SpaceX-Superrakete: „Bereits kurz nach dem Abheben ist ein Bauteil von der Rakete abgefallen“

Als „unerwartete eilige Demontage“ bezeichnete der US-Raumfahrtkonzern SpaceX die Explosion ihrer Starship-Rakete kurz nach dem Start des Erstfluges am Donnerstag.
WirtschaftsWoche: Herr Schmid, der erste Testflug der neuen Riesenrakete Starship des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX endete gestern nach drei Minuten mit der Explosion der Rakete. Dennoch brach beim Team Jubel aus. War das nun ein Erfolg oder ein Fehlschlag?
Volker Schmid: Ich kenne ja ein paar Leute bei SpaceX, das ganze Team hat Wochen und Monate unter höchstem Druck auf diesen Start hingearbeitet, den ersten, bei dem das komplette System aus der Boosterstufe unten und dem Raumfahrzeug an der Spitze gemeinsam getestet wurde. Da ist es schon eine beeindruckende Leistung und sicher extrem befriedigend, wenn so ein Koloss tatsächlich abhebt und eine Weile fliegt. Insofern kann ich gut nachvollziehen, wenn die Menschen in Jubel ausbrechen. Selbst wenn die Rakete nach ein paar Flugminuten gesprengt werden muss, weil das System außer Kontrolle gerät.
Also war’s eher ein Erfolg?
Ich denke schon. In den USA spricht man ja gern von „Successful failure“, einem „erfolgreichen Scheitern“. So eine Rakete, die größte, die je gebaut wurde, noch dazu ein Fluggerät, das darauf ausgelegt ist, dass seine Bestandteile zukünftig wiederverwendet werden können, ist ein immens komplexes Technikkonstrukt. Da war nicht davon auszugehen, dass bereits der erste Testflug vollständig gelingt. Primäres Ziel war, möglichst weit zu kommen, möglichst viele Daten über alle Elemente der Rakete zu gewinnen und basierend darauf dann das komplette System weiterentwickeln und verbessern zu können. Und genau das ist gestern gelungen. Insofern ja: Der Flug war ein Erfolg.
Nach der Explosion kursierten Schadenssummen von drei bis zehn Milliarden Dollar, die die Explosion verursacht haben soll. Das wäre aber ein teurer „Erfolg“.
Mit solchen Zahlen muss man sehr vorsichtig sein. Ich halte sie für massiv übertrieben, auch wenn ich die Kostenstrukturen von SpaceX nicht kenne. Was da gestern kursierte, waren meines Erachtens eher die Gesamtkosten, die durch die Entwicklung der Starship-Rakete bisher aufgelaufen sind, inklusive der dafür notwendigen Boden- und Betriebsanlagen. Und die sind ja nicht verloren, nur weil eine Rakete explodiert ist. Wenn, was ich nicht hoffe, das Projekt nun gestoppt würde, müsste man die Investitionen abschreiben. Aber solange die Kollegen aus dem Flug lernen und das System für den nächsten Versuch verbessern können, ist es halt Lehrgeld. Das kann SpaceX später, wenn alles stabil arbeitet, mit kommerziellen Flügen auch wieder reinholen.
Wie wahrscheinlich war denn, dass der Testflug insgesamt gelingt?
Ich habe den Start verfolgt und den Kollegen dort natürlich die Daumen gedrückt, dass alles funktioniert. Aber ich selbst hätte auch nur auf eine 50:50-Chance getippt. Wenn man frühere Raumfahrtprogramme ansieht, egal ob staatlich oder kommerziell, ob in den USA, in Russland oder sonst wo, dann ist es völlig normal, dass einiges zu Bruch geht, bis die Systeme zuverlässig fliegen. Diese Lernkurve muss man durchmachen. Soweit ich die Kollegen bei SpaceX inzwischen verstanden habe, hatten die Ihre Rakete ohnehin im Prinzip schon abgeschrieben. Für beide war eine Flugbahn geplant, bei der beide Teile ins Meer gestürzt wären. Das heißt, da hat niemand damit gerechnet, dass man die Komponenten für spätere Flüge noch einmal wiederverwenden kann.
Der Fehlschlag war also sozusagen schon eingepreist?
