Transplantationen Wettlauf zum künstlichen Herzen

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Verwandte im Geiste

Die größten privaten Krankenhauskonzerne in Deutschland
Schön KlinikUmsatz: 0,6 Mrd. Euro 16 Kliniken Quelle: Unternehmensangaben Quelle: dpa
Rhön-KlinikumUmsatz: 1,0 Mrd. Euro 5 Kliniken (ohne die geplanten Verkäufe) Die Rhön-Klinikum AG beschäftigt mehr als 39.000 Ärzte, Schwester und Pflegepersonal, die 2011 rund 2,2 Millionen Patienten behandelten. Das Unternehmen startete 1973 mit 66 Mitarbeitern. Rhön-Gründer Eugen Münch brachte das Unternehmen 1989 an die Börse. Seit 1996 ist das Unternehmen im MDax. Quelle: Unternehmensangaben Quelle: dpa
SanaUmsatz: 1,8 Mrd. Euro 48 Kliniken Quelle: Unternehmensangaben Quelle: dpa
AsklepiosUmsatz: 3,0 Mrd. Euro 150 Kliniken Quelle: Unternehmensangaben Quelle: REUTERS
Helios (Fresenius)Umsatz: 5,5 Mrd. Euro 117 Kliniken (Inklusive der geplanten Käufe von Rhön) Quelle: Unternehmensangaben Quelle: dpa/dpaweb

Als börsennotiertes Unternehmen braucht Carmat eigentlich immer eine Story für die Anleger. Dennoch bedurfte es einiger Überredungskunst, in die heiligen Hallen des Unternehmens vorgelassen zu werden. Nichts deutet im Industriegebiet von Vélizy westlich von Paris darauf hin, dass hier womöglich ein künftiger Medizinnobelpreisträger am Werk ist, wie ein Radiosender bereits enthusiastisch meldete. Gegenüber dem Flachbau, in dem Carmat das Erdgeschoss und den ersten Stock belegt, verkauft ein Geschäft Teppiche und Parkettböden. Der französisch-amerikanische Telekommunikationsausrüster Alcatel-Lucent hat in der Nähe Büros, auch der französische Baukonzern Bouygues.

Im Erdgeschoß steht ein Maschinen-Ungetüm, das die Funktion des Körpers verdeutlichen soll. Gehirn, Lungen, Nieren, Leber und andere lebenswichtige Organe werden zu Zylindern, die denen eines Automotors ähneln. Nur, dass hier nicht Kraftstoff strömt, sondern eine blutähnliche Flüssigkeit, die durch eine Vielzahl an dicken und dünnen Schläuchen fließt.

Dass die Konkurrenten Verwandte im Geiste sind, zeigt ein fast identisch aussehendes Gerät, das in dem modernen Laborgebäude in Aachen steht und farbigen Blutersatz leise schmatzend durch künstliche Herzkammern, Plexiglasschläuche und Organ-Imitate pumpt. Allerdings geben sich die Deutschen, mitten auf dem Campus der weltberühmten Ingenieurschmiede RWTH angesiedelt, viel offener. Journalisten und Besucher sind willkommen, und die Macher rund um das ReinHeart führen sie bereitwillig durch die Räume.

Hier entstehen noch weitgehend in Handarbeit die Kunstherzen. Noch beschränken sich die Deutschen auf Tierversuche. Doch die Vorbereitungen für die Erprobung am Menschen laufen.

Der französische Herzchirurg Alain Carpentier, 80, gründete zusammen mit Jean-Luc Lagardère, Chef des Rüstungskonzerns Matra, Carmat. Die Firma erhielt schon früh viel Geld, um ein Kunstherz zu bauen. Im Dezember implantierte er es erstmals, der Patient ist inzwischen verstorben Quelle: REUTERS

Der Sieger steht fest

Das Carpentier-Team ist da eindeutig weiter. So ging es dem kurz vor Weihnachten Operierten über Wochen gut, sagte der Mediziner Jansen noch Ende Februar. Allerdings gab es keine Bilder des Patienten aus dem Krankenhaus, keine Patientenbulletins und auch kein Interview mit dem Erfinder Carpentier, der mehr als 20 Jahre auf diesen Tag hingearbeitet hat. Anlässlich der Präsentation des Jahresergebnisses von Carmat Anfang Februar gab es nur einen dürren „Brief an die Aktionäre“, der sehr ernüchternd klang: Erst wenn die Firma insgesamt vier Patienten über 30 Tage lang erfolgreich versorgt habe, würden die Gesundheitsbehörden Studien in größerem Umfang gestatten.

Diese 30-Tages-Frist hat der erste Patient mit dem französischen Kunstherzen zwar gut überstanden. Doch nach insgesamt zweieinhalb Monaten – und nach sieben Millionen Schlägen des Kunstherzens – starb der Mann Anfang März. Über die genauen Ursachen will das Unternehmen erst nach Abschluss der Testserie mit den ersten vier Patienten Auskunft geben.

Sollte Carmat dann die Erlaubnis zu Tests an weiteren knapp 30 Patienten und schließlich eine Zulassung für seine Kunstherzen erhalten, will es sie für 160.000 bis 180.000 Euro das Stück vermarkten. Doch wenn die Tests nicht die erwarteten Ergebnisse bringen, steht die Zukunft Carmats auf dem Spiel. Das ist den Beteiligten klar. „Die Investoren waren sehr großzügig mit Carmat“, sagt Xavier de Villepion, Händler bei Global Equities in Paris. „Die Firma kann in einen großartigen Erfolg münden – oder in einem Desaster.“

Die Franzosen müssen einen recht ­hohen Preis für ihr Kunstherz verlangen, weil die Aktionäre eine angemessene Rendite erwarten. Mit diesem Problem muss sich Körfer nicht herumschlagen: „Da der Großteil der investierten Mittel öffentliche Forschungs- oder Stiftungs­gelder sind, muss hier gar nichts zurückfließen.“ Und so werde das ReinHeart nur etwa 40.000 bis 50.000 Euro kosten – und das samt Einbau.

Ohnehin könnten aus Körfers Sicht auch zwei Herzsysteme am Markt bestehen. Denn der Bedarf werde stark wachsen, sobald ein Kunstherz erst einmal gut funktioniere. Das sei wie bei den Gelenkprothesen, von denen er selbst seit Kurzem eine trage, sagt Körfer: „Vor zehn Jahren hätte ich mir lieber das Bein versteifen lassen, als mir so ein Kunstknie einsetzen zu lassen.“

Nach der Markteinführung sei auch hoffentlich Schluss mit einer fragwürdigen Praxis, so der deutsche Mediziner. Heute bekämen nur todkranke Patienten ein Spenderherz; sie stünden an oberster Stelle auf der Warteliste. Medizinisch gesehen sei das Unsinn, weil viele dieser Menschen dann schon zu schwach seien und ihnen die Transplantation kaum noch zu einem wirklich angenehmen Leben verhelfe – oder sie die Operation gar nicht überstünden. „Hätten wir dagegen die Herzen auf Vorrat im Regal liegen, könnten wir viel früher operieren“, schwärmt Körfer: „Dann hätten die Patienten viel mehr davon.“

Wie auch immer das Rennen zwischen Körfer und Carpentier ausgehen wird, einen Sieger wird es geben: die Patienten, denen ein Kunstherz das Leben rettet – sei es ein deutsches oder ein französisches.

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