E-Scooter in Großstädten „Dieses Chaos gibt es nur in Deutschland“

Praktisch, aber umstritten: E-Scooter gehören in deutschen Großstädten, wie hier in Hamburg, längst zum Alltag. Foto: dpa Quelle: dpa

Die Beschwerden über E-Scooter, die Gehwege blockieren, durch Fußgängerzonen brettern oder in Flüssen landen, werden nicht weniger. Das französische Start-up Vianova hilft Städten, den Wildwuchs zu stoppen. Und Gründer Thibault Castagne sagt: An vielen Problemen ist die deutsche Verwaltung selbst schuld.

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Als neutraler Mittler zwischen E-Scooter-Verleihdiensten und Städten positioniert sich Vianova. Gegründet 2019 in Paris, arbeitet das 20 Mitarbeiter große Start-up mit inzwischen 50 Mobilitätsanbietern und 35 Stadtverwaltungen zusammen. Erste Kunden in Deutschland sind Gelsenkirchen, Troisdorf und Köln. Die Software erleichtert es etwa, Parkverbote und Geschwindigkeitsbeschränkungen einzuführen, erklärt Gründer Thibault Castagne.

WirtschaftsWoche: Herr Castagne, E-Scooter-Verleiher sind seit mehr als zwei Jahren in Deutschland aktiv – und es gibt immer noch dieselben Klagen über verstopfte Bürgersteige. Lässt sich das überhaupt vermeiden?
Thibault Castagne: Klar, dafür müssen Sie nur einen Blick ins europäische Ausland werfen. Mittlerweile gelingt es vielen Städten sehr gut, den Anbietern Grenzen zu setzen. Das große Chaos gibt es nur in Deutschland. Das Kernproblem ist, dass die Anbieter machen dürfen, was sie wollen. Hinzu kommt, dass sich in den Verwaltungen oft niemand für das Thema verantwortlich fühlt.

Wie bekommen Städte außerhalb Deutschlands das Park-Problem denn nun in den Griff?
In Stockholm zum Beispiel gab es genau dieselbe Diskussion wie in Deutschland. Dann hat man eigene Parkflächen für E-Scooter eingerichtet und die Betreiber setzen ihren Kunden Anreize, diese auch zu nutzen. In Paris ist es sogar verboten worden, die Roller auf Bürgersteigen abzustellen. Zum Abstellen der Fahrzeuge wurden hier mehr als 2000 Auto-Parkplätze umgewidmet.

Gibt so etwas nicht einen riesigen Aufschrei?
'Jedem ist klar, dass der öffentliche Raum neu verteilt werden muss. Der Trend weg von autozentrierten Städten ist nicht mehr aufzuhalten. Überall wird Radfahrern und Fußgängern mehr und mehr Platz eingeräumt. Einerseits haben sich die Einstellungen geändert. Andererseits ist es auch eine Frage der Technologie: Verwaltungen haben nun die Chance, Mobilität auf Basis von Datenanalysen zu organisieren – und im Ergebnis, grünere und lebenswertere Städte zu schaffen.

Wie tragen Sie dazu bei?
Wir bringen Städte und Betreiber auf einer neutralen Plattform zusammen, von der beide Seite profitieren. Stadtverwaltungen bekommen ein Tool an der Hand, mit der sie Regeln für die Anbieter festlegen. Auf der Karte können sie beispielsweise Parkverbotszonen und Geschwindigkeitsbegrenzungen festlegen. Es ist auch möglich, die Gesamtzahl von E-Scootern in einem bestimmten Gebiet festzulegen – und die Betreiber über Verstöße zu informieren. Das Ganze landet über Schnittstellen sofort bei den Betreibern. Deren Kunden sehen die Parkverbote dann in der App und die E-Scooter werden in den festgelegten Gebieten automatisch gedrosselt.