Ja, und ich halte diese Grundhaltung für richtig, dass Fehler in so einer Phase passieren können und sie helfen, die Dinge anschließend besser zu machen. Nur wenn man Mut hat, etwas zu riskieren und dann die Lehren daraus zu ziehen, kann man weiterkommen. Diese Risikobereitschaft ist uns in Europa bei Neuentwicklungen leider etwas abhandengekommen und ich würde mir wünschen, dass auch wir wieder etwas wagemutiger würden. Alle Fehler, die jetzt auftreten, alle Mängel die gefunden und abgestellt werden helfen, die Rakete besser, sicherer und zuverlässiger zu machen für den Moment, in dem dann erstmals Menschen damit fliegen sollen.
Ist denn schon klar was genau schiefgegangen ist?
Nein, das zu analysieren, wird eine enorm aufwendige Arbeit für die kommenden Monate sein. Da wird jedes Detail durchleuchtet, werden alle Telemetriedaten, alle Kamerabilder von draußen, aber auch aus dem Inneren der Rakete genauestens analysiert. Das braucht Zeit und dann werden die Teams ihre Lehren daraus ziehen. Ein paar Indizien gibt es aber schon für Dinge, die schiefgelaufen sein können.
Nämlich?
Bereits kurz nach dem Abheben ist zum Beispiel ein Bauteil von der Rakete abgefallen, das möglicherweise Teil der sogenannten Hydraulic Power Unit gewesen sein könnte. Die ist, soweit man inzwischen weiß, bereits während der Aufstiegsphase ausgefallen.
Warum braucht es die?
Unter anderem um die inneren Triebwerke etwas schwenken zu können und damit die Flugbahn zu steuern. Wichtig ist auch, dass alle Triebwerke synchronisieren laufen und damit Vibrationen vermeiden. Diese könnten, wenn sie sich aufschaukeln und in Resonanz gehen, die Rakete durch die dabei auftretenden Kräfte zerstören. Im Fall der Trägerrakete N1, mit der Russland in den späten Sechziger-, frühen Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts Kosmonauten zum Mond schicken wollte, ist genau das passiert. Weil es nicht gelang die Triebwerke absolut synchron zu betreiben, sind die Tests gescheitert, die Raketen wurden zerstört und das Programm am Ende abgebrochen.
Apropos Triebwerke. Da schien ja gestern beim Starship auch nicht alles wunschgemäß zu laufen.
Ja, das war auffällig. Im Laufe des Fluges sind gleich mehrere der 33 Triebwerke ausgefallen, wie man in den Kamerabildern sah. Ein bis zwei Ausfälle mögen sich vielleicht noch kompensieren lassen, aber bei fünf bis sechs Triebwerken wird es sicher kritisch. Das wird den Ingenieuren im Kontrollraum auch sicher früh bewusst gewesen sein, sodass sie mit einem Abbruch rechnen mussten, als der Aufstieg von den Zuschauern in der SpaceX-Zentrale noch mit Jubel begleitet wurde.
Nach etwa zweieinhalb Minuten schien die Rakete ins Trudeln zu geraten. Kann das auch an den gestörten Triebwerken gelegen haben?
Ich hatte schon kurz nach dem Start das Gefühl, dass nicht alles ganz glatt läuft. Nach meinem Eindruck gab schon da deutlich mehr Instabilitäten im Triebwerksbereich und der Verbrennung die im Flammenschweif erkennbar sind, als für einen erfolgreichen Flug gut gewesen wäre. Und die Stufentrennung nach etwa 2 Minuten und 52 Sekunden hat leider nicht funktioniert. Aber die Rotation, die Sie ansprechen, hatte einen anderen Grund.
Welchen?
Ziel der Entwickler ist ja, dass beide Raketenteile wiederverwendet werden. Also muss die untere Antriebsstufe, die ja den Startschub liefert, um das Schwerefeld der Erde zu überwinden, nach der Trennung vom eigentlichen Raumtransporter zunächst abgebremst und dann auf eine Flugbahn gebracht werden, die sie wieder kontrolliert zur Erde zurückbringt. Dafür braucht es die Drehung, die wir auch gesehen haben.
Beim gestrigen Testflug aber scheint sich die ganze Rakete gedreht zu haben.
