio/KinderlähmungPolio war bereits einmal beinahe ausgerottet – ein Mangel an Impfungen führte seit der Jahrtausendwende allerdings zu zahlreichen Neuerkrankungen. Vor allem in Afrika ist die Krankheit wieder auf dem Vormarsch, die WHO will mit Hilfe von Impfprogrammen dagegen vorgehen. Da sich der Erreger seit jeher kaum verändert hat, ist eine Ausrottung der Krankheit mittelfristig nicht unwahrscheinlich, die nötige Schluckimpfung ist kostengünstig und einfach umzusetzen. Quelle: dpa
SyphilisSyphilis ist eine sexuell übertragbare Krankheit, die aktuell vor allem in Deutschland und Australien verbreitet ist. 2013 meldete das Robert-Koch-Institut 5017 Neuerkrankungen, das sind 600 mehr als im Jahr 2012. Syphilis ist durch die Gabe von Penicillin heilbar. Quelle: Gemeinfrei

Die Erbanlagen müssten nur vor der Befruchtung in Ei- oder Samenzelle eingebaut werden – und würden dann an alle Nachkommen weitergegeben. Doch so ein Eingriff in die menschliche Keimbahn ist verboten; der Versuch, die Menschheit nach eigenen Ideen zu optimieren, spätestens seit dem Nazi-Rassenwahn geächtet.

Manchmal will der Forscher Gott spielen

Trotzdem: Harvard-Forscher Church ist kein Spinner. Im Gegenteil. Er ist einer der einflussreichsten Vordenker der Biologenzunft, hat ein gutes Dutzend Biotechnikfirmen gegründet und hält über 60 Patente. Doch manchmal geht der Visionär mit ihm durch. Dann will er Gott spielen.

Früher hätten ihn seine Fachkollegen ausgelacht. Doch jetzt hören sie ihm zu, sehr genau sogar. Denn Church hat Ende 2013 das Start-up Editas Medicine mitgegründet, das Patente für die Anwendung genau der Technik besitzt, mit der sich das Versprechen vom neuen, genoptimierten Menschen einlösen lässt. Crispr-Cas9 heißt das Verfahren etwas umständlich, das gerade nicht weniger als ein neues Zeitalter der Biotechnik einleitet. Mit seiner Hilfe ist es so einfach wie nie zuvor, Gene hochpräzise ein- oder auszuschalten, zu reparieren oder umzuschreiben. Bei Affen, den engsten Verwandten des Menschen im Tierreich, klappt das schon.

Diese Start-ups arbeiten an Crispr-Cas9

Dann sickerte in den vergangenen Wochen durch: Erste Forscher experimentieren bereits mit menschlichen Eizellen. Bis zum Designerbaby, aufgerüstet mit Genen, die klug, schön und gesund machen, scheint es nicht mehr weit zu sein.

Die Vorstellung schreckte die Wissenschaftlergemeinde gehörig auf. In parallelen Artikeln für die Top-Journale „Nature“ und Science“ forderten hochkarätige Forscher ein Moratorium, wenn es um Eingriffe in die menschliche Evolution geht. Auch Church gehörte zu den Unterzeichnern, wohl aus der Einsicht heraus, dass da gerade ein paar Dinge außer Kontrolle zu geraten drohen.

Eines hat der Harvard-Forscher auf jeden Fall erreicht: Schlagartig ist Crispr-Cas9 berühmt geworden. Das hätte die Methode aber auch ohne die aufgeregte Diskussion um die Schöpfung 2.0 verdient, denn die Anwendungsmöglichkeiten des Verfahrens sind enorm – und damit auch dessen wirtschaftliches Potenzial. Dabei ist die Methode so simpel wie elegant.

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