Und da machen die Anbieter mit?
Mittlerweile rufen die E-Scooter-Firmen sogar selbst nach mehr Regulierung. Sie merken, dass die andauernden Beschwerden in Medien und sozialen Netzwerken nicht gut für das Image sind. Und wenn es um Verbote geht, merken sie, dass das am Ende schädlicher fürs Geschäft, als ein Parkverbot umzusetzen. Hinzu kommt: Der Wettbewerb ist immer noch enorm. Die Anbieter haben deswegen auch nichts dagegen, wenn Städte die Zahl der Betreiber beschränken.

Könnten Städte und Unternehmen solche Regeln nicht auch direkt untereinander ausmachen?
Können sie. Als unabhängiger Treuhänder können wir jedoch garantieren, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten. Für die Anbieter ist es außerdem viel leichter, einmal alles Rechtliche mit uns zu verhandeln und eine IT-Integration zu schaffen, statt dies mit allen Städten jedes Mal aufs Neue zu tun. Für die Kommunen liegt der große Mehrwert darin, dass sie aus einer Oberfläche heraus Regeln für alle Anbieter in der Stadt aufstellen können. Und wir aggregieren die Mobilitätsdaten, um Analysen für eine Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur zu ermöglichen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Anhand der aggregierten Daten der Mikromobilitäts-Anbieter lässt sich ablesen, welche Routen besonders häufig mit E-Scootern oder Leihfahrrädern zurückgelegt werden. Daran sieht man, wo der Bedarf nach Fahrradwegen hoch ist. Brüssel etwa hat die Informationen genutzt, um während der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr 14 Kilometer neue Radwege einzurichten. Der Effekt ist enorm: Auf den Strecken sind nun fünf Mal so viele Menschen mit dem Rad oder mit E-Scootern unterwegs.

Aber haben Städte überhaupt Fachkräfte, um aus all den Daten auch Rückschlüsse zu ziehen?
Im Grunde braucht jede Stadt einen Multimodalitäts-Manager. Tatsächlich wird in den meisten Verwaltungen, mit denen wir zusammenarbeiten, nicht gleich ein neuer Vollzeitjob geschaffen. In der Regel übernimmt die Aufgaben jemand zusätzlich zu seinen Tätigkeiten. Das ist immer noch besser, als sich einfach gar nicht darum zu kümmern. Wir arbeiten zunehmend auch mit Beratungsgesellschaften zusammen, die Städte bei den strategischen Fragen unterstützen.

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Der öffentliche Sektor ist für Start-ups ein schwieriges Feld. Und Kommunen haben oft wenig finanziellen Spielraum. Wie wollen Sie dennoch einen Fuß in die Tür bekommen?
Auch das ist ein Phänomen, das sehr deutsch ist. Ich finde es absurd, dass ausgerechnet in der stärksten Volkswirtschaft Europas kein Geld für Innovationen da sein soll. Wir arbeiten mit einem Freemium-Modell. Das heißt, es gibt eine kostenlose Version, mit der Städte einen Überblick bekommen. Kostenpflichtig wird es dann, wenn die Plattform auch genutzt wird, um Regeln aufzustellen und durchzusetzen. Wir verdienen aber nicht nur mit den Städten Geld. Zu unseren Kunden gehören auch Verkehrsunternehmen und E-Scooter-Verleiher. Diese nutzen unsere Plattform, um die Auslastung ihrer Flotte zu optimieren und ihre Fahrzeuge optimal zu positionieren.

Besteht nicht das Risiko, dass die E-Scooter in ein paar Jahren genauso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen sind?
Die Gefahr sehe ich nicht. Die Angebote werden ja rege nutzt. Die Betreiber fahren inzwischen in vielen Städten Gewinn ein – das ist kein Zuschussgeschäft mehr. Aber es werden sicher noch weitere Mobilitätsangebote hinzukommen. Schon heute arbeiten wir nicht nur mit E-Scooter-Start-ups zusammen, sondern auch mit Fahrradverleihern, Betreibern von E-Mopedflotten und Ride-Sharing-Diensten.

Mehr zum Thema: Mit viel Know-how kriegen junge deutsche Techfirmen mehr über den Zustand von Speichersystemen heraus. Das verschafft wertvolle Einblicke. Die Start-ups müssen aufpassen, dass die Kunden nicht zu Konkurrenten werden.

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