Richtig. Das war sicher so nicht geplant. Da hat die Trennung der beiden Stufen nicht funktioniert und der Booster hat die ganze Rakete in Rotation versetzt, sodass sie auch die vorgeplante Flugbahn verlassen hat. Vermutlich war das dann auch der Grund, warum die Flugverantwortlichen in der Bodenkontrolle die Rakete schließlich per Fernkommando gesprengt haben.
Wie geht es nun weiter? Nach den bisherigen Plänen sollten Starship-Raketen bereits 2025 erste Nasa-Astronauten zum Mond transportieren. Ist das noch realistisch?
Ich habe 2025 schon immer für einen extrem ambitionierten Zeitplan gehalten und ich kann mir gut vorstellen, dass es ein bis zwei Jahre länger dauert. Es hängt halt sehr davon ab, wie viele Erkenntnisse SpaceX durch den gestrigen Flug gewinnen konnte und um wie viel zuverlässiger sie die Rakete bis zum nächsten Testlauf machen können. Zwei bis vier komplett erfolgreiche Testflüge braucht es auf jeden Fall, bevor man darüber nachdenken kann, auch mal Menschen mit der Rakete zu transportieren. Je länger es dauert, so weit zu kommen, desto später werden die Mondflüge starten.
Langfristig will SpaceX mit der Starship-Rakete sogar Passagiere von Kontinent zu Kontinent fliegen. Selbst wenn sie zuverlässig fliegt und ein Start, wie von Firmenchef Elon Musk prognostiziert, „nur“ noch zehn Millionen Dollar kosten solle: Halten Sie Linienflüge per Rakete für realistisch? Wird Starship einmal zur Ur-Enkelin der Concorde?
Also kurzfristig sicher nicht. Aber langfristig will ich so einen Gedanken, zumindest technisch betrachtet, nicht ausschließen. Schauen Sie mal auf den kommerziellen Flugverkehr. Vor einem Jahrhundert hätte doch keiner der Flugpioniere ahnen können, dass 2005 mit dem Airbus A380 erstmals ein Jet abheben wird, der ein halbes Tausend Passagiere komfortabel um die Welt fliegen kann. Und da sind wir in der Raumfahrt heute schon sehr viel weiter als auf dem Niveau der ersten Alleinflüge etwa über den Atlantik.
Inwiefern?
Die aktuelle SpaceX-Rakete beispielsweise, die Falcon 9, fliegt ja quasi schon nach festem Flugplan. Die starten derzeit etwa zwei Stück pro Woche und haben den ganzen Prozess der Wiederaufbereitung mittlerweile im Griff. Die wissen genau, wie sie ihre Maschinen und Systeme warten müssen und was die Technik leisten kann. Viele Elemente der Falcon-9 sind inzwischen schon mehrmals ins All unterwegs gewesen - eine Erststufe schon mindestens 17 Mal. Das ist ein großer Erfolg. Vieles erinnert bei diesen Raketenflügen tatsächlich schon an Abläufe im kommerziellen Flugverkehr, auch wenn die Kosten natürlich – gemessen an einem regulären Transatlantikflug – für Passagierverkehr noch viel zu hoch sind. Aber Raumfahrt ist technisch ja auch mindestens eine Größenordnung anspruchsvoller.
Aber das könnte sich ändern?
Definitiv. Als kommerzieller Anbieter ist SpaceX darauf aus, die Kosten zu minimieren und die Systeme so effizient wie möglich zu betreiben. Vorerst sehe ich einen Transport großer Lasten über die Ozeane mit einer solchen Rakete – wenn überhaupt – eher als Option für beispielsweise Hilfstransporte nach Katastrophen oder die Verlegung großer Lasten in kurzer Zeit bei militärischem Bedarf. Langfristig kann es allerdings irgendwann schon so weit gehen, dass auch Passagierflüge denkbar wären. Aber ob die Starship wirklich einmal der Concorde nachfolgt, darüber entscheidet nicht allein die technische Machbarkeit, sondern noch ganz andere Kriterien; von der Rentabilität bis zur gesellschaftlichen Akzeptanz bzw. die kommerzielle Nachfrage so eines Angebotes.
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