Schöpfung 2.0 Bis zum Designerbaby ist es nicht mehr weit

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Crisps-Cas9 treibt die Forschung voran

Entdeckt hat den Molekülkomplex Crispr-Cas9 die französische Biologin Emmanuelle Charpentier, die heute in Braunschweig am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung arbeitet. Er kombiniert eine Genschere – ein Enzym namens Nuklease – mit einem hochpräzisen Navigationssystem fürs das Erbgut. Die Schere kann den Erbgutstrang, die DNA, an jeder beliebigen Stelle zertrennen. Und zwar exakt nur dort, wo sie das Navi hingelenkt hat.

Dem Navigationssystem ein Ziel einzuprogrammieren ist denkbar einfach und kostengünstig. Ein Forscher muss dafür nur einen kurzen Abschnitt Erbgut künstlich herstellen, der genau an die fragliche Stelle im Gen passt. „Solch eine Erkennungsregion ist innerhalb von Stunden zum Preis von wenigen Euro zusammengesetzt“, sagt Ümit Pul, der beim hessischen Biotech-Unternehmen Brain mit der Methode arbeitet.

Crispr Gentechnik

Crispr-Cas9 „erleichtert die Arbeit von Forschern unglaublich und wird Forschung und Entwicklung enorm voranbringen“, sagt die Entdeckerin Charpentier in ihrem Labor in Braunschweig. Dabei hatte die 46-jährige Pariserin gar nicht nach einem solchen Werkzeug gesucht. Sie wollte vielmehr verstehen, wie sich ihre Forschungsobjekte – Bakterien – gegen Feinde zur Wehr setzen.

Die zierliche Forscherin erkannte schnell, dass diese Schere-Navi-Kombination auch außerhalb der Bakterienwelt enorme Bedeutung haben könnte. Um die exakte Funktionsweise von Crispr-Cas9 noch besser zu verstehen, bat sie die in Kalifornien arbeitende Jennifer Doudna um Hilfe bei der weiteren Analyse. Denn die aus Hawaii stammende, nur fünf Jahre ältere Doudna ist spezialisiert darauf, den räumlichen Aufbau von solchen Enzymen und deren Funktion zu ergründen.

Charpentier und Doudna sind nobelpreisverdächtig

Nachdem die beiden im August 2012 ihre Ergebnisse in „Science“ gemeinsam veröffentlichten, brach ein Sturm der Begeisterung los. Beide wurden in der Folge mit hochrangigen Forschungspreisen bedacht. So bekommt Charpentier dieser Tage in Genf den 700.000 Schweizer Franken schweren Louis-Jeantet-Preis für Biomedizin. Sie und Doudna gelten längst als Kandidatinnen für den Medizin-Nobelpreis.

Seit der ersten Publikation ist die Forscherwelt wie elektrisiert, jeder will mit dem neuen Gentech-Werkzeug arbeiten. So explodiert die Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen förmlich. Jede neue Arbeit unterstreicht: Das System ist universell einsetzbar, es funktioniert bei allen Organismen.

Charpentier & Church - Die Eltern der Designerbabys

Entsprechend breit sind die Anwendungen – von der industriellen Biotechnik über Medizin und Pflanzenzucht bis zur Lebensmittelbranche.

Dort – bei Joghurtkulturen – wurde Crispr zum ersten Mal genutzt. Beim damals noch dänischen Enzymhersteller Danisco, der heute zum US-Chemieriesen DuPont gehört, untersuchte Bioingenieur Rodolphe Barrangou 2007, wie sich Bakterien, die Milch in Speisejoghurt umwandeln sollten, vor krankmachenden Viren schützen ließen. Denn wenn die Bakterien kränkeln, klappt das mit dem Joghurt nicht.

Barrangou entwickelte eine Art Impfung nach dem Crispr-Prinzip, ohne damals dessen genaue Funktionsweise zu kennen. Mittlerweile impfen viele Lebensmittelkonzerne ihre Kulturorganismen auf diese Weise. „Wenn Sie Joghurt oder Käse essen, sind die Chancen sehr groß, dass sie Crispr-isierte Zellen verspeisen“, sagt Barrangou, der inzwischen an der North Carolina State University forscht und bei den Crispr-Firmen Caribou und Intellia engagiert ist.

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